Am Ende fand sie doch statt: die feierliche Vorstellung des neuen Labels Naturschutz Fleesch auf der Foire agricole in Ettelbrück am vergangenen Freitagnachmittag. Landwirtschaftsminister Romain Schneider (LSAP) und der delegierte Nachhaltigkeitsminister Marco Schank (CSV) waren gekommen, und mit ihnen die Spitze der Natur- und Forstverwaltung.
Noch zwei Tage vorher hatte es so ausgesehen, als könnten Schneider und Schank die Veranstaltung ausfallen oder verschieben lassen. Da hatte sie ein Offener Brief erreicht, unterzeichnet vom Mouvement écologique, dem Naturschutzverband Natur & Ëmwelt und der Biobauernvereinigung Bio Lëtzebuerg. Sie verlangten, das Label zurückzuziehen. Begründung: Der Artenverlust sei in Luxemburg immer noch dramatisch. Sollte das Label also wirklich dem Artenschutz entgegenstehen? Naturschutz Fleesch ist immerhin eine staatliche Initiative und zumindest für die nächsten drei Jahre ist Schanks Natur- und Forstverwaltung (ANF) Labelbetreiber.
Es hat jedoch nicht nur mit der Kritik der Umweltverbände und der Biobauern zu tun, dass die beiden Minister eine Zeitlang darüber nachdachten, zurückhaltender zu agieren. Naturschutz Fleesch könnte in der Bauernwelt größere Wellen schlagen. Schon erzählt man sich, die politisch nach wie vor einflussreiche Bauernzentrale werde in der Ausgabe ihres Organs De Letzebuerger Bauer vom heutigen Freitag das Label und was dahinter steht in Grund und Boden verdammen.
Ein Wunder wäre das nicht. Als Naturschutz Fleesch kann Rindfleisch aus „Ganzjahresbeweidung“ zertifiziert werden. Dabei werden besonders widerstandsfähige Rinderrassen, etwa Angus, Galloway oder Highlander mit den großen Hörnern und dem dicken Fell, das ganze Jahr über auf die Weide gelassen, auch im Winter. Weil das Lastenheft zum Label pro Hektar Weidefläche höchstens 0,8 Großvieheinheiten erlaubt, also zum Beispiel 40 Rinder auf 50 Hektar, ist diese Beweidung besonders extensiv. Außerdem ist jeglicher Dünger- und Spritzmittel-einsatz verboten und fressen sollen die Tiere nur, was sie auf der Weide finden. Lediglich im Winter darf Heu oder Grassilage zugefüttert werden, keinesfalls aber Soja oder Mais. Dieses „Zurück zur Natur“ soll auf Flächen, die unter Naturschutz stehen, bedrohten Pflanzen- und Kleintierarten eine Chance zur Regeneration geben und neuen Arten das Heimischwerden ermöglichen. An die 40 Bauernbetriebe mit an die 1 600 Hektar Weidefläche arbeiten derzeit so oder sind dabei, sich darauf einzustellen. Die neun größten haben sich mittlerweile dem Label angeschlossen, demnächst könnten es 15 sein.
Was daran schlecht sein soll und womöglich gar dem Artenschutz zuwiderlaufend, ist auf den ersten Blick überhaupt nicht ersichtlich. Aber darum geht es nicht nur. Die Ganzjahresbeweidung ist in Luxemburg seit über zehn Jahren im Gespräch. Es begann, nachdem das Parlament dem Bau der Nord-strooss zugestimmt hatte und das Umweltministe-rium für den Eingriff in den eigentlich unter Naturschutz stehenden Gréngewald Kompensationsmaßnahmen vorschreiben musste. Die Natur- und Forstverwaltung, die damals noch Administration des eaux et forêts hieß, gab als eines der Leitbilder zur Autobahn-Kompensation eine „Renaturierung“ entlang der Alzette aus: Das Flussbett würde zum Teil in seine ursprüngliche Form zurückversetzt. Uferränder würden abgeflacht, sodass das Wasser kon-trolliert über die Ufer treten könnte, was auch dem Hochwasserschutz diente. Auf den dann feuchteren Flächen könnten Rindviecher mit dickem Fell das ganze Jahr über weiden. Auf diese Vision reagierte vor allem die Bauernzentrale mit jahrelangem Widerstand: „Gutes Land“ werde verschwendet, gar überflutet, und mit einer Beweidungsmethode belegt, die dem Bauern nicht viel bringe. Jener Beamte der Eaux et forêts, der die Idee geboren und nach draußen getragen hatte, wurde zum Lieblingsfeind der intensiv produzierenden Landwirstchaft. Die ökologische Zumutung hatte einen Namen: Jean-Claude Kirpach, Abteilungsleiter Natur in der ANF.
Heute gibt es Ganzjahresbeweidung nicht nur an Flussläufen. Dass die ANF nach all den Jahren das Label lanciert hat, ist auch eine Reverenz an ihren Abteilungsleiter Natur, oder anders: Es zurückzuziehen, hätte auch bedeutet, ihn zu beschädigen. Denn unumstritten sind Label und Ganzjahresbeweidung nicht. Es stimmt ja, dass hier ausgerechnet der Staat ein neues Label einführt, CSV und LSAP sich im Koalitionsabkommen aber vorgenommen hatten, für mehr Transparenz und Vereinfachung bei den Labels zu sorgen. Aber leider ist das Landwirtschaftsministerium damit noch nicht weiter gekommen, als eine „Studie“ in Auftrag zu geben.
