Auf die Zähne beißen, hieß die Devise der Koalitionsparteien in den vergangenen Tagen. Nach dem Desaster des Referendums vom 7. Juni und den verheerenden Ergebnissen der rezenten Meinungsumfragen ist nicht mehr viel übrig geblieben von der Euphorie und Aufbruchstimmung, dem ungestümen Tatendrang der schwungvollen jungen Männer, die vor anderthalb Jahren die Fenster groß aufreißen und den CSV-Staat ausmisten wollten, die in der Präambel ihres Koalitionsabkommens die politische Erneuerung, die Modernisierung des Landes und mutige Reformen versprachen.
Mit zusammengebissenen Zähnen verbreiteten die parlamentarischen Fraktionen von DP, LSAP und Grünen während der vergangenen Tage bei ihren Bilanzpressekonferenzen die Losung: „Luxemburg geht es gut, aber wir müssen weiter reformieren.“ In den Wettbewerbsindizes rücke Luxemburg wieder in die Weltspitze, im Sozialen verdiene es die Note AAA, gesellschaftspolitische Reformen machten das Land modern und offen, hieß es. Tatsächlich hat sich die Konjunktur deutlich verbessert, aber es gelingt der Regierung nicht, politischen Nutzen daraus zu ziehen.
In den zurückliegenden zehn Monaten habe man den Haushaltsentwurf für 2015 mitsamt des Zukunftspak verabschiedet, gab Alex Bodry zu bedenken. Dabei sei es gelungen, die Förderung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit mit der Verteidigung des Sozialstaats zu vereinbaren. Man sei von der Haushaltspolitik der vorigen Koalition abgerückt, einfach die Steuern zu erhöhen und die Investitionen zu senken, freute sich der LSAP-Fraktionssprecher, dem die langjährige Koalition mit der CSV nachträglich nicht mehr so zu gefallen scheint. Denn die Koalition mit der Rechten habe wiederholt zu „Turbulenzen“ geführt, die sich deutlich von der „bemerkenswerten Geschlossenheit“ der gegenwärtigen Koalition unterschieden.
Nun habe man neue Prioritäten und Wachstumsziele. Sogar einen mehrjährigen Haushaltsentwurf habe man vorlegen können, der sich nicht auf die simple Fortschreibung von Haushaltsposten beschränkt habe, und der Saldo gehöre zu den „Top drei“ in Europa. Auch die gesellschaftspolitischen Reformen seien außergewöhnlich wichtig, damit Luxemburg in der Welt nicht als Operettenstaat angesehen werde.
DP-Fraktionssprecher Eugène Berger richtete sich am Dienstag an den Idealtypus des liberalen Wählers, der die Staatsquote hasst wie der Teufel das Weihwasser. Ihn erinnerte er daran, dass das Defizit und die Schulden unter CSV und LSAP „aus dem Ruder gelaufen“ seien. Aber die Regierung, will heißen der DP-Finanzminister, habe sie wieder ins Lot gebracht. Denn ein AAA im Sozialen wolle erst durch ein AAA bei den Staatsfinanzen verdient werden.
Weit mehr als DP und LSAP, die immer vom Rang der Volkspartei träumen, konzentrieren sich die Grünen auf die Bedienung ihrer Stammwählerschaft. Deshalb zählte Viviane Loschetter, die Fraktionssprecherin der Grünen, am Montag für ihre Wählerschaft die rezenten Errungenschaften der Koalition auf, von Fahrradwegen über die gleichgeschlechtliche Ehe und die Abtreibungsreform bis zum Verbot der Fuchsjagd.
Besser als der Zustand des Landes seien laut Alex Bodry nur noch seine Aussichten. Das Statec bescheinige Luxemburg 3,5 bis vier Prozent Wirtschaftswachstum für das laufende Jahr, die Zentralbank 3,9 Prozent. Zum ersten Mal seit zehn Jahren könne die Arbeitslosenquote nächstes Jahr sinken. Vielleicht habe „das alles auch ein bisschen mit der Regierungspolitik zu tun“, formulierte er vorsichtig. Für 2016 bis 2018 sei ein Haushaltsüberschuss zu erwarten, eine Staatsschuld von weniger als 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, und auch der Sozialdialog habe wieder begonnen.
Jahrzehntelang habe man über die Trennung von Staat und Kirche diskutiert, nun sei sie beschlossen. Jahrelang seien bloß Studien in Auftrag gegeben worden, nun würden Reformen in Angriff genommen. Dabei stelle sich die für diese Untätigkeit verantwortliche CSV nun als große Profis der Politik dar, so Bodry. Auch DP-Fraktionssprecher Eugène Berger zählte bei der Bilanzpressekonferenz der liberalen Parlamentarier in bunter Reihenfolge die Radarfallen, den Artuso-Bericht, die Fahrradwege und vieles mehr auf, um den Fleiß und den Erfolg der Koalition zu unterstreichen.
