So schnell kommt man für gewöhnlich in Luxemburg nicht zu einem Haus. „Hier, das können Sie drücken, wenn Sie gestresst sind“, sagt Gilles Hempel und überreicht ein handtellergroßes Schaumstoffhaus: „AIS – Louez sans stress“ steht darauf geschrieben.
Die Agence immobilière sociale, die Hempel leitet, hat in sieben Jahren seit Bestehen eine steile Entwicklung gemacht, und wohl etliche Menschen von existenziellen Sorgen befreit: 338 Mieteinheiten, darunter 150 Häuser und über 150 Apartmentwohnungen und Studios, betreuen die 22 Techniker, Sozialarbeiter und Verwaltungsangestellte der AIS. 23 Konventionen mit Gemeinden hat die staatlich konventionierte Agentur bislang abgeschlossen, mit 28 weiteren Gemeinden, die sich ebenfalls für eine Zusammenarbeit gemeldet haben, wird derzeit verhandelt.
Das Interesse an der Agentur könnte demnächst sogar weiter steigen: wenn die geplanten Maßnahmen der blau-rot-grünen Steuerreform in Kraft treten. Sie sieht unter anderem vor, Eigentümer von leer stehenden Wohnungen und Häusern um die Hälfte der Wohnsteuer zu befreien, wenn sie diese an gemeinnützige Organisationen wie die AIS vermieten.
„Das ist ein klarer Anreiz für Hauseigentümer, uns ihren Wohnraum zur Verfügung zu stellen“, freut sich Gilles Hempel und fügt nachdrücklich hinzu: „Wir hatten aber noch nie Probleme, Eigentümer für uns zu gewinnen.“ Etwa ein bis zwei Eigentümer melden sich täglich telefonisch bei der Agentur in Hamm, um sich über die Bedingungen für eine Zusammenarbeit zu erkundigen. Bis zu 20 000 ungenutzte Wohneinheiten, so Hempel, soll es über das Land verteilt geben. Mit der teilweisen Steuerbefreiung will die Regierung Eigentümern von leer stehendem Wohnraum ermutigen, diese auf den Markt zu bringen.
Allerdings nicht zum herkömmlichen Marktpreis: Der Steuerabschlag gilt nur für Mietwohnungen, die gemeinnützigen Organisationen wie der AIS oder der Wunnengshellëf zur Verfügung gestellt werden. Beide vermitteln Wohnraum an sozial Bedürftige unter dem üblichen Marktpreis. Die AIS wurde von Mitarbeitern der Wunnengshellëf und dem Anti-Armutsnetzwerk EAPN 2009 gemeinsam ins Leben gerufen.
„Es ist eine Win-Win-Win-Situation für alle”, sagt AIS-Direktor Hempel. „Die Eigentümer erhalten Mieteinnahmen, auch wenn diese unter dem Marktpreis liegen. Wir bekommen preiswerten Wohnraum, den wir an Bedürftige vermieten.“ Davon habe auch die Allgemeinheit etwas: „Besser der Eigentümer zahlt Steuern auf Mieteinnahmen, als wenn er gar keine zahlt, weil er die Wohnung leer stehen lässt.“ Im Gegenzug kümmern sich AIS-Mitarbeiter um Instandhaltung und Pflege der Gebäude, sowie um eine ordentliche Rückgabe im Falle, da ein Eigentümer sein Haus für sich benötigt. Bis dahin, aber maximal bis drei Jahre können AIS-Kunden günstig zur Miete wohnen und sich ein neues Leben aufbauen. Zur Kundschaft zählen insbesondere Alleinerziehende, kinderreiche Familien, Arbeitslose, sozial Schwache.
Neben der Begünstigung von sozialen Wohnraum will der Staat überdies Anreize für Eigentümer setzen, die ihre Immobilien auf den Markt bringen wollen: Wer bis Ende 2017 sein Bauland oder seine Immobilie verkauft, dessen Spekulationsgewinn wird nur zum Viertel-Satz besteuert werden (die Regelung gilt seit Juli).
