„Kommende Woche“, sagt François Bausch, „haben die Grünen eine Wahlversammlung in Gasperich. Da werden wir alles erklären, da bringen wir alle wichtigen Daten mit.“
Soll heißen: Bausch und seine Schöffen- und Spitzenkandidatenkollegin Viviane Loschetter gehen schon davon aus, dass am Mittwochabend ab 19 Uhr in der Gaspericher Pfarrei die Erschließung des Ban de Gasperich zur Sprache kommen wird, des 90 Hektar großen Areals zwischen dem Kreisverkehr Gluck, dem Autobahnkreuz Gasperich und dem Gewerbegebiet Cloche d’or.
Wo heute noch überwiegend Ackerland liegt, soll bis 2030 viel entstehen: Da wären der größte Park der Hauptstadt mit Hotel und Apartmenthäusern, sowie die Neubauten des französischen Lycée Vauban und des Feuerwehr-Einsatzzentrums. Da wären aber auch Wohn- und viele Bürogebäude, darunter das Europa-Hauptquartier von Pricewaterhousecoopers mit der PWC University.
Und schließlich wird, in der Mitte des Areals etwa, das viel diskutierte Einkaufszentrum gebaut, der Beitrag des Investors Flavio Becca zum Einzelhandel der Hauptstadt mit allein 37 500 Quadratmetern für einen neuen Auchan-Hypermarkt.
Eigentlich könnte man dieses Urbanisierungsvorhaben für politisch längst abgehakt halten. Seit fast sieben Jahren schon ist es im Generalbebauungsplan von Luxemburg-Stadt verankert; zwei letzten Teilbebauungsplänen hat der Gemeinderat im Juni zugestimmt.
Ebenfalls Jahre zurück liegt der Grundstückstausch zwischen Becca und der Stadt, durch den diese das zusammenhängende Areal zwischen Alt-Gasperich und Kreisverkehr Gluck erhielt, auf dem sie mit Park, Vauban-Lyzeum und Feuerwehrzentrum im öffentlichen Interesse bauen lassen wird.
Und schon stehen an den Rändern der Gaspericher Äcker Hinweisschilder der Gemeinde, auf denen von bald beginnenden Bauarbeiten die Rede ist. Voraussichtlich noch dieses Jahr will Beccas Entwicklungsgesellschaft die ersten Bagger für den Büro- und Shopping-Komplex anrollen lassen. Spätestens Anfang 2012 wird im Auftrag des Staates der Bau zweier über 40 Meter breiter Boulevards beginnen, für den die Abgeordnetenkammer vergangenen Herbst 70 Millionen Euro bewilligt hat.
Dass angesichts all dessen die Stater Grünen sich für den Ban de Gasperich erklären zu müssen meinen, liegt vor allem an der LSAP. Die hat erkannt, dass es aussichtsreich ist, anhand dieses Projekts die Grünen ausgerechnet in deren politischem Kerngeschäft – der Ökologie – als Opportunisten vorführen zu können.
Seitdem die Grünen bei der Vorstellung ihres Wahlprogramms vor vier Wochen auch auf den Ban de Gasperich zu sprechen kamen und François Bausch dort meinte, aus heutiger Sicht sei lediglich der „Einkaufs-Tempel“ abzulehnen, der Rest des Urbanisierungsvorhabens dagegen mit den Jahren „viel besser“ geworden, nennen die Sozialisten und ihr Spitzenkandidat Marc Angel Bausch einen „Lügner“. Denn bei der entscheidenden Abstimmung im Gemeinderat Ende Januar 2005 hatten allein die Grünen die Umwidmung der Gaspericher Fluren im Generalbebauungsplan abgelehnt – vor allem aus ökologischen Gründen und aus Sorge um Naturräume, Überschwemmungsrisiken und das Mehr an Autoverkehr.
Schon möglich, dass der Angriff der LSAP die Grünen nächsten Sonntag Stimmen kosten könnte. Vielleicht auch, weil eine unglückliche Wendung des Schicksals es will, dass die Ermittlungen gegen Flavio Becca ausgerechnet in den Wahlkampf fallen und es politisch schädlich sein könnte, als Pragmatiker zu erscheinen, der mit dem Unternehmer gemeinsame Projekte verfolgt.
Dabei haben die großen Oppositionsparteien zum Ban de Gasperich auch wenig zu sagen. Die CSV, die mit der DP am Ursprung des Vorhabens stand und mit dieser die Hauptstadt gerne wieder regieren möchte, will sich lediglich dafür einsetzen, dass die Gaspericher Fluren „harmonisch“ bebaut werden, wie die Listenerste Martine Mergen sagt, und nicht etwa der Straßenbau hinter dem Bürobau zurückbleibt.
Die LSAP verspricht im Ban de Gasperich „mehr bezahlbaren Wohnraum“ wie überall in der Stadt, aber auch, ausgerechnet, das Einkaufszentrum zu kippen. Dass das nicht sehr realistisch ist, weil die Shopping Mall vom Mittelstandsministerium genehmigt wurde, räumt Marc Angel ein, „aber wir würden unser Bestes tun“.
