leitartikel

Eskalation

d'Lëtzebuerger Land du 21.02.2025

Die Welt gerät derzeit aus den Fugen. Doch auf eine bittere Tatsache ist Verlass: Die Schlagzeilen um die Gewalt gegen Frauen und ihre schlimmste Eskalationsstufe sind endlos. Jeden zweiten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet. Die Vereinten Nationen schätzen die Zahl an Femiziden durch Partner oder andere Familienangehörige auf 51 000 Frauen (2023). Die Soziologin Diane Russell definierte den Femiziid 1976 als „Tötung aufgrund geschlechtsbezogener Ungleichwertigkeit“. Frauen müssen sterben, weil sie Frauen sind. Luxemburg ist keine Insel: Vergangenes Wochenende griff die Polizei in Luxemburg einen Mann in der Stadt auf, der kurz zuvor seine Frau getötet hatte. Eine weitere Frau ging in Esch/Alzette zur Polizei, weil ihr Ehemann ihr angedroht hatte, sie umzubringen.

Die Gewaltbereitschaft gegenüber Frauen, die von Männern aller Alterssparten und allen Kulturen ausgeht, und deren Ausdruck diese Taten sind, wird erst seit wenigen Jahren öffentlichkeitswirksamer diskutiert. Im Nachbarland Deutschland nimmt die Gewalt zu, wie das Bundeslagebild zur Gewalt an Frauen vor drei Monaten feststellte. Mittlerweile ist Mord im Partnerschaftskontext die weltweit häufigste Tötungsursache von Frauen. Doch man muss die Frauen nicht kennen, um tiefsitzende Ressentiments gegenüber von ihnen als Geschlecht zu entwickeln und gewalttätig zu werden. Politisch oder ideologisch geschürter Hass und alltägliche, häusliche Gewalt hängen zusammen. Ein gutes Drittel von Attentätern übten Gewalt vorher an ihren Partnerinnen aus.

Um zu verstehen, dass es eine globale Krise der Männlichkeit gibt, die diese Ressentiments befeuert, reicht der tägliche Blick in die Nachrichten. Je mehr sich junge Männer in einer hochkomplexen und stark polarisierten Welt abgehängt fühlen, sich im Netz über die nunmehr von rechten Bro-Clubs geführten Social-Media-Kanäle radikalisieren, umso mehr nimmt die Suche nach einem Sündenbock für ihre Entfremdung und Isolierung zu. Frauen eignen sich hervorragend, denn bei ihnen greifen die von Männern zusätzlich verinnerlichten Besitzansprüche – und die meisten Frauen sind physisch unterlegen.

Es dauerte lediglich wenige Jahrzehnte der Emanzipierung, bis erste Attentäter spezifisch Frauen visierten. In den 80er- und 90er- Jahren gab es die ersten Attentate in dieser Form in Kanada und den Vereinigten Staaten, seit dem Amoklauf in Isla Vista in 2014, wo der „Incel Founding father“ sein frauenfeindliches Manifest hinterließ, mehren sie sich. Die Gewalt im Zuhause wie auch außerhalb hat System. Die Gesetzgebung nicht. In vielen EU-Staaten wird der Femizid bisher noch nicht separat als geschlechtsspezifische Gewalt erfasst, ist demnach kein Straftatbestand. Täter werden wegen Mordes oder Totschlags verurteilt. Hier im Land wurde 2023 der erschwerende Tatbestand der Diskrimination dem Strafgesetzbuch hinzugefügt (Artikel 80). Er bezieht sich jedoch nicht nur aufs Geschlecht, sondern auch auf etwa den Migrationshintergrund. Bisher wurde noch kein rechtskräftiges Urteil gesprochen, das diesen Artikel zitierte. Allerdings können erschwerende Straftatbestände wie die Beziehung zum Opfer insbesondere bei Gewalt und sexueller Gewalt höhere Strafen als sie der Artikel 80 vorsieht, nach sich ziehen. Im Sommer will die liberale Gleichstellungsministerin Yuriko Backes mit dem nationalen Aktionsplan gegen geschlechtsspezifische Gewalt neue Präventionsformen vorlegen.

Das Sichtbarmachen des Femizids in Statistiken ist insbesondere deshalb so wichtig, weil die Reaktionen auf das Thema der misogynen Gewalt nahelegen, es handle sich um Einzelfälle. Insbesondere Männer auf Social Media suhlen sich im Refrain „nicht alle Männer“ seien so – eine Abwehrreaktion, die eine tiefere Auseinandersetzung mit der Problematik unmöglich macht.

„Wat ass mat de Männer lass?“, fragte Isabelle Schmoetten, Leiterin des CID Fraen a Gender, vergangenen Oktober im 100,7. Sie stellt die berechtigte Frage, weshalb man von anderen Männern in Bezug auf das Thema so wenig hört. Mit großer Wahrscheinlichkeit drängen am 8. März wieder mehrheitlich Frauen auf die Straßen. Um ihren eigenen Schutz kümmern sie sich meistens selbst, obwohl es alle angeht. Statt dass die Geschlechter sich weiter voneinander weg polarisieren, sollte dieser Kampf sie einen.

Sarah Pepin
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