„Als temporäre Maßnahme sind steuerliche Teilweise-Befreiungen sicherlich sinnvoll und können Effekte zeitigen“, kommentiert Julien Licheron, Koordinator und Forscher am Observatoire de l’habitat die Vorschläge der Regierung. So könnten Hausbesitzer, die ihr Eigentum bisher weder vermieten noch verkaufen wollten, weil sie die Mühen und den Aufwand scheuten, aktiviert werden. Steuerbefreiungen gebe es aber nicht zum Nulltarif: „Es sind eigentlich eher teure Maßnahmen, immerhin verzichtet der Staat auf erhebliche Steuereinnahmen.“
Dass die geplanten Steuerabschläge für Eigentümer die generelle Wohnungsnot mildern und die hohen Preise auf dem Wohnungsmarkt dämpfen könnten, hält Licheron indes für ausgeschlossen: „Dafür ist die Nachfrage einfach zu groß.“ Zumal die Nachfrage nach Eigentum weiter zunimmt und die Regierung in ihrem Steuerpaket mit weiteren Bonbons für angehende Hausbesitzer aufwartet: So sollen künftig bei Einzahlungen in Bausparverträge für unter Vierzigjährige statt bisher 672 Euro künftig um das Doppelte, 1 344 Euro, von der Steuer abgesetzt werden können. Außerdem sollen Haushalte, die ein neues Eigenheim bezogen haben, in den ersten fünf Jahren nach Bezug pro Kopf ab 1. Januar 2017 statt bisher 1 500 Euro 2 000, in den darauffolgenden fünf Jahren 1 500 (heute: 1 125) und schließlich 1 000 Euro (heute: 750) steuerlich geltend machen können. Mittelschichtsfamilien könnten davon profitieren, „aber das wird die Nachfrage nach Wohnraum jedenfalls nicht bremsen“, sagt Julien Licheron.
Auch die blau-rot-grüne Koalition bricht nicht mit dem Leitbild jahrzehntelanger Luxemburger Wohnungspolitik: eines Tages ein Haus oder eine Wohnung sein Eigen zu nennen, gehören hierzulande einfach dazu. Durch eine einseitige Förderung von Eigentum ist der Anteil an Mietwohnungen hierzulande viel geringer als in anderen EU-Ländern, der Anteil von Sozialwohnungen liegt bei rund zwei Prozent. Initiativen wie die AIS können die größte Not lindern, aber auf ihrer Wartelisten stehen derzeit 956 Bewerber, das ist drei Mal so viel wie die Agentur Wohnungen unter Vertrag hat. Zudem ist die Wohnungssuche nicht nur für Menschen in sozialer Not schwierig, sondern für immer mehr Menschen in Luxemburg wird Wohnraum, egal ob zur Miete oder als Eigentum, unerschwinglich.
Den Trend zu ändern, sei, wenn überhaupt, dann nur „mit einem Katalog an Instrumenten“ möglich, ist Licheron überzeugt. Dazu gehören, neben der Mobilisierung von Bauland, Baulückenschließungen und verdichtetes Bauen, die staatliche Förderung von Mietwohnungen, eine höhere Grundsteuer. Und außer finanziellen Anreizen Strafen für diejenigen, die Bauland aus Spekulation zurückhalten: Die Instrumente sind seit dem Wohnungspakt gesetzlich vorgesehen, allerdings machen bisher wenig Gemeinden davon Gebrauch. Und selbst wenn mehr Gemeinden den Mut dafür aufbrächten, bleibt die Frage, ob angesichts des anhaltenden Wachstums, auf dem der Luxemburger Wohlstand aufbaut, der Druck auf dem Wohnungsmarkt überhaupt realistisch gebremst werden kann: „Die Bevölkerung wächst stetig, es kommen weiterhin ausländische Arbeitskräfte nach Luxemburg. Auch sie treten auf dem Wohnungsmarkt als Nachfragende auf“, gibt Julien Licheron vom Observatoire de l‘habitat zu bedenken.