Roger Manderscheids Künstlerroman Kasch, e genie verschwënnt an der landschaft, der 2004 bei Éditions Ultimomondo erschien, ist nicht nur ein für luxemburgische Verhältnisse gutes Buch. Kasch gehört gelesen, ganz gleich, ob man sich im Allgemeinen für Literatur in luxemburgischer Sprache interessiert oder sie nur für eine provinzielle Kuriosität hält. Gerade weil Manderscheid den Vergleich mit seinem heimatlichen Zwergenstaat nicht braucht, um sich wie ein Riese zu fühlen, wirkt die Übersetzung seiner Romane folgerichtig, die Erreichung eines größeren Lesepublikums wünschenswert. Doch wie auch bei seiner Romantrilogie Schacko Klak, De Papagei um Käschtebam und Feier a Flam, stellt sich die Frage nach der Möglichkeit eines solchen Versuchs, die Frage nämlich, ob der Übersetzer Manderscheid das, was den Autor Manderscheid ausmacht, beim Übersetzen nicht notgedrungen zum Verschwinden bringen muss.
Die Schwierigkeiten bei der Übersetzung von Manderscheids Luxemburgisch gehen über die übliche Problematik des „Verrats“ an der Ausgangssprache, am Verlust des eigentümlichen Tonfalls und der Authentizität der ersatzweise verwendeten Sprachbilder hinaus. Bei Manderscheid steht mehr auf dem Spiel als der Verzicht auf die ursprüngliche Idiomatik. Neben den üblichen Hürden der Übertragung, muss der Übersetzer einen Weg finden, die Problematisierung des Luxemburgischen als Schriftsprache wiederzugeben, die bei Manderscheid zum prägenden stilistischen Mittel wird.
Dabei erschwert gerade die Nähe des Luxemburgischen zum Deutschen die Aufgabe einer deutschen Übersetzung. Stolpersteine sind nicht die vielen Übereinstimmungen im Wortlaut („Keller“, „Maus“, „Auto“), sondern die zahlreichen Fälle, in denen der luxemburgische Wortschatz an unüberwindbare Grenzen stößt. In solchen Fällen wird das Deutsche zur Ausweichs- und Behelfssprache, muss für die Dürftigkeit, die das Luxemburgische in vielen Wortfeldern charakterisiert, als Ersatz herhalten. Der Luxemburger borgt sich Wörter aus der Nachbarsprache oder verwendet sie zur Erfindung von Fremdwörtern, die im Hochdeutschen kaum gebräuchlich sind („Tiefkühler“, „Kinderkutsche“). „ech sot éinescht dat wuert schweigegesank,“ bekennt der Protagonist des Romans, Luc Freilinger, „e preisescht wuert, mä schweigen kann een eben net op lëtzebuergesch iwwersetzen: näischt soen? d’maul halen? d’zong friessen? schweegen? schwéigen? schwougen?“
Der Bildhauer Luc Freilinger, die Erzählstimme des Romans, ist mit einem äußerst feinen Sprachgefühl ausgestattet; er gerät regelmäßig an die Grenzen dessen, was sich in seiner Muttersprache sagen lässt: „fallschirmjäger, nach sou e preisesche wuertbatz“. Typisch für Manderscheid ist nun, dass er sich mit dem sprachlichen Fremdkörper nicht abfindet, sondern ihn im Satz hervorhebt und mit eigensprachlichen Mitteln überformt –; aus den Fallschirmjägern macht er so kurzerhand „fallschirm-spréngerlécken“.
Lucs bester Freund Kasch, der große und unglaublich starke Alleskönner und Alleswisser, der eines Tages spurlos von der Bildfläche verschwindet, ist ein Spezialist des Fremdwortes und der geborgten Redeweise. So wie die Erinnerung an Kasch in das Leben des angehenden Bildhauers hineinragt, so bestimmt Kaschs Ausdrucksweise die Sprache, in der Luc seinen Weg vom antriebslosen Gärtner zum selbstbewussten Künstler erzählt. Die passende – eben nicht zwingend genuin luxemburgische – Formulierung, die auf den Punkt bringt, wozu Lucs eigene Sprache nicht ausreicht, übernimmt er meistens vom abwesenden Überfreund und Weltenbummler Kasch; eine Praxis, die im Lauf der Erzählung nach und nach zum standardisierten Gebrauch des Kürzels „(k.)“ für „kasch“ führt, mit dem Luc auf die Aneignung fremder Wortkörper verweist.
