Juni 2014, der Präsident der Fédération luxembourgeoise de football (FLF) Paul Philipp sitzt im Radiostudio und beantwortet Fragen zu Korruptionsvorwürfen gegen Fifa-Präsident Sepp Blatter und den Protesten gegen den Bau von WM-Stadions für die Weltmeisterschaft in Brasilien, die dadurch bedingte Umsiedlung von Anwohnern und die Verschwendung von öffentlichen Geldern. Philipp sagt, er habe Verständnis für die Protestierenden. Aber für die Missstände sei nicht der Sport verantwortlich, sondern die Politik.
Juli 2015, inzwischen gibt es Anklagen gegen Fifa-Funktionäre – Philipp sitzt im großen Saal der Stadtverwaltung auf dem Knuedler in einer Reihe mit Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP), Sportminister Romain Schneider (LSAP) und Infrastrukturminister François Bausch (Déi Gréng); zusammen stellen sie das erste Vorprojekt für den Bau eines nationalen Fußballstadions auf der Cloche d’Or vor. Kostenpunkt: rund 58 Millionen Euro, plus 6,5 Millionen Euro für die provisorische Umleitung der Straße. Der Staat übernimmt davon 70 Prozent, die Stadt Luxemburg 30 Prozent.
Die Proteste danach beschränken sich auf Kommentare in sozialen Netzwerken – niemand wird für den Stadionbau umgesiedelt. Dass es dennoch nicht nur Beifall für das Stadion gibt, das ist auch in Luxemburg die Schuld der Politik. Denn vergangenen Oktober geißelten Staatsminister Xavier Bettel (DP) und Finanzminister Pierre Gramegna (DP) den unverantwortlichen Umgang der Vorgängerregierungen mit den Staatsfinanzen, um in ihrem Zukunftspak genannten Sparpaket 258 Sparmaßnahmen zu rechtfertigen. „Wir mussten die Handbremse ziehen“, so Bettel damals. Um zu verdeutlichen, wie bedrohlich die Haushaltslage sei, bemühte Gramegna gar die Ebola-Seuche, die Krise in der Ukraine, den Krieg in Syrien und die Terrorangriffe im Irak. „Es ist doch normal, dass man sagt, man muss aufpassen“, meint Paul Philipp dazu, dass die Regierung von der Bevölkerung verlangt, sie solle den Gürtel enger schnallen. „Ass da Kris?“, fragt der FLF-Präsident achselzuckend und skeptisch – angesichts der letzten Schätzungen des Statec von 5,6 Prozent Wirtschaftswachstum für 2014 nicht ganz zu Unrecht.
Aber konjunkturunabhängig hat die Regierung „die Sanierung der Staatsfinanzen“ zum Staatsziel erklärt und sie saniert vor allem auf Kosten von Grenzpendlern, Kindern und sozial Schwachen. Das ist in den 258 Maßnahmen des Zukunftspak nachzulesen. Durch die Abschaffung der Erziehungs- und der Mutterschaftszulage will die Regierung bis 2018 rund 72 Millionen Euro einsparen, weitere 17 Millionen beim Kindergeld. Rund elf Millionen Euro Einsparungen will sie bis 2018 durch strengere Kriterien und Überwachung bei der Vergabe des RMG erzielen. Vor allem durch Abänderungen bei den Wiedereingliederungshilfen für Arbeitslose sollen die Kosten für den Beschäftigungsfonds bis zum Ende der Legislaturperiode um 67 Millionen Euro gedrückt werden.
Dass Sportminister Romain Schneider, der im Nebenberuf auch Sozialminister ist, sich derzeit mit den Vertretern der Pflegebranche herumschlägt, hat auch damit zu tun, dass bis 2018 durch das Einfrieren der Entschädigungssätze der Pflegeversicherung und „une application plus restrictive par la Cellule d’évalutation et d’orientation des critères d’octroi des prestations“ 15,6 Millionen Euro weniger ausgegeben werden sollen. Das Sportsministerium plant laut Zukunftspak, die Ausgaben bis 2018 um rund 450 000 Euro zu senken, hauptsächlich dadurch, dass die Sportler, die eine Lizenz brauchen, die dafür notwendige medizinische Untersuchung nun bezahlen müssen. Der Fonds d’équipement sportif national, aus dem der Staat Sportinfrastrukturen zahlt und bezuschusst, und aus dem auch der staatliche Beitrag für den Bau des Fußballstadions gezahlt würde, wird laut Tätigkeitsbericht des Sportministeriums dieses und nächstes Jahr mit 32,2 Millionen Euro gespeist. Mindestens, denn darin ist die reguläre Speisung des Fonds für 2016 zur Umsetzung des zehnten Fünfjahresplan der Sportinfrastrukturen noch nicht berücksichtigt. Der Bau des Fußballstadions ist per Reglement vom 4. Juli 2014 innerhalb vom diesem zehnten Fünfjahresplan vorgesehen, der Investitionen von insgesamt 100 Millionen Euro beinhaltet. Davon sind bisher 22,2 Millionen Euro in den Fonds einbezahlt. Die restlichen 77,8 Millionen Euro müssen bis zum 31. Dezember 2017 folgen. Bis dahin soll auch die Steuerreform durch sein, und die Evaluation der Rentenreform, die, wenn es der OECD und all ihren Anhängern in den Regierungsparteien nach geht, auf ein weniger großzügiges System für die Rentenbezieher hinausläuft. Da wundert es kaum, dass das Luxemburger Wort bei seiner Umfrage Mühe hatte, Befürworter für den Bau des Stadions zu finden. Das Stadion finden viele wohl noch überflüssiger als die Tram.
