Das Auffälligste an der Konferenz Les jeunes prive(é)s de liberté, die am vergangenen Dienstag von der Association nationale des communautés éducatives et sociales (Ances) in Zusammenarbeit mit der Uni Luxemburg organisiert wurde, war zunächst eine Personalie. Alle wichtigen Partner, die mit eingesperrten Jugendlichen zu tun haben, waren erschienen: der Ombudsmann für Kinderrechte, René Schlechter, Nico Meisch vom Familienministerium, Bob Piron von der Jugendstaatsanwaltschaft, Vincent Theis von der Schrassiger Haftanstalt, die Ombudsfrau Lydie Err, der Familienpsychologe Gilbert Pregno, und viele mehr.
Nur einer fehlte: der Direktor jener Einrichtung, über die in den nächsten Stunden diskutiert werden sollte. Zu viel Arbeit soll Fernand Boewinger als Grund genannt haben, warum er nicht, und auch nicht sein Stellvertreter, zur Diskussion erschien. Das Land hatte ihn einige Tage zuvor ebenfalls kontaktiert und in letzter Minute eine Absage für ein Gespräch bekommen. Man werde sich am 22. November Fragen stellen, teilte er in einem E-Mail mit. Ähnlich kurz angebunden war er gewesen, als das Land ihn vor einem Jahr über den Zwischenstand der Arbeiten für die geschlossene Jugendanstalt Unisec befragen wollt.
Dabei gäbe es allerlei zu diskutieren. Nicht nur ist die Unité de sécurité (Unisec) seit ihrer politischen Planung vor über zehn Jahren heftig umstritten. Eigentlich sollte das geschlossene Jugendheim, das wie das Jungenheim in Dreiborn und das Jugendheim in Schrassig dem Direktor Boewinger unterstellt sein soll, bereits im Januar die ersten Jugendlichen aufnehmen. Rechtliche Unklarheiten verzögerten den Start. Vor knapp zwei Wochen hieß dann der schwarz-rote Regierungsrat drei Gesetzentwürfe zur Reorganisierung des staatlichen Erziehungsheims Dreiborn, zum Personal sowie zur Unisec prinzipiell gut. Prinzipiell, denn noch liegen die Texte dem parlamentarischen Familienausschuss nicht vor, wie der Ausschussvorsitzende, CSV-Politiker Jean-Paul Schaaf, dem Land mitteilte.
Dass es im Getriebe schon wieder klemmt, hat eher technische Gründe: Mit der ebenfalls für diese Legislaturperiode geplanten Justizreform sollen die Sicherheitsbeamten, die in den künftig drei Luxemburger Gefängnissen sowie bei der Unisec zum Einsatz kommen, eine erweiterte Rolle erhalten: die des Fallmanagers. Weil sich die Reform aber hinzieht und die politisch Verantwortlichen darauf drängen, die Unisec endlich in Betrieb zu nehmen, wird das Wachpersonal ausschließlich Sicherungsaufgaben übernehmen. Allerdings sollen Sicherheitsbeamte in der Unisec, ebenso wie die Erzieher, die Möglichkeit haben, wechseln zu können. Burnout und Absentismus sind unter Gefängniswärtern, aber auch bei den Erziehern verbreitet, es fehlt an Personal. Ein Wechsel aus dem Privatsektor in den Staatsdienst ist nicht ohne Weiteres möglich. Viele scheitern an den rigiden Zugangsbedingungen zum Beamtenstatut.
Ein anderes Problem ist die Polizei: Sie soll, um Stigmatisierungen zu vermeiden, Jugendliche, die nach Dreiborn in die Unisec eingewiesen werden, nicht mit Blaulicht und in Uniform überstellen, sondern in Zivil. Erst kürzlich hatte der Psychologe Gilbert Pregno die in Luxemburg immer noch weit verbreitete unwürdige Praxis kritisiert, dass Polizisten in voller Montur vor Schulen fahren und dann Ausreißer oder Flüchtlingskinder, die abgeschoben werden sollen, aus den Klassen holen. Die Polizei aber besteht auf ihren Uniformen. Jetzt sollen die betreffenden Ministerien vermitteln. „Eine Lösung kommt, es dauert nicht mehr lange“, versicherte Nico Meisch, Beamter des Familienministeriums und Vorsitzender der Kontrollkommission von Dreiborn und Schrassig am Rande der Konferenz.
