Zu den besonders unfreundlichen Argumenten für eine Rentenreform zählt das vom Besorgnis erregenden „Export“ Luxemburger Renten ins Ausland. Der Unternehmerdachverband UEL benutzte es im Juli in seinem Beitrag zum Rentenbericht des Wirtschafts- und Sozialrats: Die Zahl der Renten für Nicht-Ansässige werde von 95 000 im Jahr 2020 auf 330 000 im Jahr 2070 zunehmen. Stärker als die Zahl der Renten für Ansässige, die im selben Zeitraum von 100 000 auf 275 000 wachsen werde. „Cette situation contribuerait à freiner l’activité économique au Luxembourg, en raison de la fuite vers l’étranger des revenus accrus et de la consommation correspondante“ (S. 19).
Unrecht hat die UEL mit dem Verweis auf das verlorengehende Potenzial an privatem Konsum nicht. Eine lothringische Rentnerin geht wahrscheinlich nicht in der Belle Étoile einkaufen. Ein Rentner, der nach Portugal zieht, um seinen Ruhestand dort zu verbringen, unternimmt keine Reise mit Luxairtours. Auch CSV-Sozialministerin Martine Deprez hat darauf hingewiesen, dass „der Anteil der Renten wächst, die wir in andere Staaten exportieren. Wie sich diese Transfers auf die Wirtschaftslage bei uns und in der Großregion auswirken werden, wissen wir nicht“, sagte sie dem Land am 3. Januar 2024.
Bekannt ist dagegen, dass pensionierte ehemalige Grenzpendlerinnen und eingewanderte Arbeitnehmer, die nach der Pensionierung das Großherzogtum verlassen, die hiesige Sozialversicherung entlasten. Nicht die Rentenkasse, aber Kranken- und Pflegekasse. Das macht Klagen über den „Rentenexport“ so unfreundlich. Renten- und Krankenversicherung hängen hier zusammen: Nur wer allein in Luxemburg Rentenbeiträge gezahlt hat und in keinem anderen Land sonst noch, behält nach der Pensionierung die CNS-Krankenversicherung. Die dann übernimmt, was beispielsweise einem ehemaligen frontalier an Arzt- oder Krankenhauskosten im Wohnsitzland entsteht. Für im Ausland lebende Rentner/innen mit carrière mixte dagegen wird die Krankenversicherung dort zuständig. Das ist nicht schlecht für die Bilanz der CNS, wenn man bedenkt, dass die letzten sechs Monate im Leben eines Menschen die meisten Gesundheitskosten verursachen. Es trägt dazu bei, dass der Beitragssatz zur Krankenversicherung bei außerordentlich niedrigen zwei Mal 2,8 Prozent des Bruttogehalts bleiben kann. Das ergibt ordentlich Netto vum Brutto für die Leute und begrenzt die Lohnnebenkosten für die Betriebe. Zwar werden die Nicht-Ansässigen mit einer vollen Luxemburger Rente zahlreicher. 2023 war die CNS zuständig für 22 502 im Ausland lebende Pensionierte – neun Prozent mehr als im Jahr vorher. Gemessen an den fast 132 000 CNS-krankenversicherten Pensionierten insgesamt aber ist das nach wie vor wenig.
Bei der Pflegeversicherung ist das noch spektakulärer. Auch wer jahrzehntelang Monat für Monat 1,4 Prozent seines versteuerbaren Bruttogehalts an die Pflegekasse abführte, hat davon später nichts ohne Zugehörigkeit zur CNS-Krankenversicherung. Also wenn nicht während der gesamten Berufslaufbahn Rentenbeiträge ausschließlich hierzulande entrichtet wurden. Und selbst wer eine volle Luxemburger Rente hat und im Ausland wohnt, kann nicht viel von der Pflegekasse erwarten: Luxemburger Pflegeleistungen sind in erster Linie Sachleistungen. Geldleistungen gibt es auch, aber sie sind nicht hoch. Und sie fließen nur, wenn „Pflegebedürftigkeit“ diagnostiziert wurde. Doch nicht in allen EU-Staaten ist „Langzeitpflege“ klar definiert und gibt es Kriterien für „Pflegebedürftigkeit“. Die Folge: 2023 erhielten ganze 928 Nicht-Ansässige Geldleistungen aus der Luxemburger Pflegekasse. Schreibt die Generalinspektion der Sozialversicherung in ihrem Sécu-Bericht 2024. Ihnen standen 15 997 Ansässige gegenüber. Die vielleicht nicht allein in Luxemburg Rentenbeiträge entrichtet hatten.
Laut der „Wanderarbeitnehmerverordnung“ der EU ist all das rechtmäßig. Dass es keinen Export von Sachleistungen geben kann, steht in der Verordnung auch. Luxemburger Regierungen sind traditionell kreativ darin, Sachleistungen zu erfinden, die sich Grenzpendlern vorenthalten lassen, die Chèques-services etwa. Deshalb muss das Gerede vom „Rentenexport“ aufhören. Hätte es den Beschäftigungsboom ab den Achtzigern nicht gegeben, wäre die Luxemburger Wirtschaft nicht, wo sie heute ist. Und die Rentenkasse wäre schon 1990 leer gewesen.