Premier Jean-Claude Juncker geht als erster Sprecher der Euro-Gruppe in die Geschichte der europäischen Integration ein. Vielleicht hat er sich in den letzten Tagen schon einmal die Frage gestellt, ob er nicht auch als der letzte und damit einzige in die Geschichte eingehen wird. Denn wenn die 750 Milliarden Euro, die die Finanzminister am Sonntag bewilligten, um den Euro zu retten, ihre Wirkung verfehlen, könnte die gemeinsame Währung, zumindest in ihrer bisherigen Form, ein kurzes Abenteuer gewesen sein.
Dabei war es, wie bereits bei der Bankenkrise im Herbst 2008, „Mister Euro“ nicht gegönnt, eine herausragende Rolle bei der Rettung des Euro zu spielen. Jean-Claude Juncker hatte zwar zu Beginn des Gipfels am Freitag gewarnt: „Es geht hier um eine weltweit organisierte Attacke gegen den Euro.“ Doch dann musste er sich laut Presseberichten beschweren, dass er, wie andere Regierungschefs, zwei Stunden auf den Beginn des Gipfels warten musste, weil insbesondere der französische Präsident Nicolas Sarkozy eine Reihe Einzelgespräche zur Rettung des Euros organisiert hatte, zu denen der Sprecher der Euro-Gruppe nicht einmal eingeladen war.
Die Krise, die ihren einstweiligen Höhepunkt mit dem Bankenkrach im Herbst 2008 erlebt hatte und vergangenes Jahr auch hierzulande von allerlei Experten für beendet erklärt worden war, erlebte in den letzten Wochen als Schuldenkrise verschiedener Euro-Länder eine neue Etappe. Griechenland und möglicherweise Portugal, Spanien, Irland oder Italien müssen wohl auf die am Wochenende angebotenen Milliarden zurückgreifen, wenn sie ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen können. Der Präsident der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, verglich am Freitag die Lage mit dem Tag, als die Bank Lehman Brothers in Konkurs ging. Er warnte vor einer „systemischen Krise“, wie damals, und vor einem erneuten Versiegen des Markts, auf dem sich die Banken gegenseitig mit Geld versorgen.
750 Milliarden Euro entsprechen dem Luxemburger Bruttosozialprodukt von 25 Jahren oder dem Staatshaushalt von 70 Jahren. Davon soll die EU-Kommission sofort 60 Milliarden im EU-Haushalt zusammenkratzen, danach sollen die Euro-Staaten 440 Milliarden leihen, und der Internationale Währungsfonds 250 Milliarden zuschießen.
Noch am 5. März war Jean-Claude Juncker im Deutschlandfunk „nicht der Meinung, dass der Internationale Währungsfond in der Eurozone finanzpolitisch stützend wirksam werden sollte. Wir sind eine Eurozone und wir müssen unsere Probleme selbst lösen.“ Aber seit sie am Wochenende ihre „nuit du 4 août“ erlebte, wie Libération schrieb, hat die Währungsunion von ihrem Stolz verloren. Dafür ist sie aber etwas pragmatischer und solidarischer geworden.
Finanzminister Luc Frieden verpflichtete sich, dass das Großherzogtum, wie alle anderen Euro-Staaten, seinen Beitrag leistet. Wobei der Anteil an den 440 Milliarden demjenigen am Kapital der Europäischen Zentralbank entspricht; Luxemburg hält entsprechend seinem Bevölkerungs- und seinem Bruttoinlandsproduktanteil 0,1568 Prozent des Kapitals der Europäischen Zentralbank – an der allerdings auch Länder beteiligt sind, die nicht zur Euro-Zone gehören. Frieden erklärte am Montag, dass Luxemburg für 800 Millionen Euro bürgen soll, andere Berechnungen kommen aber auf bis zu 1,1 Milliarden Euro.
Die deutsche Regierung hatte am Wochenende lange verlangt, dass die einzelnen Mitgliedsstaaten den mit Zahlungsschwierigkeiten kämpfenden Euro-Staaten bilateral Geld leihen sollen, wie es mit Griechenland beschlossen worden war. Darüber waren aber die wenigsten Regierungen, auch die luxemburgische, wenig begeistert. Denn es hätte bedeuten können, dass der Luxemburger Staat zusätzliche 800 bis 1 100 Millionen Euro Schulden hätte machen müssen, statt, wie nun beschlossen, einstweilen bloß dafür zu bürgen. Der Finanzminister betonte am Montag gegenüber RTL, dass er sich auch, ähnlich wie der deutsche Minister, vorsichtigerweise gegen eine von der EU-Kommission vorgeschlagene unbegrenzte Bürgschaft ausgesprochen hatte.
Die deutsche Regierung wollte am Wochenende verhindern, dass die Europäische Kommission mit Bürgschaften der Euro-Staaten Geld leihen und weiterverleihen dürfe. Deshalb beschloss man als Kompromiss, dass die Euro-Staaten eine – wahrscheinlich in Luxemburg angesiedelte –, Special Purpose Vehicle getaufte Gesellschaft gründen, die bis zu 440 Milliarden Euro mit den nationalen Bürgschaften leihen kann. Wobei die Verwaltung der einstweilen für drei Jahre geplanten, aber möglicherweise danach beibehaltenen oder vielleicht sogar zu einem Europäischen Währungsfonds umgebauten Gesellschaft wahrscheinlich Kommissionsbeamten unterliegt.
