„Zukunft“ ist „in“ in Luxemburg. Regierung, Berufskammern, Universität, Umweltverbände und selbsternannte Kassandren sehen große Umwälzungen auf die Menschheit und damit auf das beschauliche Luxemburg zukommen. Mal wird die Zukunft „optimistisch“ angestrichen, meist kommt sie „pessimistisch“ daher: Ein überquellendes Land, in dem immer mehr Menschen einen katastrophalen „ökologischen Fußabdruck“ hinterlassen und wo der arme Luxemburger in einem Meer von Immigranten, Flüchtlingen und Grenzgängern seine „Identität“ verliert.
Demnächst soll die Rifkin-Studie die Zukunft aufzeichnen. Man darf davon ausgehen, dass der Bericht einige Fakten und Informationen auftischen wird. Doch die Blaupause für die kommenden Jahre wird schwammig bleiben. Wie man das bei Rifkin gewohnt ist. Laut seinem Buch über das Ende der Arbeit sollte es bis 2020 keine Industrien mehr geben. Höchstens zwei Prozent der Menschheit fänden noch Beschäftigung in der Produktion. Zumindest in Luxemburg deuten rezente Investitionen im industriellen Bereich in eine andere Richtung.
In neuer Verpackung werden die alten Thesen des US-amerikanischen Aktivisten serviert: die „Null-Grenzkosten-Gesellschaft“ und die „Shared Economy“, das solidarische Wirtschaften. Ich kaufte sein Buch in der Librairie Alinéa für 10,70 Euro. Rifkin selbst scheint es mit den „Null Grenzkosten“ nicht so genau zu nehmen. Er verrechnet Regierung und Handelskammer 500 000 Dollar für den gleichen Inhalt.
Bei näherem Hinsehen führt Rifkins Abgesang auf den Produktions-Kapitalismus eigentlich zur Monetisierung der Privatsphäre. Wenn der einzelne Bürger nach dem „Uber-Modell“ sein Auto zur Beförderung anderer nutzt; wenn er seine Wohnung oder sein Feriendomizil per „Airbnb-Vermittlung“ und ähnliche Buchungsportale an der Hotel-Branche vorbei an Dritte vermietet, ist dies kein „solidarisches Teilen“, sondern es erfolgt gegen gutes Geld. Auch der künftige Besitzer eines 3D-Druckers wird die nachbarschaftliche Beschaffung von Ersatzteilen nicht zum Nulltarif leisten.
In manchen Kreisen ist es schick geworden, gegen die „Diktatur“ des Sozialproduktes (BIP/PIB) anzukämpfen. Tatsächlich sagen dessen Zuwachsraten wenig über die Lebensqualität aus. Das Problem bleibt nur, dass „Glücksempfinden“ etwas sehr Persönliches ist. Der Wirtschafts- und Sozialrat und der Statec basteln schon seit Jahren an Indikatoren über den „Bonheur national brut“. Solche existieren in Bhutan. Ohne dass Bhutan bislang ein Modell für den Rest der Welt wurde.
Vor allem ist offensichtlich, dass wirtschaftliche Stagnation oder Rezession dem persönlichen Glück und Wohlbefinden nicht förderlich sind. Wie schreibt Eric Le Boucher: „Les populations ne sont pas dupes de la masturbation intellectuelle autour des indices: la décroissance qu’a apporté la récession n’a été du goût de personne.“
Hierin liegt die Krux für all jene, die Verzicht predigen und „anders leben wollen“. Oder voller Sorge über das Luxemburg der 700 000 Einwohner oder gar der 1,2 Millionen sind.
