Premier Luc Frieden reist nach Paris, um sich auf eine mögliche Post-Nato-Welt einzustellen. Außenminister Xavier Bettel in die USA, um Verflechtungen mit Tech-Unternehmen zu vertiefen

„D’Zukunft vun Europa gëtt vun eis Europäer décidéiert“

Premier Luc Frieden muss diplomatisches Geschick zeigen
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 21.02.2025

Mit Luc Frieden hat Luxemburg einen Amerika-affinen CSV-Premierminister. Im Podcast Gëlle Fro gab er an, sich an Reden von Barack Obama zu orientieren. Von 1987 bis 1988 besuchte er die Harvard Law School, über die er sagt, sie sei ein „Ort, an dem man lernt, nach Spitzenleistungen und Perfektion zu streben“. Er habe sich dort vieles angeeignet, was ihm in seinem späteren Berufsleben als Anwalt und Politiker nützlich wurde: „Hart arbeiten, sorgfältig analysieren, Probleme lösen sowie Verhandlungsmethoden anwenden, um seine Ziele zu erreichen.“ Eine gewisse Bewunderung für die USA war in Friedens Worten während des Wahlkampfs 2023 herauszuhören. Und er zeigte sich zuversichtlich, was die transatlantische Zusammenarbeit betraf. 2009 bot sich Finanzminister Luc Frieden gar als „Go-to-Guy“ für die US-Regierung an: Nicht mit Außenminister Jean Asselborn (LSAP) solle sich der amerikanische Botschafter austauschen, sondern mit ihm – insbesondere in Fragen des Bankgeheimnisses. Dies geht aus einem von der US-Botschaft verfassten Dokument hervor. Sie hielt damals überdies fest: „Frieden ist einer der offensten Freunde der Vereinigten Staaten in der luxemburgischen Regierung.“ Der ehemalige Wirtschaftsminister Jeannot Krecké bestätigte 2012 im Forum, dass Luc Frieden bei vielen Treffen in der US-Botschaft anwesend gewesen sei und dort Kontakte zu CEOs großer Konzerne geknüpft habe. Auch sein Sohn ist mit den USA vertraut, er arbeitet in Paris für die auf Wirtschaftsrecht spezialisierte Anwaltskanzlei Baker McKenzie mit Sitz in Chicago.

Beim KI-Gipfel in Paris vor zwei Wochen wollte sich der CSV-Premier den USA abermals nahe zeigen: „Welcome to Europe, JD Vance“, postete er während des Treffens in Paris auf X. „Luxemburg und die USA sind und bleiben Partner – auch in herausfordernden Zeiten.“ In der darauffolgenden Woche teilte er dem Parlament mit, er habe dem amerikanischen Vizepräsidenten in Paris gesagt, die USA seien ein „historischer Freund“. Xavier Bettel pflichtete ihm im Parlament am gleichen Tag bei: Man dürfe nicht vergessen, dass in Hamm junge Amerikaner begraben liegen, die für unsere Freiheit gestorben sind. In den Tageszeitungen und im Radio wird derzeit nahezu wöchentlich über die Ardennenoffensive berichtet. Es sind nun genau 80 Jahre her, dass die Amerikaner als unsere Alliierten Europa von dem Joch des Nazi-Faschismus befreiten.

Ob das uns einst bekannte Amerika – das Amerika der Rechtsstaatlichkeit – noch bestehe, fragte sich die grüne Abgeordnete Sam Tanson vor zehn Tagen im Parlament. Wie solle sich Luxemburg gegenüber den USA positionieren, wenn diese die Prinzipien der liberalen Demokratie kontinuierlich aufgeben und nicht mehr zu den „good old days“ zurückfinden? Der CSV-Premier gab sich an jenem Mittwoch diplomatisch: Die transatlantische Allianz bestehe weiterhin, Amerika sei ein „Partner, Alliierter und Freund“. Am Donnerstag vor einer Woche verkündeten die USA allerdings, ohne Europa mit Russland verhandeln zu wollen. Der Ton von Luc Frieden veränderte sich am darauffolgenden Tag. Vor seinem Abflug zur Münchner Sicherheitskonferenz fielen einige schärfere Sätze während eines Pressebriefings: „D’USA ënner der neier Féierung wëllen diktéieren, wéi d’Welt, y compris Europa, soll ausgesinn.“ Und schickte hinterher, man müsse sich „mental darauf einstellen“, dass das Verteidigungsbudget auf drei Prozent des RNB steigen wird. Wenige Stunden nach diesen Aussagen mischte sich der amerikanische Vizepräsident Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz in den deutschen Wahlkampf ein und forderte, dass rechtsextreme Gruppen nicht mehr isoliert werden sollten. So genau wisse die Trump-Regierung noch nicht, ob sie noch an der Seite der Europäer steht, lässt Vance durchblicken. Daraufhin kommentierte Luc Frieden am Mikrofon von Radio 100,7, man sei es „noch nicht gewöhnt, so unter Freunden und Alliierten miteinander zu reden“. Der neue Stil aber bereite ihm Sorgen.

