Gut, dass wir mal geredet haben. So ließe sich, etwas böswillig, das Ergebnis der 13-monatigen Beratungen der parlamentarischen Medienkommission umschreiben. Die Netzneutralität, also das Prinzip, dass alle Daten, die im Internet versendet werden, gleich behandelt werden, müsse erhalten bleiben, fasst sie in ihrem einstimmig verabschiedeten Abschlussbericht zusammen. Eine gesetzliche Regelung auf nationaler Ebene soll es nicht geben: Die Abgeordnten wollen die Beratungen auf europäischer Ebene abwarten.
„Wir wollten keinen Alleingang“, sagte Berichterstatter Eugène Berger von der Demokratischen Partei im Telefongespräch mit dem Land. Der Liberale ist derzeit in der Provence unterwegs. „Vielleicht wird das Parlament auch eine Motion vorlegen“, so Berger weiter. Eine simple Absichtserklärung nach monatelangen Beratungen? Als die Abgeordneten auf Anfrage des Grünen Claude Adam im November 2011 das erste Mal über das offene Internet diskutierten, klang alles noch sehr viel dringlicher. Und sehr auf der Höhe der Zeit, denn auch in den Nachbarländern wurde über die Netzneutralität gestritten.
Bereits im Juli 2011 hatte die Enquête-Komission Internet und die digitale Gesellschaft des Deutschen Bundestags ihre Beratungen abgeschlossen, damals ohne konkretes Ergebnis. Der Streit um eine gesetzlich geregelte Netzneutralität erhielt erneut Zündstoff, als die Deutsche Telekom im April diesen Jahres eine neue Tarifstruktur für Festnetz-Neukunden ankündigte: Statt einer Flatrate sollen Datensendungen von Vielnutzern, im Jargon Heavy user, bei Überbeanspruchung gedrosselt werden. Wer einen Fixpreis für seinen Internetanschluss bezahlt und dann mehr herunterlädt, als der Preis vorsieht, soll ab 2016 seine Daten nachrangig, also verlangsamt, erhalten. Ihr eigenes Fernsehangebot will die Telekom indes von der Regelung ausnehmen.
Die Telekom hatte aber nicht mit der Empörung der Kunden gerechnet: Kaum hatte sie ihre Plänen zur neuen Tarifpolitik verkündet, kursierten im Netz bereits Aufrufe, die „Drosselkom“, wie das Unternehmen kurzfristig spöttisch getauft wurde, selbst auszubremsen. Die Telekom wolle zwei Arten Internet schaffen, so der Vorwurf: ein schnelles, performantes für Zahlungskräftigere und ein langsamere, abgebremstes für Arme. Eine Unterschriftenaktion eines Studenten fand innerhalb von nur drei Tagen 50 000 Unterstützer, so dass der junge Mann seinen Frust demnächst im zuständigen Bundestagsausschuss selbst vortragen darf.
Die Telekom steht mit ihrer Forderung, Vielnutzer stärker zur Kasse zu bitten, aber keineswegs alleine. In dem kürzlich veröffentlichten Abschlussbericht der Luxemburger Medienkommission bekennt sich auch die Luxemburger Post dazu, eine neue Preispolitik zu befürworten. „Wir sind nicht gegen das Prinzip Netzneutralität, aber wir sind auch für eine faire Beteiligung der Nutzer an den Investitionskosten“, erklärt Pressesprecher Oliver Mores. Im Abschlussbericht klingt das so: „À moyen terme, le client devra choisir, en toute transparence, entre différentes qualités d’accès à des prix variables“. Und weiter: „À long terme, il faudra trouver un moyen de répartition des frais d’investissment dans les backbones, notamment par une participation des fournisseurs de contenu.“
Tatsächlich geht es, wie so oft, ums liebe Geld. Rund 200 Millionen Euro hat die Post nach eigenen Angaben bisher in die Modernisierung ihrer Mobilfunk- und Festnetznetzleitungen investiert. Rund 60 bis 70 Millionen Euro seien allein in die Erweiterung des Hochgeschwindigkeits-Glasfasernetzes geflossen, so Oliver Mores. Bisher könne die Post rund 80 Prozent der Luxemburger Bevölkerung mit einer Netzgeschwindigkeit von 30 Megabit pro Sekunde versorgen. Andere Nutzer, die nicht P&T-Kunden sind, nutzten diese Infrastruktur mit, swuwb aber an den Investitionskosten direkt nicht beteiligt. Vielnutzer auf der einen Seite, aber auch Inhalteanbieter, wie etwa Google, Youtube oder auch Apple, sollen für die Durchleitung ihrer drastisch steigenden Datenströme zahlen, die ihre Kunden bei den Anbietern abrufen. Es geht also darum, die Netzbetreiber als eine Art Zwischenhändler in beide Richtungen, für Konsumenten und Inhalteanbieter, aufzubauen.