Doch selbst wenn die Texte vorliegen, ist damit die Kontroverse um die geschlossene Heimunterbringung nicht beendet. Die Gräben sind die alten und noch immer tief. Erst im Herbst hatte Lydie Err als Vorsitzende des Service de contrôle externe de lieux privatifs de libérté einen Bericht über die staatlichen Erziehungsheime Schrassig und Dreiborn sowie über die geplante Unisec vorgelegt. Darin hagelte es Kritik. Von maroden Sanitäranlagen über schlechtes Essen bis hin zu regelrechten Grundrechtsverletzungen, wie fehlende Einspruchsrechten, unklaren Verfahren bei Disziplinarstrafen oder fehlender Privatsphäre, reichte die Mängelliste, deren Veröffentlichung im Oktober vergangenen Jahres ein großes Medienecho fand.
„Vieles, was die Ombudsfrau in ihrem Bericht beanstandet hat, wird im neuen Gesetz berücksichtigt“, beteuerte Nico Meisch während der Konferenz. So sollen Leibesvisitationen nicht mehr auf Anordnung der Direktion durch das erzieherische Personal erfolgen, sondern ausschließlich durch Sicherheitsleute, die dabei die Würde des Jugendlichen nicht verletzen dürfen. Auch der Einsatz der Isolierhaft als erzieherische Maßnahme wird künftig genau geregelt. Als eine internationale Delegation von Menschenrechtlern im September 2012 die Wormeldinger Anstalt besuchte und ahnungslos fragte, was denn für Kriterien für die Unterbringung in einer der sechs Isolierzellen gelten würden, hatte Direktor Fernand Boewinger geantwortet: Er allein entscheide, ob ein Jugendlicher eine Strafe in der Isolierzelle antreten oder ob er stattdessen beispielsweise Gemeinschaftsarbeiten verrichten muss.
Die aufrichtige Antwort hinterließ einen bleibenden Eindruck auf die geschockten ausländischen Besucher, sodass die Begegnung sogar Eingang fand in die Dezemberausgabe des belgischen Journal du droit des jeunes. Unter der Überschrift L’art de l’enfermer les enfants hinterfragten die Autoren die Luxemburger Rechtslage, Funktionsweise, sowie das Zusammenspiel von Heim, Unisec und Haftanstalt. Kinder- und Menschenrechtler, wie der Belgier Benoît Van Keirsblick von Defence for Children International, betonen, die geschlossene Unterbringung dürfe nur als ultima ratio angewandt werden, wenn alle anderen erzieherischen Maßnahmen versagt haben, und auch nur in besonders schweren Fällen. Die Luxemburger Menschenrechtskommission warnte in ihrem Gutachten zur Strafvollzugsreform diese Woche vor der Unisec: „Cela aurait pour effet une banalisation de l’incarcération des mineurs à l’Unisec, qui doit toutefois rester une mesure exceptionelle et prise avec les plus grand discernement.“ Sie erinnerte überdies daran, „que l’enfermement n’est pas une mesure éducative pour les adolescents désobéissants, mais doit être strictement réservé à des jeunes qui ont transgressé des lois et pour qui il est estimé qu’une mesure éducative doit être prise en parallèle à une mesure privative de liberté“.