In der Zwischenkriegszeit begann das Jahrhundert der USA: Mit dem Slogan „Durst kennt keine Jahreszeit“ landete Coca-Cola einen weltweiten Werbecoup; dem Amerikaner Charles Lindbergh gelang erstmals ein transatlantischer Flug ohne Zwischenstopp; das Fließband wurde zum Symbol der amerikanischen Industrie und Arbeitsteilung; Hollywood avancierte zur Welthauptstadt der Filmindustrie – der Slapstick-Comedian Buster Keaton bespielte die amerikanische Soft Power. In dieser Zeit begannen sich auch die diplomatischen Beziehungen zu verdichten. Raymond de Waha wurde 1920 in Washington als chargé d’affaires luxembourgeoises akkreditiert; in Chicago, New York, Redfield, Los Angeles, San Francisco und Saint Paul wurden in den 1920er- und 1930er-Jahren großherzogliche Konsulate eröffnet.

Während des Zweiten Weltkriegs traf sich Großherzogin Charlotte mehrfach mit dem amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt. Im Oktober 1940 sagte sie bei ihrer Ankunft in New York: „Jetzt, wo ich meinen Fuß auf amerikanischen Boden setze, bin ich glücklich, mich unter den Menschen der Vereinigten Staaten zu befinden.“ Unter der „aufgeklärten Führung von Präsident Roosevelt“ seien die USA zu den „Hütern von Freiheit und Gerechtigkeit“ geworden. Es sei ein starker Trost für „die Kleinen und Schwachen“, dass „die Vereinigten Staaten niemals gewaltsam herbeigeführte territoriale Veränderungen anerkennen werden“. Am 10. September 1944 zogen schließlich amerikanische Soldaten durch die Straßen von Luxemburg-Stadt und verteilten Hershey-Schokolade, Wrigley-Kaugummi und Zigaretten an die Einwohner. Etwa 30 000 bis 40 000 Amerikaner befanden sich am Ende des Zweiten Weltkriegs in Luxemburg verteilt; sie wurden als Befreier und Kriegssieger bewundert, General George Patton als Held der Ardennenoffensive gefeiert. Mit den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945 machten die USA der Welt klar, dass sie eine Nuklearmacht sind. Die Europäer suchten nun ihren Schutz.

Die militärische Annäherung an die USA fand zunächst jedoch indirekt statt: Luxemburg alliierte sich in der Nachkriegszeit im militärischen Bereich wie auch in anderen Bereichen hauptsächlich mit Belgien und den Niederlanden. Dies zeigte sich beispielsweise am Brüsseler Pakt, den die Benelux-Länder 1948 gemeinsam mit Großbritannien und Frankreich unterzeichneten. Das Abkommen war ein militärisches und politisches Beistandsbündnis – als Schutz vor einer erneuten deutschen Aggression, wie in dem Band Militärgeschichte Luxemburgs, herausgegeben von Thomas Kolnberger und Benoît Niederkorn, nachzulesen. Im gleichen Jahr ließ die Regierung den Neutralitätspassus aus der Verfassung streichen, um proaktiv den Anschluss an westliche Allianzen voranzutreiben. 1949 schließlich reiste Außenminister Joseph Bech nach Washington und unterzeichnete das Nato-Abkommen. Die Block-Ideologie bahnt sich ab den 1950er-Jahren ihren Weg in politische und wirtschaftliche Beziehungen und das militärische Material wurde ab diesem Zeitpunkt auf amerikanische Standards vereinheitlicht. Durch die Nato-Mitgliedschaft siedelte sich eine Dekade später die Namsa in Capellen an, die Wartung und Nachschub von Waffensystemen organisiert, sowie das WSA-Zentrum der US Air Force in Sanem, das Reservematerial lagert. Da man sich nicht mehr unmittelbar durch territoriale Ansprüche bedroht fühlte, schaffte Luxemburg neben Großbritannien als eines der ersten europäischen Länder 1967 die Wehrpflicht ab. Anders als im heutigen Ukraine-Konflikt profitierten die Westeuropäer damals ökonomisch und politisch von stabilen Verhältnissen.