Der immer noch ungelöste Skandal innerhalb des Weltfußballverbandes Fifa trägt sicher nicht dazu bei, die Skepsis derjenigen zu zerstreuen, die meinen, dass es beim Fußball mit seinen Sportmillionären, korrupten Funktionären, den Arbeitsbedingungen beim Stadionbau für die WM in Katar schon lange nicht mehr um Sport, sondern um Geschäfte geht. Zumal das auch der Sportminister und der FLF-Präsident offen zugeben, wenn sie sagen: „Der Fußball ist zum Business geworden.“ Da hilft es auch nicht viel, wenn Paul Philipp auf die vermeintlichen Sicherheitsmängel im Stade Josy Barthel hinweist, dass die Zuschauer ungeschützt dem Klima ausgesetzt sind und in der Halbzeit kein Würstchen kaufen können – in den Uefa-Anforderungen eines Stadions der Kategorie „4“, wie es die FLF braucht, steht davon nichts. Wohl aber werden dort 150 VIP-Parkplätze in einer gesicherten Zone gefordert, 500 VIP-Tribünenplätze und ein „espace de relations publiques exclusif, d’une surface d’au moins 400 m2, situé aussi près que possible des places VIP“ – die „Business-Lounge“, von der die Architektin der Stadt Luxemburg, Martine Vermast, bei der Vorstellung des Stadion-Projektes sprach. In den Uefa-Vorgaben steht auch, wie groß der Arbeitsraum für die Medien sein muss und die Kamera-Plattform, dass es mindestens 100 Journalistenplätze geben muss, zwei Fernsehstudios und einen Pressekonferenzsaal. „Das ist ja auch für Sie“, unterstrich Vermast vergangenen Freitag gegenüber den Journalisten. VIPs und Fernsehnkameras sind die Hauptzutaten des europäischen Fußball-Business. Das Geld kommt über Sponsorenverträge und die Vermarktung von TV-Rechten herein. Davon profitiert auch die „kleine“ FLF.
In der Saison 2013/2014 verbuchte die FLF bei Einnahmen von 5,4 Millionen Euro und ordentlichen Ausgaben von 4,2 Millionen Euro einen Gewinn von 1,2 Millionen Euro und verteilte daraufhin 720 000 Euro an die Vereine. Die Einnahmen der FLF setzten sich zusammen aus: rund 380 000 Euro Subventionen von Staat und Olympischem Komitee, rund 1,7 Millionen Euro Subventionen von der Uefa, 184 400 Euro von der Fifa und 1,3 Millionen Euro Sponsorengeldern, wovon 715 000 Euro allein aus dem Sponsoringvertrag mit der Lotterie nationale stammen. Zusätzliche 1,3 Millionen Euro kassierte die FLF 2014 durch die Spiele der Herren-Nationalauswahl, während es 2013 nur 182 000 Euro waren. Warum die Einnahmen aus den Länderspielen dermaßen schwankten? 2014 spielte Luxemburg im Rahmen der Qualifikation für die Europameisterschaft 2016 zuhause gegen Spanien, Weißrussland und die Ukraine, Länder mit einigermaßen vielen Fernsehzuschauern, die vermarktungstechnisch deshalb einiges wert sind. Deshalb überwies die Uefa, die seit 2013 die Vermarktungsrechte für die europäischen Verbände zentral verwaltet und verkauft, 2014 mehr Geld an die FLF als im Jahr zuvor fällig wurde. Die Zuschauer selbst spielen dabei eher eine untergeordnete Rolle. Für das Spiel am 12. Oktober 2014 gegen Spanien war das Stade Josy Barthel zwar fast ausverkauft. Doch in den vergangenen zehn Jahren überstieg die Zuschauerzahl bei einem Spiel der Nationalelf die 5 000-er Marke nur neunmal.