Wie kann man „Wirtschaftswachstum“ abbremsen, auf Qualität statt Quantität umstellen, gleichzeitig aber mehr Ansprüche an öffentliche Dienstleistungen stellen, mehr Steuer- und Einkommensgerechtigkeit verlangen? Eine heile Welt bei regelmäßigen Index-Tranchen, Punktwert-Erhöhungen und Renten-Anpassungen? Ich karikiere, aber nur ein wenig. Wann hat schon das Mouvement écologique Lohnverzicht und Index-Stopp gepredigt? Wie sagt Woody Allen: „Geld ist besser als Armut – wenn auch nur aus finanziellen Gründen.“
Weil dem so ist, werden auch „Wohlfarts-Indexe“, welche die Kosten von Umweltbelastung oder Biodiversitäts-Verlusten abschätzen, in monetären Einheiten berechnet.
Wie soll das Luxemburg in zehn bis 20 Jahren aussehen? (Die Uno plant in noch größeren Zeiträumen, etwa für das Jahr 2050 beim Pariser Klima-Abkommen. Was den Vorteil hat, dass keiner der derzeitigen Akteure in 35 Jahren für falsche Prognosen einstehen muss.)
Ich gestehe meine Unwissenheit. Mein Einstieg in die Politik erfolgte zu einer Zeit, als ein französischer Experte vorrechnete, der negativen Geburtenrate wegen seien die Luxemburger vom Aussterben bedroht. Der Calot-Bericht führte zu leidenschaftlichen Debatten. Finanzminister Raymond Vouel meinte damals, der Letzte würde eben alles erben. Worauf Premierminister Gaston Thorn frotzelte, dieser letzte Luxemburger sollte wenigstens nicht vergessen, die Lichter auszuknipsen ...
Immerhin wurde damals unter dem Eindruck der schrumpfenden Bevölkerung der geplante Ausbau einiger Lyzeen gebremst.
Doch „erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt“ (Bertold Brecht). Während Ende der 1970-er und Anfang der 1980-er Jahre der Zusammenbruch der damals allein seligmachenden Stahlindustrie den Calot-Pessimismus schürte, setzten sich nach und nach neue Wirtschaftsstrukturen durch. Dutzende neue Industriebetriebe kamen ins Land. Vor allem entwickelte sich der Dienstleistungssektor. Banken, Versicherungen, Investment-Fonds wurden zu neuen Motoren des Wachstums. Auch die digitale Revolution brachte neue Aktivitäten. Nicht nur weil ein niedriger TVA-Satz die großen Namen des aufstrebenden elektronischen Handels anlockte. Der Staat investierte viel in die Daten-Infrastrukturen. Die elektronischen „Autobahnen“ des Landes sind mehr besucht als die verpönten Autobahnen, die mir zwei goldene Bagger einbrachten.
Wer jedoch glaubt, die digitale Revolution würde „sanftes“ Wachstum schaffen, sollte sich bei der Internationalen Energieagentur informieren. Sie schätzt, dass global gesehen allein die Server mehr Elektrizität verbrauchen, als die Sonnenenergie derzeit bringt. Nicht zu reden von den zwölf Mil-liarden Handys, die weltweit klingeln.
Der wirtschaftliche Erfolg brachte den Luxemburgern einen der höchsten Lebensstandards in Europa. Selbst wenn der luxemburgische Mindestlohn keine großen Sprünge erlaubt. Obwohl Milliarden Menschen von einem solchen Monatseinkommen nur träumen können.
Wir sind übrigens nicht so reich (und auch nicht so große Umweltverschmutzer), wie Statistiker uns andichten. Unser Sozialprodukt und die darauf beruhende Ökobilanz sind das Produkt der Arbeit der Einheimischen sowie von 170 000 Grenzgängern. Die nicht zählen, wenn das Pro-Kopf-Einkommen oder der durchschnittliche CO2-Ausstoß durch die Zahl der Ansässigen ermittelt wird. Unsere Umweltministerin scheint dies nicht begriffen zu haben. In einem Land-Interview schätzte sie sich glücklich, dass die EU-Kommission Luxemburg „bloß“ ein Einsparziel von minus 40 Prozent auferlegt: „Weil unser Pro-Kopf-BIP doppelt so hoch ist wie das des nächstplatzierten Mitgliedstaats, hätten wir theoretisch minus 61 Prozent zugewiesen bekommen müssen.“ Eben nicht. Selbst Eurostat hat eingesehen, dass die Nichtberücksichtigung der Grenzgänger alle rein auf Einwohnerzahlen basierenden Berechnungen verfälscht.