Die ökonomische Verflechtung, die in der Zeit des Kalten Krieges begann, bestehen noch immer. DP-Außenminister Xavier Bettel verschickte am Mittwochmorgen eine nüchterne Pressemitteilung, in der es hieß, er habe in San Fransico das Unternehmen Salesforce, die Hersteller selbstfahrender Autos Waymo und Zoox (ein Tochterunternehmen von Amazon) sowie das KI-Unternehmen Open-AI besucht. Auf Instagram war er mitteilungsfreudiger. Er postete ein Video, in dem er auf dem Rücksitz eines selbstfahrenden Jaguars durch die Straßen von San Francisco fährt: „Autonome Mobilität wird auch in Europa Realität werden – es ist an der Zeit, in die Zukunft zu investieren!“, ist sich der liberale Minister sicher. Und weiter: „Luxembourg is well-positioned to remain at the forefront of innovation, and we must continue to attract pioneering companies and brilliant minds.“ Tessy, ehemalige Prinzessin und heute Unternehmerin, fand das „super cool“. Im RTL-Neujahrsinterview kündigte Premierminister Luc Frieden bereits an, dass sich die Regierung in den kommenden Monaten intensiv mit KI-Entwicklungen befassen werde – man müsse massiv in diesen neuen Markt investieren und werde bald eine KI-Strategie vorlegen.

1948 entschloss sich Goodyear als erstes amerikanisches Unternehmen, in Luxemburg Fuß zu fassen. Ein Jahr zuvor hielt der US-Staatsekretär Georges Marshall eine Rede an der Universität Harvard und stellte seinen Plan für den wirtschaftlichen Wiederaufbau in Europa vor. Durch den Marshallplan wurden Ende der 1940-er-Jahre über zwölf Milliarden Dollar in westeuropäische Staaten investiert (umgerechnet auf heute, dürfte der Wert bei 130 Milliarden liegen). 1951 wird die Reifenfabrik in Colmar-Berg eingeweiht, die das Echo de l’industrie als „modernen Entwurf“ lobt, der in „kürzester Zeit“ realisiert wurde. Damals investierte das Unternehmen aus Ohio 400 Millionen Franken, um sich auf Grundstücken der großherzoglichen Familie niederzulassen und ist heute mit 3 440 Angestellten der neuntgrößte Arbeitgeber im Großherzogtum. In den 1960-er-Jahren folgen weitere Industriebetriebe, wie das Kupferblech-Unternehmen Circuit Foil SA mit einem Standort in Wiltz; Dupont de Nemours in Contern; das Metalverarbeitungsunternehmen Saint-Gobain Abrasives in Kerschen und Uniroyal in Steinfort (heute Textilcord). Letzteres war der erste Arbeitgeber von Jean Asselborn (LSAP). Umgekehrt ließ sich Trade-Arbed 1976 in der Third Avenue in New York nieder. Später folgten Cargolux, Paul Wurth, Rotarex und SES.

Auch Banken suchten ihren Weg nach Luxemburg. Die State Street Bank mit Sitz in Boston ist beim Statec mit über 540 Angestellten aufgeführt. Mit einer geringeren Anzahl an Mitarbeitern sind JP Morgan, die Citibank und Brown Brothers Harriman vertreten. Diese globalen Akteure konzentrieren sich auf Vermögens- und Fondsverwaltung. Weil sich die Fondsindustrie vorrangig an Trends und Anlagestrategien des einflussreichen US-Marktes orientiert, besteht in dieser Hinsicht eine große Abhängigkeit von den USA. Darüber hinaus operiert die Investmentgesellschaft Blackrock seit 27 Jahren aus Luxemburg.

Anfang der 2000-er-Jahre verlagerte sich der Fokus zunehmend auf Tech-Unternehmen. 2003 zog Amazon auf den Kirchberg und zählt mittlerweile über 4 000 Mitarbeiter – damit ist das US-Unternehmen der fünftgrößte Arbeitgeber Luxemburgs. Im selben Jahr bezog Microsoft in Clausen einige Büros, allerdings mit nur zwölf Angestellten. Um die IT-, Biotech- und E-Commerce-Branche anzulocken, reiste Jeannot Krecké, Wirtschaftsminister von 2004 bis 2012, mehrfach in die USA und präsentierte Luxemburg als „Headquarter for Europe“. Dies sei ein „wirkungsvoller Slogan“ gewesen, da viele Unternehmen damals eine zentral gelegene Niederlassung in Europa suchten, wie Krecké in einem Forum-Interview erklärte. Besonders an diesen Gesprächen sei gewesen, dass sie „direkt über die Unternehmen liefen“ – er habe „keine politisch Verantwortlichen“ besucht. Gelegentlich reiste der Erbgroßherzog mit, um das Verhandlungsgewicht zu erhöhen. Die Unternehmen seien „begeistert“ gewesen, „einen Prinzen zu treffen“, wenngleich die Amerikaner „eigentlich überhaupt nicht wissen“, was eine Monarchie sei, so Krecké.

