Antoine Pohu ist der gefeierte Newcomer der Literaturszene. Porträt eines jeune mélancolique

LUX-BXL

d'Lëtzebuerger Land vom 07.02.2025

Für Antoine Pohu läuft es derzeit bestens, er ist gefragt. Den Startschuss für seine literarische Karriere gab der Prix Laurence, den er mit 18 Jahren für den Text Le Masque gewann. Der Preis funktioniert im Literaturmilieu als ein Sprungbrett in die Professionalisierung. Heute ist Pohu 25 und die Engagements an Kulturhäusern, Veröffentlichungen von Romanen und Novellen reihen sich aneinander. 2019, ein Jahr nach dem ersten Preis, bekam er im Rahmen des Nationalen Literaturwettbewerbs die Auszeichnung für die Kategorie der jungen Autoren für La Quête, dessen „große stilistische Reife“ die Jury lobte. 2020 erschien der Text beim Verlag Op der Lay, 2023 der zweite Roman Parfois la nuit se tait und die Novelle Nous sommes celleux qui marchent dans la ville bei capybarabooks. Bei Maskénadas Projekt E roude Fuedem duech de roude Buedem wirkte er ebenfalls mit. Derzeit arbeitet er weiter am Projekt Popera, einer inklusiven Oper, und wird Ende April gemeinsam mit Anne Simon eine modifizierte Version von Wedekinds Frühlingserwachen (Spring Awakenings) am Kapuzinertheater inszenieren.

An einem eisigen Morgen treffen wir den Schriftsteller in der Bäckerei Fischer in Mersch. Er erscheint in himmelblauer Jacke, rotem Schal und Doc Martens und entschuldigt sich für den engen Zeitplan. Pohu hat derzeit Zwölf-Stunden-Tage. Einerseits laufen Proben ein paar Schritte weiter im Merscher Theater: Dort feiert Pandora, eine Lesung mit musikalischer Begleitung vom Pianisten Arthur Possing, am heutigen Freitagabend Premiere. Später am Nachmittag fährt er nach Bonneweg, wo sich im Kasemattentheater Proben für die Arbeit an einem Stück über Armut, Les exclus du festin nach einem Text von Claude Frisoni, fortsetzen. Dort verantwortet er die Dramaturgie.

Antoine Pohu ist in Kirchberg mit drei Brüdern aufgewachsen, in einem Haus, das seit mehreren Generationen von seiner Familie bewohnt wird. Als sein Urgroßvater es bewohnte, war es ein Bauernhof – der wurde von der nächsten Generation abgerissen und es wurden drei Häuser hingestellt, in denen seine Eltern und sein Onkel wohnen. Seine Mutter arbeitete als Lehrerin, der Vater als Kellner. Erklärt der Umstand, dass sein Vater ursprünglich aus der Nähe von Angers kommt, seine für luxemburgische Muttersprachler eher ungewöhnliche Wahl des Französischen als Schreibsprache? „Teilweise“, sagt Antoine Pohu. Bevor er 15 Jahre alt war, bevorzugte er Deutsch, las vor allem Fantasy. Den Umschwung auf das Französische führt er auf das Entdecken von Klassikern der französischen Literatur wie Victor Hugos Les Misérables und Émile Zolas Werke zurück. Auch deshalb entschied er sich für die Sprachensektion im LGL, die ihm Chemie- und Mathematiklehrer vehement ausreden wollten. Neben der Schule spielte er Gitarre und ging klettern. Dann beginnt er ein Geschichtsstudium an der ULB in Brüssel, anschließend ein Masterstudium in Theaterwissenschaften.

Im Rahmen dieses Masters politisierte er sich durch marxistische Professoren und ein „Reinrutschen“ in die queere Aktivisten-Szene, erzählt er. Seine Bachelorarbeit schrieb er über Polizeigewalt und die Art und Weise, wie die Körper von Demonstranten am Ende des 19. Jahrhundert in Zeitungen rezipiert wurden. Diese Politisierung zeigt sich allen voran in seinem letzten Werk Nous sommes celleux qui marchent dans la ville, das die Wut, das Misstrauen und das Unverständnis der jungen Generation angesichts der politischen Stasis der Boomer thematisiert: Im Text prangern Kinder ihren despotischen Vater an; einen maroden und korrupten König. Der Text situiert sich zwischen Literatur und politischem Trakt und zeugt neben dem Generationskonflikt auch von tiefer gesellschaftlicher Spaltung: „Comme une canalisation qui telle d’une toile d’araignée relie tout en un discours dont nous on est les revendicateurs, dont toi tu es le bourreau.“ Es ist auch der erste durch-gegenderte Text in französischer Sprache, der hier publiziert wurde. Er habe jedoch nicht vor, sich parteipolitisch zu engagieren, sagt Pohu. In seinen beiden ersten Werken war die Politik noch eher außen vor geblieben. In La Quête verwebte er die Geschichte eines Schriftstellers, der sich selbst sucht und letztlich eine fantastische Geschichte über zwei Waisenkinder auf der Flucht schreibt.

