Proess, Roland (Hrsg.): Vervreitungsatlas der Reptilien des Großherzogtums Luxemburg

Die vaterländischen Kriechtiere

d'Lëtzebuerger Land vom 03.01.2008

Kaum war die Gründung des kleinen Nationalstaats im frühen 19. Jahrhundert ausgemacht, entstand nicht nur eine nationale Dichtkunst, sondern auch eine solche Naturgeschichte. Nach dem Vorbild der Nachbarländer erschienen die ersten Veröffent­lichungen über die Erdkunde, das Pflanzen- und das Tierreich des Großherzogtums. Schenkte Jean de la Fontaine der Nation ab 1856 ihre ersten Theaterstücke, so schenkte Alphonse de la Fontaine ihr sieben Jahre später die erste Tierkunde.In der Rubrik der eher unscheinbaren und nicht besonders be-liebten vaterländischen Kriechtiere meldete de la Fontaine neun verschiedene Arten von Schlangen und Echsen, die über das junge Staatsgebiet des Großherzogtums huschten. Aber so ganz genau hat das niemand nachgeprüft, und es musste bis heute dauern, ehe der erste Luxemburger Reptilienatlas erschien. Der von Roland Proess herausgegebene, bunt illustrierte Verbreitungsatlas der Reptilien des Großherzogtums, erkennt allerdings nur noch sechs Arten an, zwei Schlangen- und vier Echsenarten.Die Autoren haben das ganze Großherzogtum in fünf mal fünf Kilometer große Quadrate eingeteilt und alle von Gewährsleu-ten und in der Literatur gemeldeten Funde in dieses Raster ein-getragen. Doch das Ergebnis zeigt, dass alle mehr oder weniger häufigen Kriechtierarten, ohne Unterschied zwischen Ösling, Gutland oder Moselgegend, über das ganze Land verstreut sind.Dazu gehören bei den Schlangen der Heckenéil (Ringelnatter) und seine seltenere Verwandte, die Adder (Glatt- oder Schlingnatter). Das wäre das Ende der nationalen Giftschlangen, denn für die Autoren des Atlas sind alle bisherigen Meldungen der Wipper (Kreuzotter) unsicher oder auf Verwechslungen zurückzuführen. An Echsen werden drei Eidechsen – die Rout Ederes (Waldeidechse), die Mauerederes (Mauereidechse) und die seltenere Gréng Ederes (Zauneidechse) – aufgeführt, sowie der Blannschlécher (Blindschleiche). Wie das der Giftschlangen besiegelt der Atlas auch das Ende der nationalen Schildkröten, denn seine Autoren vermuten, dass es sich bei den sporadisch gemeldeten Funden Europäischer Sumpfschildkröten um Flüchtlinge aus Gartenteichen handelt.Seit Alphonse de la Fontaines Zeiten, als der Gärtner die Blindschleiche unbeschwert mit dem Spaten erschlug, ist auch die Kriechtierkunde eine Panikwissenschaft geworden, die nur noch von aussterbenden Arten und zerstörten Biotopen berichtet. Deshalb gehört auch eine neue Rote Liste der Reptilien Luxemburgs zum Atlas. Wobei am erstaunlichsten ist, dass jene drei Viertel der Arten, die auf der Roten Liste von 1982 als „gefährdet“ oder „potenziell gefährdet oder besonders schützenswert“ eingestuft warten, nun „ungefährdet“ genannt werden. Auch das scheint keine exakte Wissenschaft zu sein. 

Roland Proess (Hsg.): Verbreitungsatlas der Reptilien des Großherzogtums Luxemburg. Ferrantia. Travaux scientifiques du Musée national d’histoire naturelle Luxembourg, 2007, 55 S., 10 Euro

Romain Hilgert
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