2005 ist für den Professoren-Verband Apess ein rabenschwarzes Jahr gewesen, hat er doch in Carlo Felten seinen - im wahrsten Sinne dieses Ehrentitels - "spiritus rector", die über Jahrzehnte hinweg treibende syndikalistische, berufstheoretische, literarische, publizistische Kraft eines Berufsstands verloren, der von der Vermassung im Luxemburger Schulbetrieb arg in Mitleidenschaft gezogen ist, der sich aber auch selber (wofür nicht zuletzt Carlo Felten ein beredter Zeuge und Ankläger gewesen ist) zunehmend nachhaltiger in Frage stellt. Es ist deshalb auch ungleich mehr als eine tief empfundene Ehrenschuld, mehr als ein aufrichtiger, leider posthumer Freundschaftsdienst, die ersten fünfzig Seiten von Récré 21, des kulturellen Jahrbuches 2005, dem Gedenken an Carlo Felten einzuräumen, ohne dessen Engagement, Einfühlungsvermögen, Anregungstalent diese jährliche "fine fleur" einheimischer Publizistik sowie ein ganze Serie von beachtlichen literarischen Leistungen aus Lehrer- dafür aber gottlob nicht immer professoralen Federn wohl nicht vorstellbar gewesen wären. Eine große Freude und ein starker Trost freilich ist es festzustellen, über den herben menschlichen, intellektuellen Verlust hinaus scheine das Lebenswerk Carlo Feltens "in der Familie" zu bleiben, von einer nächsten Generation weitergeführt zu werden, was soviel hieße wie: die Apess-Publikationen sind auch in den kommenden Jahre in ihrer Existenz gesichert. Aus den Nachrufen, Nekrologen, Erinnerungen in Prosa, Versen, Fotos und Bildern der Frank Wilhelm, Emanuel Bock, Francis Lech, Alain Wagner, Roland Harsch, Ern Breuskin, Romain Dockendorf, Jean Kerger sei besonders José Enschs eingängliches Gedicht exzerpiert: "Je me souviendrai de lui / là où je serai / si la mémoire tient promesse / Aux armes, frère / La nuit défait son tricot / Nous sommes riches du rien / et dehors nos chevaux s'impatientent“, denn es gehört eigentlich schon dahin, wo Récré 21 die literarische Kreativität des höheren Luxemburger Lehrkörpers bezeugt; nur finden sich auf diesen heuer 65 Seiten, die wie ehemals als Herzstück des Jahrbuchs anzusehen sind, leider zum Großteil "Reprints" wie Roland Harschs mittlerweile mit André Jung in der Titelrolle mehrfach mit hochverdientem Erfolg aufgeführtes Monodram Der Spielverderber oder Auszüge aus Gast Rollingers Kamäuser geht aufs Ganze; daneben stehen bemerkenswerte obskure Verse des Paul Kintziger und bemerkenswert schwache Bittere Monologe von Cornel Meder.Récrés früheres Prestige retten die leicht schwermütige Poesie von Félix Molitor sowie, und das ist eine echt freudige Überraschung, deutsche Haikus des gern und oft französisch und lëtzebuergësch schreibenden Raymond Schaack, aus denen man mehr als "Am Fuß des Baumes / badet ein blauer Schatten / sich im Morgenschnee" oder "Dein Kahn verschwindet / im Abendnebel Reglos / stehen die Berge" und "Den zarten Blättern / stiehlt der Winter die Farben / Die Stechpalme grünt" zitieren möchte. Unmöglich und vom Chronisten sogar anmaßend wäre es, Stück für Stück auf den dritten Récré-21-Flügel einzugehen, doch De l'interprétation de la poésie ou: Le complexe de Sainte-Beuve des überaus schreibfrohen Frank Wilhelm; der schon etwas angealterte Vortrag des Mario Fioretti über das abgelutschte Thema der Dekadenz und des Verfalls in den Buddenbrooks des ollen Thomas Mann, vor allem aber der zumTeil geradezu lustig zu lesende etymologische Essay Est-on sûr que la Sure soit sure?? von Jean Nierenhausen gehören zumindest eigens herausgestrichen, um nachzuweisen, dass auch die 21. Lieferung des Kultur-Jahrbuchs der Apess mehr als eine reflektierte Lektüre wert ist.
Récré 21 - das kulturelle Jahrbuch der Luxemburger Professoren; Redakteure: Roland Harsch, Georges Milmeister, François Thill und Frank Wilhelm. Das Heft kann durch Überweisen von 12 Euro auf das Postscheckkonto der Éditions Apess: IBAN LU90 1111 0662 4389 0000 bestellt werden.