„Ich bin kein großer Fan von Büchern über ein klares Thema“, sagt der Autor. Er fände es eigentlich gut und es sei gewollt, dass man insbesondere über seinen zweiten Roman Parfois la nuit se tait nicht genau in einem Satz zusammenfassen kann, worum es geht. Obwohl seine Bücher insgesamt positiv rezensiert wurden, störte sich die Kritik an diesem Aspekt ein wenig. Im Radio 100,7 ging die Rede von einer gewissen Ziellosigkeit in dem, was der Autor dem Publikum mitteilen wolle. Das Buch spielt in Brüssel, der Protagonist ist ein Jazz-Pianist, Pohu thematisiert seine Freundschaften und den Wunsch nach einem Bruch mit der eigenen Existenz, nach einem Neuanfang. Der Rezensent im Wort nannte es ein Buch mit Momenten „purer Poesie“ und von „stylistischer Reinheit“. Stolz sagt Pohu, wenn er ein paar Exemplare des Buches zum Alinéa bringe, seien diese nach kurzer Zeit weg. Und das obwohl ein großer Teil der Bevölkerung gar nicht wisse, dass es luxemburgische Literatur gibt oder Vorurteile gegenüber diese habe – etwa, dass Literaturen aus kleinen Ländern als provinziell und kleinkariert abgestempelt würden.

In Antoine Pohus Literatur findet man Poetik sowie eine Gabe zur Beobachtung, insbesondere des Alltags und der unmittelbaren Umgebung. Er beschäftigt sich mit dem Alleinsein, mit Freundschaften, dem Weg der Selbstfindung den man in jungen Jahren zu gehen hat. Im Gespräch mit dem Schriftsteller spürt man dann auch ein ausgeprägtes Bewusstsein davon, wie man wahrgenommen wird – aus dem wiederum entsteht die Art und Weise, wie man sich gibt. Es scheint, als seien Antoine Pohus Aussagen allesamt reflektiert und ausgewogen. Sätze über ihn selbst, die falsch verstanden werden könnten, schiebt er abmildernde oder ironisierende Worte voraus. Als wir zum Theater schlendern, erklärt Pohu, das Label eines „transfuge de classe“ sei ein Etikett, das er sich sehr ungern anhefte; jenes des Aufsteigers, der seine sozialen Hintergrund überwinde. Kurz darauf erklärt er, er habe dies nicht limitierend gemeint.

Selbst-Reflexion ist ein wichtiger Teil der schriftstellerischen Arbeit. Gleichzeitig ist Generation Z es wie keine zuvor gewohnt, Kontrolle zu haben über ihr Außenbild. Sie kuratieren es täglich im Netz und wachsen so mit einer Art Hyper-Bewusstsein ihrer selbst und ihren Mitmenschen auf, vom konstanten globalen Weltgeschehen abgesehen. Eine gewisse Leichtigkeit geht ihnen auf diese Weise verloren. Auch Antoine Pohu hat die Codes von Social Media verstanden. Auf Instagram hat sich das Narrativ des eigenen Lebens als Künstlers über die letzten paar Jahre professionalisiert.

Der Schriftsteller pendelt zwischen Brüssel und Luxemburg, fast alle bezahlten Projekte kommen hier zustande, erklärt er. Die Beziehung zum Land verändere sich, wenn man dauernd hier sei und er genieße das Umschalten. Die laute Schnelligkeit des Lebens am Theater wechselt sich mit den stillen Sitzungen des Schreibens ab.

Die Literaturszene in Luxemburg empfindet er als als eine, die von Solidarität geprägt sei. Sie sei gemütlich, aber das Risiko des copinage und des goldenen Käfigs existiere. Wie schnell man in diesem Land an seinen Zenit kommen kann, zeigt der Umstand, dass Antoine Pohu mittlerweile in der Jury des Preises sitzt, den er mit 18 Jahren gewonnen hat. Ian de Toffoli, Verleger bei Hydre Editions, nennt ihn „relativ brillant“, seine Verlegerin Susanne Jaspers lobt seine Lernfähigkeit und Gewissenhaftigkeit. Ian de Toffoli unterstützt ihn, liest seine Texte, kommentiert sie. Auch die Autorin Nathalie Ronvaux arbeitete intensiv mit dem Autor zusammen. „Sie kommentierte zu Beginn jedes Wort, strich ganze Seitem durch. Ich verstand: Entweder ich nehme das Schreiben ernst, oder eben nicht.“ Dass die Verlegerin Susanne Jaspers von capybarabooks die strengste Lektorin sei, hatte er gehört – und beschloss sie für seinen zweiten Roman anzusprechen. Auch sein dritter Roman Après nos désirs wird Mitte März dort erscheinen. Darin geht es um junge Figuren, die Mühe haben ihren Platz in der Welt zu finden und die Schwierigkeiten haben, weil sie „ihre emotionalen Beziehungen anders gestalten wollen als ihre Eltern es taten“. Dazu entsteht ein fantastisches Konter-Narrativ mit einer Vogelscheuche und einer wilden Reise auf der Suche nach Unbeschwertheit. Das Buch sei auch ein Versuch, das Intime und das Politische miteinander zu verrenken.

Pohu hat den Künstlerstatus, einer von sehr wenigen Schriftstellern im Land. An diesem Maßstab gemessen, hat er es sozusagen schon „geschafft“ – er kann von seiner Kunst leben. Vorangegangene Generationen an Autor/innen verdienten ihr Geld als Lehrer am Gymnasium, schrieben abends und in den Schulferien. Die Ansprüche an das Künstlerleben haben sich bei einem Teil von denneuen Autor/innen verändert. In einem Gespräch über das Scheitern im Radio 100,7 beschrieb der Schriftsteller eine seiner Ängste: Die, dass sein Schreiben irgendwann nichts mehr Interessantes für ihn berge, dass er sich selbst auf den Geist gehen könnte. Als wir im dunklen Saal des Merscher Theaters stehen, Arthur Possing spielt Klavier, äußert er Sorge davor, dass die soziale Errungenschaft des Künstlerstatus eines der ersten Dinge wäre, die sich verflüchtigen könnten, wenn es hart auf hart kommt und das „aufblasbare Prinzessinnenschloss“ platzt. Aber soweit ist es ja noch nicht, und es gilt, weiter zu schreiben.

Sarah Pepin
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