Es stimmt auch, dass bei Label und Ganzjahresbeweidung ziemlich viel Geld vom Staat im Spiel ist. Dieses Jahr geht dafür rund ein Drittel des 1,3 Millio-nen Euro umfassenden Budgetpostens der ANF für Natur- und Artenschutz drauf. Es stimmt auch, dass vom Naturschutzverband Natur & Ëmwelt über die Vereinigung der Jongbaueren a Jongwënzer bis hin zum Biobauernverband von „unlauterem Wettbewerb“ gesprochen wird. Denn wer teilnimmt an der Ganzjahresbeweidung, erhält vom Staat den Bau einer Umzäunung aus Eichenholz und einen Unterstand für die Tiere finanziert. Nicht zu vergessen die 470 Euro jährlicher Biodiversitäts-Flächenprämie pro Hektar. Berücksichtigt man, dass ein durchschnittlicher Betrieb im konventionellen Landbau eine EU-Betriebsprämie von 280 Euro pro Hektar erhält, sind 750 Euro pro Hektar genug, um den Übergang auf Ganzjahresbeweidung so profitabel werden zu lassen, dass ältere Landwirte, die daran teilnehmen, vielleicht keinen Grund mehr haben, ihre Flächen an jüngere abzugeben. Oder dass, wer ökologisch denkt, lieber ein paar Hektar in diese Methode steckt, statt seinen ganzen Betrieb auf „Bio“ umzustellen. Zumal die ANF auch die Vermarktung des Fleisches organisiert. Nach Informationen des Land hat sie sich sogar um einen Einheitspreis von sechs Euro pro Kilogramm abgelieferten Naturschutz Fleesch bei Restaurants bemüht: Das sind rund 50 Prozent mehr als der Preis für ein Kilo Bio-Rindfleisch und doppelt so viel wie für ein Kilo Rindfleisch mit Herkunftslabel Produit du terroir. Fragt sich nur, ob alle am Label beteiligten Restaurants – bisher sind es zehn – wirklich immer so viel zahlen.
Letztlich aber handelt die Auseinandersetzung um das Label von einem größeren agrar- und umweltpolitischen Problem. Für die Mobilität der Zukunft gibt es ein Leitbild mit Zielen für den Transport per Auto, Bus, Bahn oder Fahrrad. Für die Raumplanung gibt es das ebenfalls, mit Entwicklungspolen über Land. Für die Landwirtschaft existiert so etwas nicht. Weil jeder Versuch, ein solches Leitbild aufzustellen, zum Konflikt mit den als Wählern nicht unwichtigen Landwirten führen würde, ist bisher noch jede Regierung davor zurückgeschreckt. Und so konnte es dann kommen, dass die ANF im Alleingang etwas aus der Taufe hob, das zumindest auf schützenswerten Flächen in die Richtung geht, die sie für richtig hält: weniger zu produzieren, weniger zu verkaufen, dafür auch weniger Kosten zu haben. Damit die Bilanz für den Landwirt nicht negativ wird, gibt es von der Gesellschaft eine Prämie.
Nur: Einen EU-Aktionsplan zur Stärkung des Biolandbaus erfüllen muss Luxemburg ebenfalls, weil derzeit statt fünf Prozent nur 3,5 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche mit „Bio“ bewirtschaftet werden. Und im vergangenen Jahr hat eine Studie ergeben, dass die biologische Landwirtschaft auch hierzulande einen weitaus größeren Beitrag zur Artenvielfalt leistet als die konventionelle. Wenn dem so ist, wäre es eigentlich vernünftig, in Naturschutzgebieten den Biolandbau, wenn schon nicht vorzuschreiben, dann zumindest viel stärker zu propagieren und zu unterstützen.
Und es stimmt eben auch dies: Von den neun Bauernbetrieben, die derzeit dem Label der ANF angeschlossen sind, liegen derzeit nur 47 Prozent der Weidefläche in Naturschutzgebieten. An diesem Verhältnis werde sich auch dann nichts grundsätzlich ändern, wenn alle 40 Betriebe, die Rinder mit den langen Hörnern und dem dicken Fell das ganze Jahr über auf die Weide lassen, Naturschutz Fleesch angeschlossen sein werden, sagt die ANF selbst. Die Investitionen vom Staat und die Prämien vom Staat aber sind in beiden Fällen dieselben.
Ob das effizient ist? Wer weiß. Bei der Stiftung Hëllef fir d’Natur, die schützenswerte Flächen erwirbt, sie anschließend pflegen und bewirtschaften lässt, ist man sich nicht sicher, ob die ANF die Flächen zur Ganzjahresbeweidung sorgfältig genug auswählt: Womöglich könnte die Ganzjahresbeweidung auf manchen Standorten tatsächlich ökologisch schaden.
Die Verwaltung selber räumt ein, dass ihr für andere Naturschutzmaßnahmen zum Teil die Mittel fehlen. Was die jahrelange Vorarbeit zur Ganzjahresbeweidung und zum Label gekostet hat, ist von ihr nicht zu erfahren. Die Frage, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, das Geld gleich in den Biolandbau im Naturschutz zu stecken, ist damit nicht schlüssig zu beantworten. Aber ins Gespräch kommen will die ANF mit den Biolandwirten. Mit den Naturschutzverbänden auch. Das ist bestimmt richtig: 2014 soll der nächste Naturschutzplan herauskommen, mit noch mehr schützenswerten Flächen. Und über die nächsten Jahre müssen Verordnungen für den Schutz jeder einzelnen Trinkwasserquelle im Lande geschrieben werden. In jedem Fall dürfte es die Gesellschaft etwas kosten, der Landwirtschaft in diesen Gebieten Anreize zu setzen. Schon weil öffentliche Mittel knapper geworden sind, wäre es gut, wenn diese Anreize wirksam und effizient zugleich wären.