Dass nur zehn Prozent des Basisnetzes, dem so genannten Backbone, genutzt würden, wie Berichterstatter Eugène Berger dem Land mitgeteilt hatte (d’Land vom 17.08.2013), bestreitet die Post übrigens: Es gebe „keine ungenutzten Überkapazitäten“, betont Oliver Mores. Die Post beschwichtigt ihrerseits, wie die Deutsche Telekom, eine neue Preispolitik würde die Netzneutralität nicht beeinträchtigen. „Wir blockieren nichts“, betont Pressesprecher Mores. Man unterstütze aber eine „fair usage policy“. Unklar bleibt, für wann denn die Post eine solche Preispolitik anstrebt. Sollte sie dann eines Tages bestimmte Daten bevorzugt behandeln, wäre das der Anfang vom Ende des gleichen Netzzugangs für alle, so die Befürchtungen etwa der Piratenpartei.
Dass der Zugang zum Datennetz jedoch schon heute sozial ungleich ist, hatte die Kölner Internetforscherin Nadia Kutscher den Abgeordneten erklärt: Unter Haushalten mit langsamerer oder gar keinem Internetanschluss befinden sich vergleichsweise viele mit niedrigerem Einkommen. Weil aber das Internet heute für viele Dinge zunehmend unverzichtbar wird, etwa für Bank- oder andere Geschäfte, aber auch im sozialen Kontakt, sei das Recht auf Partizipation und auf informationelle Selbstbestimmung in Gefahr, sagen Kritiker wie der Netzaktivist und Mitglied der Enquête-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des Bundestags Markus Beckedahl, der ebenfalls zu den Luxemburger Abgeordneten sprach. Eine seiner Sorgen gilt der verwendeten Technologie: Um zu erkennen, welches Datenpaket vorrangig durchgelassen werden soll, müsste der Netzbetreiber den Inhalt zumindest ansatzweise kennen – und damit wäre es vorbei mit der Anonymität und auch mit der informationellen Selbstbestimmung, so Beckedahl. Eine solche Technologie existiert bereits, sie werde unter anderem von Geheimdiensten und von staatlichen Internetzensoren wie China verwendet.
Ob die Luxemburger Post ebenfalls auf solche Technologien zurückgreifen würde, sollte sie eines Tages ihre Preispolitik ändern, ist unklar. Wie sie sich ein solches Geschäftsmodell vorstellt, verrät sie nicht. Auch erläuternde Angaben zu den sehr vagen Zeitrahmen „mittel- oder langfristig“, gibt Sprecher Mores nicht. Bisher gebe es lediglich grobe „Zeitpläne“, aber ohne „konkreten Jahreszahlen“, sagte er ausweichend. Mitglieder der zuständigen Parlamentskommission berichtetem dem Land, die Post hätte bei der Anhörung „recht deutlich“ klar gemacht, dass sie mit der jetzigen Situation nicht zufrieden ist.
Dass sich die Abgeordneten dennoch dagegen entschieden haben, die Netzneutralität gesetzlich vorerst nicht zu regeln, liegt daran, dass sie nach den Beratungen keinen dringenden Handlungsbedarf sehen: „Die Regulierungsbehörde hat bisher keinen Verstoß festgestellt“, sagt Eugène Berger. Tatsächlich bescheinigte das Institut Luxembourgeoise de Regulation, das die Luxemburger Netzbetreiber überwacht: „... la législation luxembourgeoise en vigeur est suffisante à l’heure actuelle afin de garantir la neutralité d’Internet.“ Bei Kontrollen hatten die Inspekteure zwar drei Anbieter ausgemacht, die im Kleingedruckten ihrer Abonnementverträge die Nutzung von VoIP-Diensten (Voice over Internet Protocol), beispielsweise Skype, eingeschränkt hätten. Auf Empfehlung der Regulierungsbehörde seien diese Beschränkungen aber aufgehoben worden.
Als weiteren Grund für die Zurückhaltung des Parlaments gibt Berichterstatter Eugène Berger juristische Bedenken an. Als einziges Land in der Europäischen Union haben die Niederlande die Netzneutralität geregelt. Dort ist es Netzbetreibern per Gesetz verboten, Einfluss auf den Datenverkehr zu nehmen, es sei denn, dem Kunden entstehen dadurch Vorteile. Das niederländische Telekommunikationsgesetz untersagt sowohl die künstliche Verlangsamung von Datenflüssen als auch ihre Blockierung. Kunden können auch nicht mehr ohne weiteres vom Netzanschluss getrennt werden, sondern nur noch, wenn sie beispielsweise offene Rechnungen nicht bezahlt haben. Mit dem Gesetz will die niederländische Regierung erklärtermaßen Softwarenfirmen entgegenkommen, die auf eine schnelle ungehinderte Weiterleitung ihrer Datenströme angewiesen sind.
