Am Ende ließ Jeannot Krecké doch umdisponieren: Auf der internationalen Konferenz über Growth Factors for Biotechnology am Dienstag in der Handelskammer wurde nicht, wie vom gastgebenden Centre de recherche public de la Santé vorab verkündet, jene Stärken-Schwächen-Analyse veröffentlicht, die klären helfen soll, ob in Luxemburg die Biotechnologie zu einem industriellen Standbein entwickelt werden könnte. Nur ein „Executive summary“ dessen, was das CRP-Santé im Auftrag des Wirtschaftsministeriums und in Zusammenarbeit mit Pricewaterhousecoopers in zwölfmonatiger Arbeit ermittelt hat, wurde als Powerpoint-Vortrag angeboten. Die Studie sei noch gar nicht abgeschlossen, meinte Krecké nach seiner Eröffnungsrede: Was die ausländischen Fachteilnehmer an der Konferenz zum Thema zu sagen hätten, sollte in das Dokument „einfließen“.
Unverständlich ist die Zurückhaltung des Wirtschaftsministers nicht. Politisch wenig klug wäre es, angesichts von Rekordarbeitslosigkeit, Hiobsbotschaften wie dem erneuten Stellenabbau bei Villeroy [&] Boch, einer vielleicht unsicheren Zukunft des Stahlstandorts und wachsendem Globalisierungsdruck auf den Innovationssektor Autozulieferbranche zu früh die Biotech-Fahne als heilsverkündendes Symbol zu hissen. Klar war schon vorher und noch klarer war nach der Konferenz: Der Aufbau eines Biotechnologiestandorts ist nicht durch opportunistische Nischensuche zu haben, sondern nur mit einer ganz klaren Strategie. Und wahrscheinlich kostet er nicht nur einiges an Zeit, sondern auch an Geld.
Außerdem soll ganz ausdrücklich auch die Endfassung des Dokuments weder eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung noch eine Risiko-Abschätzung treffen. Und schließlich: Red Biotechnology for Luxembourg – Strengths and Weaknesses betrachtet nur die so genannte „rote“ Biotechnologie, die den Bereich der pharmazeutischen und medizinischen Anwendungen umfasst. Dabei ist der Biotech-Sektor insgesamt vielfarbiger, und wenn es um Standortbelebung geht, könnte womöglich auch die Entwicklung des „rosafarbenen“ Teilsektors für Luxemburg eine interessante Option sein: Er beinhaltet sämtliche Aktivitäten um Patentschutz, Lizenz- und Urheberrechte sowie Veröffentlichungen. Da die Einrichtung des EU-Patenttribunals am EU-Gerichtshof auf dem Kirchberg beschlossene Sache ist und dort Streitfälle aus einzelstaatlichen Patenterteilungen geschlichtet werden sollen, könnte Luxemburg sich nicht zuletzt auch seiner Vielsprachigkeit wegen zu einer regelrechten Hochburg für Patentanwaltsbüros, Beratungsfirmen für „geistiges Eigentum“ und vielleicht sogar Fachverlagen entwickeln.
Andererseits sind wichtige Grundlagen schon gelegt, damit Luxemburg teil haben könnte am Zukunftsmarkt Biotech-Rot. Die Life Sciences sind ein wichtiges Forschungsfeld. Die Tätigkeit darin ist seit der Gründung des CRP Santé Ende der Achtzigerjahre nicht mehr nur beschränkt auf die Forscher-Mediziner mit Spezialstatut am CHL und das hochkarätige, an die WHO angebundene immunologische Labor des Staatslaboratoriums. Auch an der Universität sind die Life Sciences ein Forschungsschwerpunkt. Und wenn die beiden ersten rot-biotechnologisch zu nennenden Forschungsprogramme des Fonds national de la recherche (FNR) seit 2000 ein Gesamtbudget von 8,5 Millionen Euro umfassen, das CRP Santé beim FNR vor kurzem ein Großprojekt zum „Tissue Engineering“ unter Nutzung adulter Stammzellen eingereicht hat, das auf 20 Millionen Euro veranschlagt wird, dann zeichnet sich ab, dass Life Sciences hier zu Lande zum Schlüsselbereich der Forschung werden könnten. Die bisher schon entwickelte Dynamik und der Umstand, dass die Regierung trotz knapper Staatsfinanzen bis 2010 die Finanzierung der öffentlichen Forschung auf ein Prozent des BIP steigern will, hat nicht nur manch international renommierte Luxemburger Biotech-Forscher zur Rückkehr veranlasst, sondern lockt auch ausländische Wissenschaftler an.
Faktoren wie diese hält die Kurzfassung der Biotech-Studie als eindeutige Stärken fest. Fragt sich, ob zu diesen Forschungsaktivitäten auch unternehmerische hinzu treten könnten, und falls ja, welche und in welchem Umfang. Bislang sind in erster Linie Kliniken die Kunden der Life-Science-Forschung. Darüber hinaus sind 56 Unternehmen der „Health industry“ mit insgesamt 1 377 Mitarbeitern derzeit in Luxemburg ansässig. Die Zahl vermag zu überraschen, sagt aber allein nicht viel, denn abgesehen von 18 Niederlassungen von Pharma-Großhändlern sind vermutlich nur neun nicht weiter beschriebenen Medizintechnologiebetriebe wegen eigener Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten für die öffentlich betriebene Forschung potenzielle Partner.
