Manche der Bilder verstören. Menschenunwürdige Lebensumstände, ein prügelnder Rechtsstaat, ein zynisches System. Menschen, die um Würde und ums Überleben kämpfen. Dies sind Szenen aus dem Film Illégal von Regisseur Olivier Masset-Depasse. Die gezeigte Brutalität in der luxemburgisch-belgisch-französischen Koproduktion (Iris Productions) widerspricht dem gewohnten, angenommenen und gelebten Wohlstandsweichei-Dasein und übersteigert dessen Vorstellungsvermögen davon, was Menschen bereit sind auf sich zu nehmen, um im gelobten und gepriesenen Westen zu leben. Vorvergangene Woche feierte der Film beim Festival de Cannes seine Premiere und wurde in der Quizaine des réalisateurs der Filmfestspiele mit dem Prix SACD (Société des auteurs et compositeurs dramatiques) ausgezeichnet.
Der Film von Masset-Depasse schildert das Schicksal der Russin Tania (Anne Coesens) und ihres 14-jährigen Sohns Ivan (Alexandre Gontcharov), die zu Beginn des Jahrtausends nach Belgien kommen, aber keine Aufenthaltsgenehmigung erhalten, sondern des Landes verwiesen werden. Die Mutter entscheidet sich illegal im Westen zu bleiben und verschleiert mit drastischen Mitteln ihre Identität. Doch der Sohn sucht nach eben dieser Identität und seinen Wurzeln, möchte weiterhin auch Russisch sprechen, was Mutter und Sohn zum Verhängnis wird. Bei einer Polizeikontrolle werden sie erwischt; der Sohn kann entkommen, für die Mutter beginnt die Abschiebehaft. Sie versucht zunächst mit Schweigen ihre Identität und vor allem ihr Herkunftsland zu verheimlichen, um einer Abschiebung zu entgehen. Dann wendet sie eine List an. Doch auch diese kann den weiteren Schicksalsweg nicht abwenden. In der Abschiebehaft freundet sie sich mit Aïssa an, die ihrer eigenen Abschiebung durch einen drastischen Entschluss zuvorkommt.
Olivier Masset-Depasses Illégal ist brutal. Nicht wegen blutrünstiger Effekte oder besonders viel spritzendem Filmblut, sondern aufgrund der realistischen Darstellung. Der Film zeigt die Brutalität des Systems aus Reichtum und Abschottung im Kontrast zu der Verzweiflung von Menschen, die sich darüber hinwegsetzen und ihren Traum von einem besseren Leben einfach nur leben wollen. Masset-Depasses nimmt den Glauben an die Neutralität des Rechtsstaats oder das zweifelhaft beruhigende Gewissen, dass vor dem Gesetz alle Menschen gleich seien. Manche Bilder wirken zu dick aufgetragen, man möchte an der Realität dieser Szenen zweifeln. Doch bekannte Fälle aus Belgien und Deutschland belegen, dass das Gezeigte nicht der Fantasie eines Bru-talo-Drehbuchschreibers stammt, sondern dem wirklichen Leben entnommen wurden – einer Realität, die man im Wohlstandswesten nicht immer sehen oder wahrnehmen möch-te, wenn es darum geht, eigene Pfründe zu verteidigen.
Getragen wird der Film vor allen Dingen durch die schauspielerische Leistung Anne Coesens, die der tragischen Titelheldin die Angst gibt, aber auch den unbeugsamen Willen – die Angst, die ihr tagtägliches Leben mit gefälschten Papieren in Belgien bestimmt und den unbeugsamen Willen, mit dem sie gegen die Abschiebung aufbegehrt. Es ist bereits die vierte Zusammenarbeit des belgischen Regisseurs und der belgischen Schauspielerin. Man hat sich aneinander gewöhnt. Dennoch vermeidet ihr Spiel durch die abgestumpfte Kühle und verzweifelte Härte zu große empathische Momente, die beim Betrachter schnell in emotionale Nähe umschlagen könnten. Der Film bleibt nüchtern und gewinnt gerade dadurch, verzichtet auf melodramatische Momente und Gefühlsduselei. Genau darin liegt seine Kraft und seine glaubhafte Nähe. Er zeigt schonungslos das Leben der illegalen Einwanderer in ebenso illegalen Strukturen, die durch Gewalt und Ausbeutung bestimmt sind, aber dennoch besser scheinen als das Vegetieren unter inhumanen Bedingungen in der Abschiebehaft.
Olivier Masset-Depasse ist ein glaubhaftes, stilles Werk gelungen, das zum Nachdenken über die eigene Besitzstandswahrung anregt. Der Film wurde mit Mitteln des luxemburgischen Filmfunds realisiert. Der Filmstart steht zurzeit noch nicht fest. In Cannes wurde der Film erfolgreich vermarktet.