Obwohl die Abstimmung über den Bericht des parlamentarischen Ermittlungsausschusses zu den Untaten des Nachrichtendienstes erneut aufgeschoben worden war, hatten sich die Parteileitung der LSAP, die sozialistischen Minister und die sozialistischen Abgeordneten am vergangenen Donnerstag getroffen, um die Schlussfolgerungen aus dem Bericht zu ziehen. Einen Monat zuvor hatten die Sozialisten noch mehrheitlich beschlossen, dem ehemaligen CSV-Justizminister Luc Frieden das Vertrauen auszusprechen – obwohl er die Ermittler zu entmutigen versuchte, die Terrorwelle der Achtzigerjahre aufzuklären, und er ein Gesetz über die Justizbehinderung behindert hatte. Doch obwohl die Befürchtung umging, dass vor allem die Opposition von einem Bruch der Koalition profitieren könnte, wollte die Partei sich nicht zu Komplizen bei Premier Jean-Claude Junckers „objektiver“ und „subjektiver“ Verantwortung für den Geheimdienstskandal machen. Einmütig befand die Parteispitze, dass die Zeit gekommen war, die Koalition zu beenden und ein wenig als Oppositionspartei in den Wahlkampf ziehen zu können. Einen Tag später war es dann an Vizepremier Jean Asselborn und Parteivorsitzendem Alex Bodry, um dem Regierungschef kurz vor der wöchentlichen Kabinettsitzung die unangenehme Nachricht zu überbringen: Dass es nach Meinung der LSAP sinnlos sei, noch bis Mai nächsten Jahres so weiter zu machen. Der Staatsminister soll den beiden nicht ganz Unrecht gegeben haben. Nach der Sitzung des Regierungsrats konnte Bodry dann als Vorsitzender des parlamentarischen Ermittlungsausschusses endlich zur von der CSV mehrmals verzögerten Abstimmung über den für Juncker ziemlich vernichtenden Bericht aufrufen. Dabei vollzog auch die CSV den Bruch: Anders, als lange von den anderen Parteien erwartet, enthielt sie sich nicht, sondern stimmte gegen den Bericht. Der Koalitionspartner und die Opposition versetzen die mit Abstand größte Partei in die Minderheit. Aber der parlamentarische Ermittlungsausschuss war schon ein halbes Jahr zuvor gegründet worden – vier Tage, nachdem d’Lëtzebuerger Land den Wortlaut eines heimlich vom damaligen Nachrichtendienstdirektor aufgezeichneten Gesprächs mit Premier Jean-Claude Juncker abgedruckt hatte. Seither wurden immer neue Verfehlungen des Nachrichtendienstes publik, die Juncker vor allem während der vorigen Legislaturperiode tolerierte oder zu vertuschen half. Doch in Wirklichkeit wusste der parlamentarische Kontrollausschuss, das heißt, wussten alle Fraktionsvorsitzenden der Regierungs- und Oppositionsparteien seit dem 9. Juni 2009 von dem heimlich aufgezeichneten Gespräch. Auf diesem Weg erfuhren, wenn auch lückenhaft, Mehrheit und Opposition teilweise Jahre vor der Öffentlichkeit von anderen „Dysfunktionen“ im Nachrichtendienst. Kein Wunder, dass Jean-Claude Juncker während seiner Pressekonferenz Anfang Dezember gefragt hatte, weshalb diese Informationen gerade zu diesem Zeitpunkt nach und nach publik gemacht wurden. Während des CSV-Kongresses im März hatte Juncker nicht genannte Strippenzieher verdächtigt, „das Land in Daueraufregung“ zu versetzen, um es unregierbar zu machen und die Regierung zu destabilisieren. Parteipräsident Michel Wolter war aufgefallen, dass nach der Affäre um das Wickrange Shopping Center und die Liwinger Stadion-Mall pünktlich die Cargolux-Affäre und danach die Geheimdienstaffäre folgten. Vor einem Monat hatte Juncker „die anderen Fraktionen“ beiläufig gefragt, „ob sie sicher sind, dass ihre Mitarbeiter nicht vor vier, fünf Monaten so oft mit Agenten des Geheimdienstes zusammenkamen, dass sie am Ende nicht mehr wussten, wer von beiden am meisten gelogen hat“. Neben der Opposition und ehemaligen Nachrichtendienstagenten werden aber auch Hintermänner der Terrorwelle der Achtzigerjahre der Destabilisierung verdächtigt, weil die explosiven Informationen nicht nur zum Beginn des Wahlkampfs, sondern auch des Bommeleeërten-Prozesses in Umlauf gebracht wurden. Was weder den Oberstaatsanwalt, noch die Strafkammer entmutigte, mitzumischen. Aber so schwerwiegend die gegen Jean-Claude