Im Luxemburgischen funktioniert die gezielte Hervorhebung des fremden beziehungsweise fremd wirkenden Wortes als stilistischer Kniff einwandfrei. Die Übersetzung jedoch, insbesondere die Übersetzung ins Deutsche, steht vor der großen Schwierigkeit, dass das Problem, einer Ungenügsamkeit des Luxemburgischen mit vorwiegend deutschen Lehnwörtern beizukommen, in der Zielsprache kaum fühlbar gemacht werden kann. Kein Wort für „schweigen“ zu haben, ist ein Manko des Luxemburgischen, aber nicht des Deutschen. Was kann die Übersetzung tun, wenn der Autor gerade auf dieses Manko abheben will?
Dass es keinen Sinn hat, der Zielsprache ein Problem zu unterstellen, das sie nicht kennt und daher für den Leser kaum nachvollziehbar darstellen kann, hat Manderscheid offenbar berücksichtigt. Wortspiele und pointierte Einsetzungen deutscher Fremdwörter lässt er in der deutschen Version seines Romans meist fallen. Aus den mühsam erworbenen „fallschirmspréngerlécken“ werden dort wieder schnöde „Fallschirmspringer“. Diese Entscheidung ist weise, aber auch gefährlich. Sie glättet das Original an den Stellen, wo der Autor seine Sprache durch ein Ringen um den angemessenen Ausdruck intensiviert, wo er seiner Erzählung sein unverwechselbares Wasserzeichen einprägt.
Ein anderer Übersetzer als Manderscheid hätte von Kasch vielleicht nicht mehr übriggelassen, als einen sauber, aber farblos erzählten Plot. Nicht so Manderscheid. Die geniale Unterstellung an das Deutsche als Zielsprache der Übersetzung lautet, dass auch die Sprache der „Kollege vun déisäit“ an manchen Stellen bei der Widergabe von Nuancen versagt, die das Luxemburgische mühelos differenzieren lassen. Statt diese Nuancen als dialektische Makel aus dem Text zu streichen, lässt Manderscheid sie stehen; kultiviert sogar das, was man in Umkehr zum Phänomen der „Germanisierung“ des Luxemburgischen1, eine – wenngleich sanfte – „Luxemburgisierung“ des Deutschen nennen könnte. Der „kolleg“ bleibt ein „Kollege“ und in der denkwürdigen Anfangspassage hängt Kasch immer noch auf seinem Plastikstuhl, „als ob er stundenlang so dasitzen könnte, in die Luft zu schauen.“ Die Übersetzung gibt dem deutschen Leser ein vor diesem Verfahren warnendes Vorwort mit auf den Weg; eine Skizze zum Problem einer luxemburgischen „Nationalliteratur“ von Paul Maas und ein biographischer Abriss von Germaine Goetzinger bringen ihm den Autor näher. Warum Manderscheids Kleinschreibung den Geboten des Duden weichen muss, wird zwar nirgends erläutert; dennoch ist Herkules Kasch eine gelungene Übersetzung. Das heißt: Sie führt nicht vom Originaltext weg, sondern an ihn heran.
1 Vgl. Jacques Wirion: „Warten auf den überlebensgroßen Herrn Kasch“, in: d’Lëtzebuerger Land vom 22. April 2005.
Roger Manderscheid: Herkules Kasch. Ein Genie verschwindet in der Landschaft. Roman. Aus dem Luxemburgischen vom Autor. Gollenstein Verlag, Merzig, September 2008; 500 Seiten; 19,90 Euro; ISBN 978-3-938823-24-8