Zu Beginn dieser Woche fühlte sich Luc Frieden jedoch nicht nur von der Trump-Regierung herausgefordert, sondern auch vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Dieser diskutierte am Montag in Paris mit Staatschefs bedeutender militärischer Kapazitäten wie Großbritanien, Deutschland und Polen über die europäische Sicherheitspolitik. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schlug bei ihrer Ankunft einen scharfen Ton an. Sie schrieb auf X: „We need an urgency mindset. We need a surge in defense.“ Frieden zeigte sich seinerseits gekränkt, weil er nicht eingeladen wurde: „Es wäre besser, wenn wir zu 27 wären. Wir müssen vereint bleiben“, wird er im Wort zitiert. Zwei Tage später wurde er schließlich zusammen mit weiteren Staatschefs in den Élysée-Palast eingeladen. Nach dem Treffen gab er sich gegenüber Radio 100,7 europäisch und entschlossen: „Mir deelen déi selwecht Meenung, nämlech datt mir mussen Eenheet weisen, datt mir mussen un der Säit vun der Ukrain stoen, an datt d’Zukunft vun Europa vun eis Europäer decidéiert gëtt, an net vun aneren.“

Im Wort versuchte Generalstabschef Steve Thull am Wochenende noch zu beschwichtigen – ein Nato-Austritt würde für die USA zu hohe Kosten verursachen und „keinen Sinn machen“. Die renommierte Politologin und Sicherheitsexpertin Jana Puglierin mahnt jedoch, dass eine Annäherung der USA an Russland aus Sicht der Trump-Regierung strategisch vorteilhaft sein könnte. Einerseits könnte sie Russland aus einer Allianz mit China lösen und andererseits mit Russland energiepolitische Ansprüche in der Arktis aushandeln – wie beim Treffen in Saudi-Arabien zu vernehmen gewesen sei. Die Trump-Regierung gibt überdies zu verstehen, dass sie die notwendigen Militärhilfen für die Ukraine nicht mehr aufbringen will und möglicherweise nicht als Sicherheitsgarant in Europa fungieren möchte.

China drängt seinerseits zunehmend auf das europäische Spielfeld und bietet eine Zusammenarbeit an, die über wirtschaftliche Interessen hinausgehen soll. Der chinesische Botschafter sagte im Januar gegenüber dem Land, man wolle „strategische und langfristige Perspektiven“ zwischen China und der EU etablieren. „Es handelt sich nicht um eine Zweckehe, in der man sich gemeinsam vorübergehenden Herausforderungen stellt und sich dann wieder trennt. Wir müssen eine solide und reife Beziehung aufbauen.“ Denn es gebe neben den US-Zöllen viele weitere Herausforderungen, wie den Klimawandel, Gesundheitsfragen und die globale wirtschaftliche Stabilität, so Botschafter Hua Ning. Deshalb meinte er: „Die Beziehungen zu China für die Gunst der USA zu opfern, wäre ein großer Fehler.“ Kommt es nun zu einer Annäherung an China, oder überlegt es sich US-Präsident Donald Trump noch einmal anders und zwingt Europa in einen Handelskrieg mit China? Vieles bleibt derzeit offen.

Während Premier Frieden am Mittwoch im Élysée-Palast sitzt und signalisiert, dass die transatlantische Politik bröckelt, trifft sich Außenminister Xavier Bettel in Texas mit Vertretern des Softwareunternehmens Oracle, um die wirtschaftliche Verflechtung mit den USA zu vertiefen. Eine Reihe von Tech-Investoren und CEOs verbirgt ihre autoritäre Weltsicht und Überwachungsfantasien kaum noch – so auch Oracle-Gründer Larry Ellison. Er träumt von einer Welt, „in der KI-Systeme über Kameras und Drohnen Menschen ständig beobachten“. Außenminister Bettel freut sich auf Instagram indes über seine Tech-Einsichten: „During my meeting at Oracle, I gained valuable insights into the company’s latest technological advancements and discussed opportunities to strengthen our collaboration.“ Oracle ist, ebenso wie Open-AI, an dem Stargate-KI-Projekt beteiligt, das von der Trump-Regierung unterstützt wird.

Stéphanie Majerus
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