Entgegen allen offiziellen Beteuerungen ist derzeit nicht abzusehen, ob es Griechenland und möglicherweise anderen Euro-Ländern, die vielleicht auf die am Wochenende angebotenen Milliarden zurückgreifen müssen, gelingen wird, auch pünktlich ihre Schulden zurückzuzahlen. In dem Fall wäre eine Umschuldung wahrscheinlich, bei der die Gläubiger auf einen Teil ihres Gelds verzichten müssten. Für die Luxemburger Staatskasse bedeutete dies dann den Verlust eines Teils des geliehenen Geldes, beziehungsweise sie müsste für einen Teil der von ihr verbürgten Darlehen aufkommen.
Wobei die am Sonntag beschlossenen 800 bis 1 100 Millionen Euro nicht die einzigen Gelder sind, die der Staat als Kredite oder Bürgschaften bereitstellt, um die Krisenfolgen abzuschwächen. Am 2. Mai hatte eine Sondersitzung der Eurogruppe beschlossen, Griechenland mit 80 Milliarden Euro sowie weiteren 30 Milliarden Euro des Internationalen Währungsfonds zur Hilfe zu kommen. Der Luxemburger Staat soll dabei 200 Millionen Euro aufbringen, davon 75 Millionen Euro, die direkt und ohne Finanzierungsgesetz aus der Staatskasse entnommen werden. Nächstes und übernächstes Jahr soll der Staat dann weitere 125 Millionen leihen und zu einem möglicherweise einige Prozentpunkte höheren Zinsfuß an Griechenland weiterleihen. Am 11. April hatte Jean-Claude Juncker noch gegenüber RTL geschätzt, „das wären 100 Millionen Euro, die wir Griechenland leihen würden“. Die Finanzminister der EU hielten am Sonntag in ihrer Schlusserklärung fest, dass Griechenland das erste Geld vor dem 19. Mai überwiesen bekommt, dem nächsten Fälligkeitsdatum seiner Anleihen.
Dabei soll Luxemburg zur Rettung der gemeinsamen Währung einstweilen nur einen Bruchteil dessen aufwenden, das es zur Rettung der beiden Banken Fortis und Dexia vor anderthalb Jahren bewilligte. Im Oktober 2008 hatte das Parlament ein Gesetz gestimmt, um bis zu drei Milliarden Euro zu leihen, mit denen Banken vor dem Zusammenbruch bewahrt werden sollen. Im Rahmen dieses Gesetzes wurde eine Anleihe von zwei Milliarden Euro aufgenommen, um die Bank Fortis zu stützen. Der Staat muss 2013 beginnen, dieses Geld zurückzuzahlen. Die Regierung zählt darauf, die staatliche Beteiligung an der inzwischen in BGL BNP Paribas umgetauften Bank zu verkaufen und mit dem Ertrag die Anleihe abzahlen zu können. Voraussetzung aber ist, dass zu dem Zeitpunkt der Kurs der Fortis-Aktien hoch genug ist, um kein Verlustgeschäft zu machen.
Die Bank Dexia wurde durch eine staatliche Bürgschaft von 4,5 Milliarden Euro vor dem Zusammenbruch gerettet, ein Betrag, der mehr als elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht, fast das Vierfache des laut Maastrichter Vertrags höchstzulässigen Staatsdefizits. Die Garantie für Geld, das Dexia bei anderen Banken leiht, wurde inzwischen bis Ende dieses Jahres verlängert und auf drei Milliarden Euro gesenkt. Als Gegenleistung erhält der Staat eine Belohnung dafür, dass Dexia mit einer staatlichen Bürgschaft weniger Zinsen zahlen muss als ohne Risikoschutz für ihre Gläubiger.
Doch selbst wenn es gelingen sollte, die in der Krise geliehenen und verbürgten Milliarden wieder restlos einzutreiben, droht die neue Etappe der Krise nicht ohne Folgen zu bleiben. Denn sie gefährdet den zaghaften Wirtschaftsaufschwung. Bei der Vorstellung des OECD-Länderberichts am Montag warnte Wirtschaftsminister Jeannot Krecké vor einem Credit crunch, wenn alle immer höher verschuldeten Staaten Geld leihen müssten. Zum Glück habe der Luxemburger Staat bisher noch wenig geliehen. Unter einer Kreditverknappung können auch die Unternehmen und Haushalte leiden, so dass weniger Geld für Investitionen und Konsum vorgeschossen wird. Krecké zeigte sich aber auch besorgt über die Eigenkapitalausstattung der Firmen, insbesondere des produzierenden Gewerbes. Luxemburg muss zudem widersprüchliche Interessen vertreten, wenn es um die weitere Regulierung und Besteuerung der Finanzgeschäfte geht, wie sie auch in der Abschlusserklärung des Gipfels am Wochenende angekündigt wird. Der Wirtschaftsminister erinnerte am Montag daran, dass beispielsweise die Einführung der Basel-II-Richtlinien laut Schätzungen zwischen einem und drei Prozent Bruttosozialprodukt kosten könnte.
Aber Bürgschaften und Kredite, Zinsen und Parameter sind nicht alles. Es genügt nicht, das Vertrauen der Investoren und Spekulanten zu gewinnen. In einem Kommentar zur Finanzkrise erinnerte die liberale Londoner Financial Times am Dienstag beiläufig daran: „While all eyes were on Greece, the government of Luxembourg, – one of the EU’s smallest but most prosperous states – came close to collape because of a dispute over proposals to limit public spending.“