Die Jugendrichterin Simone Flammang sieht das ein wenig anders. Sie und ihre Kollegen wollen die Unisec auch für chronische Ausreißer nutzen sowie für Jugendliche, die mittelschwere Straftaten begangen haben. Weil die Unisec lediglich zwölf Plätze vorsieht und die Richter davon ausgehen, dass diese schnell belegt sein werden, wollen sie das Recht behalten, auch Jugendliche über 16 Jahren weiterhin im Erwachsenengefängnis in Schrassig unterzubringen. Dass sie damit allen internationalen Kinderrechtsnormen und Empfehlungen zuwiderlaufen, ficht die Richter nicht an. Schon heute seien im Erwachsenengefängnis lediglich die schweren Fälle untergebracht, betonte Flammang bei ihrer Anhörung im parlamentarischen Justizausschuss im November 2012. Eine Sichtweise, die Staatsanwalt Bob Piron am Dienstag bekräftigte.
Aber es geht nicht nur um Vertrauen in die Luxemburger Justiz, die in der Vergangenheit wiederholt auch jüngere Kinder von elf, zwölf Jahren im Erwachsenenvollzug einsperrte. Kinderrechtlern wie Gilbert Pregno oder der Kinderrechtsanwältin Valérie Dupong geht es darum, eben dieses Schlupfloch endgültig zu schließen und das Einsperren von Minderjährigen im Erwachsenengefängnis im Sinne des Jugendschutzes ein für alle Mal zu beenden. Die Jugendrichter begründen ihr Festhalten an der Nutzung des Erwachsenenvollzugs allerdings auch damit, besonders gewalttätige Jugendliche so besser vor sich selbst und die Gesellschaft vor ihnen schützen zu können.
In einem Punkt sind sich Kinderrechtler und Richter übrigens einig: Der Jugendschutz als Leitgedanke für den Umgang mit delinquenten Jugendlichen soll auch in Zukunft gelten, auch für Intensivtäter. Ein Jugendstrafrecht oder Jugendkriminalrecht, wie es etwa der Gefängnisdirektor Vincent Theis auf der Konferenz forderte, lehnen sie ab. Die Jugendrichter warnen sogar explizit davor, dass die Idee der Reform, wonach Minderjährige künftig über die Strafgerichte für Erwachsene in Schrassig platziert werden sollen, ein solches Strafrecht quasi durch die Hintertür einführe.
Die Frage, was tun mit jugendlichen Intensivtäterinnen und -tätern kam während der Walferdinger Konferenz auf, aber eingehender diskutiert wurde sie nicht. Gilbert Pregno, Mitglied der Menschenrechtskommission, betonte, die Zahl der Intensivtäter sei so gering, dass man das Risiko eingehen könne, den Erwachsenenvollzug für Minderjährige komplett auszuschließen. Rechtsanwältin Valérie Dupong hält ein Jugendstrafrecht für „ganz gefährlich“. Eine objektive Analyse der Vor- und Nachteile des aus Belgien übernommenen Jugendschutz-Systems ist allerdings auch deshalb so schwierig, wenn nicht gar unmöglich, weil es, wie die Soziologin Ulla Peters von der Uni Luxemburg feststellte, kaum Daten, geschweige denn wissenschaftliche Untersuchungen zum Luxemburger Jugendschutz und seiner erzieherischen Wirksamkeit gibt.
Dass der Anteil der Jugendlichen hierzulande besonders groß ist, die per Gerichtsbeschluss im Heim untergebracht werden, ist bekannt. Aber welche Maßnahme zu welchem Zweck und mit welchen Erfolg verordnet werden, darüber gibt es kaum Auswertungen. So ist auch nicht nachvollziehbar, ob beispielsweise die Rechtsprechung der Richter sich in den vergangenen Jahren geändert hat und etwa die Heimeinweisung mehr gemieden wird.
Einige Daten liefert die Jugendschutzabteilung des Service centrale de l’assistance sociale (Scas), deren 14 Mitarbeiter übigens 2010/2011 rund 1 300 Kinder betreuten, bei einem Budget von 65 000 Euro! Die Jugendgerichte tagen hinter verschlossenen Türen, selbst ihre Urteile sind nicht zugänglich. So bleibt die Gretchenfrage unbeantwortet: Ob nicht gerade der Schutzgedanke dazu beiträgt, dass Erziehungsmaßnahmen in Luxemburg übermäißig lange dauern und für die betreffenden Kinder und ihre Eltern oft so stigmatisierend wirken.