Erstaunlicherweise stößt dieses Argument bei Luxemburger Unternehmen, wie es scheint, auf eher taube Ohren. „Als wir mit den Beratungen begannen, hatten wir gemeint, mit einer klaren gesetzlichen Regelung gerade Nutzern aus der Spiele- oder Software-Industrie entgegenzukommen. Das scheint aber nicht so zu sein“, sagt Eugène Berger. Die schwarz-rote Regierung treibt den Ausbau des ultraschnellen Internets gerade mit der Begründung voran, Softwarefirmen ins Land locken zu wollen. Der ehemalige Minister für Kommunikation, François Biltgen, hatte die Netzneutralität stets als Standortvorteil aangepriesen. Auch sein Nachfolger. Luc Frieden, folgt der Linie. Er unterstützt Land-Informationen zufolge den Abschlussbericht der Abgeordneten.
Doch die hiesigen IT-Unternehmen klingen weitgehend zufrieden mit der jetzigen ungeregelten Situation. In den Anhörungen vor der parlamentarischen Kommission äußerten sich ihre Vertreter jedenfalls eher abwartend und vorsichtig. Bislang seien in Luxemburg keine Probleme bezüglich der Netzneutralität bekannt, ein nationales Gesetz würde ohnehin nur den Datenfluss in Luxemburg regeln, aber „ne résoudrait en rien les problèmes vu l’aspect transfrontalier des fux Internet“, wird die ICT Luxemburg im Abschlussbericht zitiert. Lu-Cix, ein weiterer Zusammenschluss von IT-Firmen, empfahl, das Recht auf ein neutrales Internet in die Verfassung zu schreiben, eine nationale Regelung lehnt auch sie ab. Ein anderes Gegenargument lautet, dass ein Gesetz angesichts der rasanten technologischen Entwicklung riskiere, bald wieder überholt zu sein. Datenverkehr ist global, nationale Datennetze sind an andere Datennetze angeschlossen. Wenn immer mehr Länder in Europa die Netzneutralität national regeln, werde es für Unternehmen immer schwerer, zu durchschauen, welche Bestimmungen wo gelten. Genau dieser globale Aspekt ist es aber auch, weshalb Gruppen wie die Piratenpartei, die Frage der Netzneutralität am liebsten auf europäischer Ebene geregelt sähen.
Die Europäische Kommission jedoch lässt auf sich warten. Nachdem die zuständige EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes lange keinen Handlungsbedarf gesehen hatte, sagte sie im Sommer vergangenen Jahres zu, die Netzneutralität notfalls gesetzlich zu regeln, und lud Experten aus der IT-Branche und der Zivilgesellschaft zu Anhörungen ein. Ihr Bericht wird für diesen Sommer erwartet. Sollte von dort das Signal kommen, dass die Netzneutralität per Gesetz geregelt wird, „dann machen wir das auch“, versicherte der DP-Abgeordnete Eugène Berger dem Land.
Allerdings: So weit kommt es höchstwahrscheinlich gar nicht. Nach dem Plädoyer der EU-Kommission für ein neutrales, ungehindertes Netz veröffentlichte die Liberation im Januar einen Artikel zum Thema. Darin schrieb niemand anderes als die EU-Kommissarin Kroes selbst: „Was Netzneutralität betrifft, so benötigen die Verbraucher eine echte Wahl, welche Art Internetverbindung sie bestellen. Eine Wahl würde auch Innovationen sowie Investitionen der Internet-Provider antreiben, was allen zugutekommt.“ Was Kroes unter Wahlmöglichkeit versteht, präzisierte später ihr Sprecher: „Neelie Kroes unterstützt die Idee, dass die Menschen ihre Internetverbindung wählen können. Darunter fällt selbstverständlich auch ein Komplettdienst, aber wenn Ihnen ein Provider ein einfacheres Paket zu einem niedrigeren Preis anbietet, und Ihnen ist das aus Kostengründen oder wegen Ihres Anforderungsprofils recht, was sollte das Problem sein? Beispielsweise sollte niemand gezwungen werden, die Video-Downloads eines anderen mitzufinanzieren, wenn er nur einige Mails abrufen oder mit seinen Enkeln skypen will.“ Es sieht ganz so aus, als hätten die Befürworter eines verbrieften Rechts auf Netzneutralität ihren Kampf bereits verloren.