Vermutlich jedoch ist in der Nachbargemeinde Hesperingen der Ban de Gasperich wegen seiner Auswirkungen auf den Verkehr ein größeres Thema als in der Hauptstadt. 35 000 zusätzliche Auto-Bewegungen könnten in Hesperingen gezählt werden, würden im Ban de Gasperich 10 000 neue Einwohner leben und 30 000 Arbeitsplätze geschaffen, wie es die theoretischen Potenziale hergeben.
Als François Bausch vor zwei Wochen auf einer Wahlversammlung seiner grünen Hesperinger Kollegen auftrat und dort zu erklären versuchte, dass einem Verkehrsinfarkt durch ein Mobilitätskonzept entgegengewirkt werde, reagierte die Stater LSAP prompt: Bausch verteidige jetzt, wogegen er einst gewesen sei. Dass Bausch in der Hauptstadt vorgeworfen wird, was er in Hesperingen gesagt hat, und dass er überhaupt im Hesperinger Wahlkampf auftrat, illustriert aber, worin das Problem der Hauptstadt-Grünen noch liegt, wenn es um den Ban de Gasperich geht: Derzeit zumindest können sie nicht ohne weiteres zeigen, inwiefern das Projekt „ökologisch besser“ geworden ist.
Dass der öffentliche Transport auf dem Ban de Gasperich eine große Rolle spielen werde und eines Tages 40 Prozent aller Fahrten mit Bus, Zug oder Tram erfolgen würden, haben die Grünen in letzter Zeit als wichtigsten Pluspunkt des „verbesserten“ Projekts hervorgestrichen – ein Plus, das natürlich wesentlich auf ihr Einwirken zurückgehe. Doch das „Mobilitätskonzept“, das dies ermöglichen soll, ist eine Planung, an der die Hauptstadt und die Gemeinden an ihrem Südwestrand beteiligt sind, die aber im Nachhaltigkeitsministeriumerfolgt. Dieses Konzept ist zwar schon so gut wie fertig. Es enthält neben neuen Straßenbauten auch eine Tram-Trasse durch den Ban de Gasperich und Howald mit Anschluss an den künftigen Peripheriebahnhof Howald. Doch: So richtig spruchreif dürfen diese Pläne noch nicht sein, weil das Ministerium zeitgleich Verhandlungen mit Grundbesitzern zum Erwerb der Grundstücke für die Verkehrswege führt. Dass der Öffentlichkeit derzeit die Anschauung fehlt vom „Modal Split 40/60“, soll dafür sorgen, dass die Spekulation nicht anzieht.
Pech für die Stater Grünen, dass ihnen dadurch Argumente im Wahlkampf verloren gehen. Und nächste Woche könnte sich die Auseinandersetzung, wie „ökologisch“ die Urbanisierung des Ban de Gasperich ist, noch ein wenig zuspitzen: Sehr wahrscheinlich werden die Grünen bei ihrer Wahlversammlung am Mittwoch dem Interessenverein Gasperich begegnen, der „nach wie vor gegen dieses Projekt“ ist, wie seine Sprecherin Jacquie Lakaff gegenüber dem Land betont.
Neben der Ungewissheit, wie es weitergeht mit dem Verkehr, habe der Verein noch andere ökologische Gründe für seine Opposition. Zum Beispiel fürchte man, dass die Gaspericher Fluren, die auf Lehmboden liegen, öfter überschwemmt werden, wenn sie durch Straßen und Gebäude versiegelt werden. Innenminister Jean-Marie Halsdorf (CSV) aber habe letzten Herbst auf diesen Einwand der Vereins nur geantwortet, solchen Problemen müsse halt bei der Bebauung Rechnung getragen werden. Inwiefern das Projekt tatsächlich „verbessert“ wurde, könnte sich also erst entscheiden, wenn es realisiert ist.
Letzten Endes aber geht es bei den vielen ziemlich vertraulichen Planungen nicht nur um den Ban de Gasperich. Sondern auch um das unmittelbar an ihn grenzende Gebiet Midfield in Howald: Dort soll vom Gewerbegebiet Howald bis hin zum Autobahnkreuz Gasperich alles anders werden soll als heute. Paul Helminger, der Hauptstadtbügrermeister, wies schon vor zehn Monaten bei der Lesung der Straßenbaugesetze für den Ban de Gasperich im Parlament darauf hin, dass eine Tram-Verbindung vom Peripheriebahnhof Howald zum Ban de Gasperich in die eine und nach Howald in die andere Richtung technisch voraussetzt, dass das Midfield erschlossen wird.
Damit aber stellt sich für den Süden der Hauptstadt eine urbanistische Perspektive, die von der Cloche d’Or bis nach Howald ähnlich groß ist wie der Kirchberg und auf der es in den nächsten zwei Jahrzehnten insgesamt bis zu 50 000 Arbeitsplätze geben könnte – sofern die Volkswirtschaft weiter so wächst wie bisher.
Diese Perspektive hat sogar für Martine Mergen von der CSV, die immer für die Bebauung des Ban de Gasperich war, ein wenig viel „visionäre Geschwindigkeit“. François Bausch nennt die Planungen gegenüber dem Land „vorbildhaft für Luxemburg, das wird man nächstes Jahr sehen, wenn alles veröffentlicht wird“. Bleibt abzuwarten, ob sich das Publikum in der Gaspericher Pfarrei dem Optimismus anschließt. Und was die LSAP daraus macht.