Weil die Uefa verlangt, dass Länderspiele in einem Stadion der Kategorie 4 gespielt werden, ist für die FLF und ihren Präsidenten das Schicksal der Nationalauswahl untrennbar mit dem Stadion verbunden. Um zu legitimieren, warum die Allgemeinheit Millionenbeträge bezahlen soll, um die kommerziellen Anforderungen eines Privatunternehmens wie der Uefa zu erfüllen, verweist FLF-Präsident Paul Phillip gerne auf die gesellschaftliche Rolle des Fußballs; darauf dass in den Vereinen wöchentlich 17 000 Kinder und Jugendliche betreut werden. „Wir sind der größte Kinderhort im Land“, so seine Aussage. Das kostet Geld, dass auch mit den TV-Rechten aus der Vermarktung der Nationalmannschaft verdient werde. „Allein die Fußballschule kostet rund eine Million Euro jährlich.“ Und damit die Jugendlichen Lust auf Fußball hätten, sagt er, brauche es auch eine Nationalmannschaft als Anreiz, weil die Spieler danach strebten, in die Auswahl zu kommen. Dabei kommt es eher selten vor, dass man kleine oder große Fußball-Fans in Trikots der Luxemburger Nationalelf sieht. Sie investieren lieber in die Merchandise von Bayern München, Dortmund oder Barcelona. Das Wunderkind des Luxemburger Fußballs der vergangenen Jahre, Miralem Pjanić, von den Trainern der Fußball-Schule in Monnerich mit großgezogen und der heute beim AS Rom aufläuft, entschied sich vor Jahren für die Nationalelf von Bosnien und Herzegovina zu spielen, dafür erhielt er extra im Eilverfahren einen bosnischen Pass. In der Qualifikationsrunde für die EM 2012 versenkte er im Spiel gegen Luxemburg einen Freistoß aus 25 Meter Entfernung.
Letztlich ist das Stadion für Paul Philipp ein „Prestige-Objekt“ wie die Philharmonie, das Mudam oder die Coque, auf die Befürworter des Stadions gerne mit dem Argument verweisen, dass für deren Bau ebenfalls Millionenbeträge investiert wurden. Für Philipp ist der Fußball auch ein Verkaufsargument für Luxemburg. Was das ausmache, wie viel man darauf angesprochen werde, wenn die Nationalelf ein gutes Ergebnis erziele, das könne man sich gar vorstellen, so der FLF-Präsident. Dabei ist einer von drei Punkten, in denen sich das geplante Stadion von anderen teueren Infrastrukturen unterscheidet: Während man im Mudam und in der Philharmonie Inhalte von hoher Qualität anbieten kann, verbessert sich die Leistung der Fußballmannschaft nicht automatisch dadurch, dass sie in einem neuen Stadion aufläuft. Der zweite Punkt, in dem sich das Stadion von der protzigen Infrastruktur der Coque unterscheidet, ist die Nutzung. Die Anlagen in Kirchberg werden vom Publikum und/oder für den Schulsport genutzt. Das Stadion ist dem Fußball und dem Rugby vorbehalten. Wenn Philipp aufzählt, wie viele Spiele jährlich dort ausgetragen werden könnten, hat er Mühe die Zahl 25 zu erreichen, die Sportminister Romain Schneider vorgegeben hat. Dazu müsste dort auch die U21 auflaufen und die internationalen Spiele der Vereine in der Champions oder der Europa League ausgetragen werden. Dazwischen findet im Stadion hauptsächlich Rasenpflege statt. Die Leichtathleten, die im Stade Josy Barthel trainieren, sollen auf den Cents zum Insitut national des sports (INS) umziehen, damit keine Laufbahn zwischen Feld und Publikum die Stimmung dämpft. Wie viel der Ausbau des INS kosten wird, ist derzeit noch nicht beziffert. Für Philipp spricht allerdings nichts dagegen, dass ein Fußballverein der Hauptstadt im neuen Stadion einzieht. Geplant ist das allerdings nicht. Drittens sind die Planungsumstände nicht zu vergleichen. Mudam, Philharmonie und Coque wurden zu Zeiten geplant, als von Sparmaßnahmen keine Rede war. Das ist jetzt – Stichwort Zukunftspak – anders.
In Europa habe nur das Balkanland Albanien ein Stadion in ähnlich schlechtem Zustand wie das Josy Barthel, sagen Mitarbeiter der FLF. Alle anderen würden sich ein anständiges Stadion leisten, auch wenn sie nicht so reich seien wie Luxemburg. Ob den Steuerzahlern ärmerer Länder die gute Stimmung im Sta-dion wichtiger ist als Sozialleistungen, ist nicht belegt.