Das ist der Chancen zur Verknüpfung von öffentlicher Forschung und privatwirtschaftlichen Innovationsbemühungen sicher noch nicht genug und weitab von einer „kritischen Masse“ am Standort. Hoffen lässt die Großregion: Abgesehen davon dass es, sagt Susanne Michel, Autorin der Studie und am CRP-Santé Chefin der Technologietransferabteilung, seit Allerneuestem ein Interesse von US-amerikanischen und israelischen Firmen an einer eventuellen Niederlassung in Luxemburg wegen dessen zentraler Lage in Westeuropa gibt, kämen solche Zeichen auch von einzelnen lothringischen Betrieben im Rahmen ihrer Diversifizierungsstrategien. SaarLorLux sei eine besondere Chance: Verkannt werden dürfe zwar nicht, dass es innerhalb der Großregion sieben Universitäten und Forschungszentren gibt und allein rund 17 000 Medizinstudenten. Und an Standorten wie Liège, Nancy oder im Saarland gibt es bereits „Cluster“ aus akademischer Forschung und privatwirtschaftlicher Applikation. Allerdings seien diese Aktivitäten fragmentiert und nach außen oft noch wenig vernetzt, und europaweit gehe der Trend in regionaler Kooperation, die zu Spezalisierung führt. Robert Kanz, Direktor des CRP-Santé, sieht Luxemburg in einer Rolle als „Netzbildner“. Dass das CRP in seinem „Tissue Engineering“-Projekt mit Einrichtungen in Nancy und Frankfurt zusammenzuarbeiten plant, sei ein Wegweiser, wie es funktionieren könnte – nur großregional, vielleicht aber mit Luxemburg als „Hub“, wie er es nennt.
Das klingt gut, doch der Weg dahin dürfte lang und kostenträchtig sein. Die internationalen Referenten auf der Biotech-Konferenz stellten Modelle aus Irland, Spanien, Belgien und Deutschland vor – allesamt benötigten sie mindestens fünf, eher zehn Jahre Anlaufzeit. Und die Region um München etwa wurde eine der besten Biotech-Adressen Europas innerhalb fast eines Jahrzehnts, obwohl dort zwei der größten Universitäten Deutschlands, Einrichtungen des Max-Planck-Instituts und Filialen großer Pharma-Firmen ihren Sitz haben. Bei aller schon stattfindenden Life-Science-Forschung in Luxemburg dürfte es allerdings noch einige Jahre dauern, ehe Biowissenschaftler als hochqualifizierte Arbeitskräfte für Biotech-Firmen beziehungsweise als Gründer eigener Start-ups die Universität verlassen: Einen Bachelor-Studiengang in Biowissenschaften gibt es zwar schon, der Master-Studiengang beginnt erst in zwei Jahren.
Was könnte daraus wirtschaftspolitisch zu schlussfolgern sein? – Vielleicht die Notwendigkeit, sich für ein bestimmtes forschungsmäßig innovatives, aber auch kommerziell vielversprechendes Teilgebiet zu entscheiden und es mit dem „Vitamin PPP“ der Public-private partnerships massiv zu fördern. Anhand einer US-amerikanischen Fallstudie, nach der vor fünf Jahren mit 90-Millionen-Dollar-Aufwand im bis dahin biotechnologischen Niemandsland Arizonas ein Gentechnik-Projekt gestartet wurde, das nach und nach zum Kristallisationspunkt eines neuen Standorts wurde, stellt die Stärken-Schwächen-Analyse diese Option in den Raum.
Auf jeden Fall sollte, das empfahlen sämtliche Fachteilnehmer der Konferenz, ein Rahmen für Biotech-Start-ups gesetzt werden. Teile davon existieren bereits seit der Gründerzeit der IT-Branche Ende der Neunzigerjahre, wie die Businessplan-Initiative 1,2,3 Go! der Handelskammer oder die beratenden Business Angels, die sich neben Informations- und Kommunikationstechnologien auch auf Biotech orientieren könnten. Das CRP-Santé plant darüber hinaus die Einrichtung eines Biotech-Inkubators für Firmenprojekte.
Start-up-Förderung stellt allerdings ebenfalls eine eminent politische Frage dar. Die rote Biotechnologie ist ein New-Economy-Abenteuer. Weil gerade ihre Entwicklungen durchaus zehn Jahre bis zur Marktreife benötigen können, ist Risikokapital in diesem Biotech-Segment europaweit besonders umkämpft: Nur 300 Millionen Euro flossen im vergangenen Jahr europaweit von den rund 20 Risikokapitalgebern an Start-ups in ihrer „Frühphase“, rechnete Christian Schneider von der Münchner PolyTechnos Venture-Partners vor. Das ist nicht viel, denn „Frühphase“ heißt, dass eine Entwicklung der roten Biotechnologie bereit ist zu klinischen Tests, und bis dahin können an die zehn Millionen Euro Kapitalaufwand nötig sein.
Daraus folgt: Biotech-Start-ups fördern zu wollen, dürfte auch heißen, Ja zu sagen zu beispielsweise steuerlichen Anreizen, für die es innerhalb der EU-Staaten verschiedene Modelle gibt. Wissend jedoch, dass man in der roten Biotechnologie, bei aller Zukunftsträchtigkeit, durchaus Geld versenken kann: nur drei von zehn Jungunternehmen aus dem „roten“ Segment schaffen es erfahrungsgemäß, auf eigene Füße zu gelangen.
Peter Feist
Kategorien: Innovation
Ausgabe: 02.02.2006