Juncker erhobenen Vorwürfe auch sind: Es wäre durchaus vorstellbar gewesen, dass CSV und LSAP unter diesem oder jenem Vorwand und gegen alle Anfeindungen der Opposition eine breite Mehrheit im Ermittlungsausschuss und im Parlament gefunden hätten, um die Regierungskoalition zu retten – wenn diese noch ein gemeinsames politisches Ziel verfolgt hätte. Denn im Grunde wurde diese Woche der Bruch der Koalition vollzogen, der nach dem Bruch der Tripartite vor drei Jahren bloß aufgeschoben worden war. Wie beim überraschenden Votum des Euthanasiegesetzes gegen die CSV zwei Jahre zuvor hatten die Sozialisten damals die CSV erneut vorgeführt, als sich Arbeitsminister Nicolas Schmit öffentlich von dem Sparpaket von Haushaltsminister Luc Frieden distanzierte und die LSAP die Regierungspolitik von einem Index-Kongress in Moutfort abhängig machte. „Luxemburg steckt in einer handfesten politischen Krise“, hatte das Luxemburger Wort daraufhin in seinem Leitartikel geschlussfolgert und gefragt: „Neuwahlen als Ausweg? Vielleicht wäre genau das der einzig richtige Weg.“ Premier Jean-Claude Juncker hatte aber gemeint, dass die Regierung „in den letzten Wochen suboptimal funktionierte. Doch auch wenn der Lack ein wenig zerkratzt ist; diese Koalition hat noch genug Puste, um das zu tun, was sie zu tun hat.“ In Wirklichkeit aber war die Koalition damals ihrer Geschäftsgrundlage verlustig gegangen, die anschließende Geschäftsauflösung wurde diese Woche vollzogen. Die CSV hatte ihrer konservativen Wählerschaft und der LSAP Sicherheit versprochen. Doch mit dem chronischen Staatsdefizit, dem Ende des Bankgeheimnisses, immer neuen, sich widersprechenden Sparpaketen und ihrem unkontrollierbar gewordenen Geheimdienst scheint sie nicht mehr in der Lage, ihr Versprechen einzulösen. Die LSAP hatte ihren lohnabhängigen Wählern und der CSV soziale Sicherheit und sozialen Frieden versprochen, aber mit anhaltenden Indexmanipulationen, Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen scheint auch sie unfähig geworden, ihr Wahlversprechen einzuhalten. Am Grab der Tripartite fragt sich seither ein liberaler CSV-Flügel, wozu eine Koalition mit den von Wahlen zu Wahlen geschwächten Sozialisten noch gut sein soll, wenn sie nicht mehr in der Lage sind, ihre Rolle bei der politischen Einbindung des OGBL zu spielen. Und bei der LSAP befürchtet eine flügelübergreifende Mehrheit, bei den nächsten Wahlen erneut die Zeche für die immer wirrere Sparpolitik der christlich-sozialen Finanz-Koryphäen zu zahlen. Mit dem Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise vor fünf Jahren ging nicht nur eine Epoche der automatischen Indexanpassung, der niedrigen Mehrwertsteuer und des Bankgeheimnisses, sondern auch des Luxemburger Modells des Sozialdialogs und der euphorischen Teilnahme an der europäischen Integration zu Ende. Denn vielleicht ist es die Krise des vom Finanzkapital getriebenen globalen Neoliberalismus, an dem Luxemburg jahrelang so erfolgreich mitverdient hatte. Seit die Maastricht-Kriterien und die Schuldenbremse den politischen Spielraum für Finanz- und Sozialpolitik zusehends verringerent, warten die Modernisierer aller Couleur auf den Umbau des Sozialstaats von einem umverteilenden zu einem bloß noch karitativen, warten eigens für den Wahlkampf gegründete Unternehmerlobbys darauf, über Index-, Mindestlohn- und Gehälterreformen im öffentlichen Dienst die Lohnstückkosten auf das Niveau des Haupthandelspartners Deutschland senken zu können. Alles Dinge, die nur langsam mit einer LSAP umzusetzen sind, die nur unter Qualen zur linksliberalen Modernisiererpartei wird, und mit einem etwas zu linken, abgekämpften Premier Jean-Claude Juncker, dem nur noch zweitbeliebtesten Politiker des Landes. So stürzten, mit oder ohne Komplott, die müden Männer, die immer wieder beim Zögern erwischt wurden, die mit ihrer zu teuer gewordenen katholischen und laizistischen Sozialdemokratie niemand mehr braucht, denen der Wind der Geschichte ins Gesicht blies, sich am Mittwoch selbst.
Catégories: Affaire Srel
Édition: 12.07.2013