Robert Mathieu steckt mitten in der Vorbereitung eines Großeinsatzes der luxemburgischen Polizei bei einem Weltwirtschaftsforum, das am 2. Mai 2008 auf Schloss Senningen stattfinden soll. Die E-Mail seiner ehemaligen Lebensgefährtin Ulrike Schaeffer, die für das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz arbeitet, hat dem Kommissar gerade noch gefehlt. Man hat eine Terrordrohung erhalten. Gefordert wird ein umfassender Schuldenerlass für ärmste Länder, Umweltschutzmaßnahmen zur weltweiten Erhaltung der Wasserressourcen und der militärische Rückzug aus Irak und Afghanistan. Was die Polizei nur vermutet, weiß der Leser schon: Die Terroristen sind eine Gruppe von Studenten, die Killerviren (nämlich Ebola und Marburg-Virus) aus einem Marburger Institut gestohlen haben und außerdem über atomar verseuchtes Wasser verfügen, das sie in den Stausee schütten wollen. Pikantes Detail: Zum sozialen Umfeld der Terroristen gehören auch Mathieus Sohn Jeff und dessen Freundin Susanne, die bald ins Fadenkreuz der Ermittler geraten.
Ausreichend Material also für mindestens ein halbes Dutzend Tatort-Folgen; ein ambitioniertes Buch! Da werden mittels Austricksen sämtlicher computergesteuerter Überwachunssysteme technisch diffizilste Einbrüche bewerkstelligt, Querulanten in Hinterhalte gelockt und erbarmungslos abgemurkst; es gibt Armbandmikrophone wie seinerzeit bei Knight Rider und Fahrzeuge mit Selbstzerstörungsmechanismus. Zudem wird geballert, was das Zeug hält, und mehr als eine Verfolgungsjagd (Hubschrauber, Motorrad, Schnellboot) endet mit Schwerverletzten und Toten.
In Todeswasser hetzt Marco Schank, der neben seiner Tätigkeit als Krimiautor unter anderem als Bürgermeister und Abgeordneter bekannt ist, den Leser von einem Schauplatz zum nächsten und von einer dramatischen Entwicklung in die andere. Durch den nicht ungeschickten Gebrauch des bloßen Personalpronomens an einer Schlüsselstelle des Romans, wo der Einbruch ins Marburger Virenzentrum geschildert wird, gelingt es Schank, die Identität der wahren Drahtzieherin bis zum Schluss vor dem Leser zu verbergen, ohne auf eine Darstellung der Handlung aus der Täterperspektive zu verzichten. Dass sich die Einbrecherin alle relevanten Informationen vom Hauptverantwortlichen des Instituts besorgen und unbemerkt seine Chipkarte stehlen, kopieren und zurücklegen kann (der Komplize steht einsatzbereit mit einem Laptop hinter einem Baum), dass sie massenweise DNA-Spuren und Fingerabdrücke hinterlässt, ohne dass die Polizei ihr auf die Schliche käme, strapaziert die Grenzen des Glaubwürdigen zwar ein wenig, aber der Fehler mag hier durchaus bei einem phantasielosen Leser liegen. Derselbe phantasielose Leser wird sich vermutlich ebenso wundern, wenn man Mathieu ausgelassen für die Vereitelung eines Anschlags gratuliert und sich niemand daran erinnert, dass bei dieser Aktion mindestens drei Polizisten eine ungesunde Menge Blei abbekommen haben.
Zwar handhabt Schank die Stringenz der Handlung allgemein eher lasch; er scheint jedoch sehr darauf bedacht zu sein, das Hintergrundwissen, das er sich bei Wikipedia und anderswo angelesen hat (siehe „Nachwort des Autors“), optimal zu verwerten. Unglücklicherweise verfällt er dabei einer stilistischen Unart, die Umberto Eco als „Salgarismus“ bezeichnet hat1: Diese Unart besteht in einer ungeschickten Einfügung von Fakten und Informationen in den Erzähltext, die nicht oder kaum handlungsrelevant sind. Beispiel: „Seine Heimat waren die griechischen Rhodopen. Dort am Fluss Strymonas war er aufgewachsen. In dieser Ecke der Welt, unweit der Stadt Komotini, lebten seine Eltern und seine drei Geschwister. Die Rhodopen waren Teil eines stark zerklüfteten Gebirgsmassivs im Südosten Europas.“
Möglicherweise erschienen dem Leser von Todeswasser Schanks Salgarismen genauso liebenswert wie Eco diejenigen Salgaris, würden sie nicht von ziemlich vielen (Marco Schank schriebe wahrscheinlich „von einer Armada“) oder doch zumindest einer ganzen Reihe („einer Phalanx“) von stilistischen Bedenklichkeiten begleitet. Die zum Teil recht merkwürdigen Vergleiche („Das Fahrzeug hopste wie ein Tennisball,“ „sein Kopf vibrierte wie ein Schlagbohrhammer“) fallen dabei weniger ins Gewicht als die mit Klischees versetzte Sprache und der unablässige, fast schon penetrante Gebrauch abgenutzter Redewendungen. So sind etwa die Figuren zu differenzierten Gefühlsregungen nicht in der Lage. Sie schöpfen stattdessen aus einem Repertorium von Schablonenaffekten. Angst: „Ein eisiger/kalter Schauer lief ihm/ihr den Rücken hinunter.“ Erschrecken: „Das Herz rutschte ihm/ihr in die Hose.“ Erkenntnis: „Plötzlich fiel es ihm/ihr wie Schuppen von den Augen.“ Auch schon bevor derart lieblos hingehudelte Sätze zum fünften Mal im Text auftauchen, erwecken sie den Anschein, als habe der Autor sich beim Schreiben nicht besonders viel Mühe gegeben.
Ähnliches gilt für Passagen wie: „Er zwang sich zur Konzentration, verbannte die Geräusche um ihn herum aus seinem Kopf. Ruhe musste ihn erfüllen, um perfekt zu sein.“ – Grammatische Ausfälle dieser Art lassen den Leser endgültig daran zweifeln, ob der Autor sein Buch überhaupt noch einmal gelesen hat, bevor er es in den Druck gab. Indessen mag es sein, dass er dazu genauso wenig Zeit hatte, wie dazu, die Beweggründe seiner Figuren mit etwas mehr Sorgfalt darzustellen2. RTL gegenüber gab er an, aufgrund seiner Tätigkeit als Politiker habe er dazu nicht die nötige Muße. Ein paar Hobbys weniger würden dem Schriftsteller vielleicht nicht schaden.
Marco Schank: Todeswasser. Kriminalroman. Op der Lay, 2008. ISBN 978-2-87967-158-1.