Auch das Schreckensbild vom öko-feindlichen Tankstellen-Tourismus beruht auf falschen Annahmen. Wird der Sprit hierzulande verteuert, verliert unser Land über eine Milliarde Euro Einnahmen. Ohne dass deshalb in der EU weniger CO2 ausgestoßen würde. Luxemburger wie Ausländer würden ihren Wagen nicht verschrotten, sondern in dem Nachbarland tanken, wo der Sprit dann am billigsten wäre.
Real ist dagegen die rasante Bevölkerungsentwicklung. Wir werden 2017 zu 600 000 Einwohnern sein. Dazu mindestens 170 000 Grenzgänger.
Das Saarland ist bekanntlich 17 Quadratkilometer kleiner als Luxemburg. Beherbergte aber in den 1970-er Jahren fast 1,2 Millionen Menschen, ohne zu einer Betonwüste zu geraten. Mit der Krise von Kohle und Stahl begannen die Probleme der Saarländer. Bis 2030 soll die Bevölkerung auf 900 000 Menschen schrumpfen.
Auch der Aufschwung Luxemburgs kann sich umkehren. Ein nicht mehr undenkbares Auseinanderbrechen der EU, mit Rückkehr zu nationalen Märkten, würde das Ende des Finanzplatzes und der Industrie bedeuten. Mit dem schnellen Abgang von ansässigen Fachleuten und Grenzgängern.
Ob ein Schrumpfen auf „echte“ Luxemburger uns jenes naturnahe Idyll bringen würden, von denen Umwelt-Ökonomen träumen, darf angezweifelt werden. Immerhin müssten wir weiterhin die Pensionsansprüche der ehemals in Luxemburg arbeitenden Ausländer bedienen. Und für den Unterhalt von plötzlich zu groß geratenen Infrastrukturen aufkommen. Der Wohnungsmarkt würde sich zwar beruhigen, doch der schnelle Wertverfall könnte viele Hausbesitzer in eine Zwangslage bringen.
Wäre unser Wachstum überhaupt zu bremsen? Wie könnte eine Regierung Limits für irgendeinen Wirtschaftszweig verfügen? Quoten für Ausländer und Grenzgänger einführen? Wir müssten uns schon mittels Stacheldraht an den Grenzten abriegeln, um den Zuzug von Ausländern und Grenzgängern zu verhindern. Mit dem Resultat der wirtschaftlichen und politischen Isolierung.
Laut IVL-Studie haben 0,1 Prozent der 2 586 Quadratkilometer Fläche unseres Landes eine „sehr hohe Schutzwürdigkeit“. Das sind 2,6 Quadratkilometer unantastbare Biotope von europäischem Wert. „Hohe Schutzwürdigkeit“ haben weitere 23 Prozent unseres Territoriums. Selbst wenn man die 38 Prozent mit „mittlerer Schutzwürdigkeit“ unter absoluten Naturschutz stellen möchte, womit jede Baum-Ansammlung inbegriffen wäre, bliebe ein gutes Drittel des Landes zur Disposition für ein vernünftiges Wachstum von Wohnraum, Infrastrukturen und Wirtschaft. „Versiegelt“ sind zirka acht Prozent der Landesfläche.
Selbst der Landverbrauch für menschliche Aktivitäten geht nicht definitiv auf Kosten der Natur. Immerhin sind einige der wertvollsten Biotope des Landes von Menschenhand geschaffen. Etwa die früheren Tagebaugebiete Op der Haardt oder Lallingerberg, manche Steinbrüche oder die Baggerweiher von Remerschen.