Allerdings war die Bilanz der Fraktionssprecher von LSAP, DP und Grünen lückenhaft. Denn für viele Wähler hieß die Sanierung der Staatsfinanzen bloß Mehrwertsteuererhöhung und Kindergeldkürzung, war der Zukunftspak nur ein weiteres Sparpaket. Auch das Gefeilsche um dessen 258 oft willkürliche Sparmaßnahmen, die Blamage mit dem „Beitrag für die Zukunft der Kinder“, der anfangs dilettantische Umgang mit Luxleaks, der Untergang der Plans sectoriels, der Personalstreit in der Armee, der Polizei, dem Fonds de logement und dem Arbeitsamt scheinen vielen Wählern besser in Erinnerung geblieben zu sein als den Mehrheitsfraktionen.
In der Regierungserklärung hatte Xavier Bettel die Bildung und den Wohnungsbau zu den großen Prioritäten der Regierung erklärt. Doch Erziehungsminister Claude Meisch hat mit dem ungeschickten Streit um Sparmaßnahme Nummer 118 beim Arbeitspensum der Studienräte seit fast einem Jahr die Bildungspolitik lahmgelegt, während die Sekundarschulreform seit zwei Jahren auf Eis liegt, wie Claude Wiseler am Mittwoch klagte. Wohnungsbauministerin Maggy Nagel erwies sich ihrerseits als so unfähig, dass nun ein Staatssekretär, Marc Hansen, ihre Arbeit machen muss.
Claude Wiseler, der Fraktionssprecher der CSV, meinte am Mittwoch, die Regierung habe „in Rekordzeit den Kredit verloren, den sie am Anfang hatte“. Sie habe sowohl durch ihre politischen Entscheidungen, wie auch durch deren Form „ihre Glaubwürdigkeit verloren“. Dass er nicht maßlos übertrieb, zeigte das Desaster beim Referendum vom 7. Juni, als alle Vorschläge in allen Gemeinden verworfen wurden. 78,0 Prozent der Wähler lehnten das Ausländerwahlrecht ab, 80,9 Prozent die Senkung des Wahlalters und 69,9 Prozent die Befristung der Regierungsmandate, wie sie von der Regierung vorgeschlagen worden waren: Die Ablehnung reichte also bis weit in die eigenen Reihen der Koalition, die 2013 immerhin auf 48,6 Prozent der Stimmen gekommen war.
Die derzeitige Enttäuschung der Anti-Juncker-Wähler von 2013 drückt sich auch in den Meinungsumfragen aus. Im Oktober 2013 erzielten DP, LSAP und Grüne eine knappe Mehrheit von 32 Parlamentssitzen. Doch seither verliert die Koalition alle sechs Monate bei den Meinungsumfragen von TNS-Ilres für das Tageblatt zwei Parlamentssitze. Dadurch hätte sie bereits im Frühjahr nach den Wahlen ihre Mehrheit im Parlament verloren, und bei der vorerst letzten Umfrage, Mitte dieses Jahres, hatte die Opposition bereits einen Vorsprung von zehn Mandaten auf die Regierungsmehrheit. Während sich die Grünen halten, verlieren DP und LSAP bei der „Sonntagsfrage“ alle sechs Monate jeweils einen Sitz. Würde sich dieser Rückgang linear fortsetzen, hätten die drei Koalitionsparteien bei den Wahlen Ende 2018 zusammen noch elf Sitze...
Nicht bessert sieht es mit der Popularität der Minister aus. Die Sympathiebekundungen für die schwungvollen jungen Männer sind bei den gleichen Umfragen drastisch zurückgegangen. Der im Vergleich zum griesgrämigen CSV-Premier Jean-Claude Juncker erfrischend jungenhafte Xavier Bettel kam einen Monat vor den Wahlen 2013 auf 77 Prozent Sympathie; seither geht es nur noch bergab bis auf inzwischen 45 Prozent. Etienne Schneider, der Hoffnungsträger der LSAP, ist im gleichen Zeitraum von 57 Prozent auf 37 Prozent gefallen, François Bausch, die langjährige Gallionsfigur der Grünen von 47 auf 36 Prozent. Erziehungsminister Claude Meisch ist im Südbezirk der unbeliebteste Politiker aller Parteien, 63 Prozent der Befragten wollten, dass er keine wichtige Rolle mehr spiele – eine bemerkenswerte Leistung für einen Minister nach anderthalb Jahren.
Das Ergebnis des Referendums und das schlechte Abschneiden in den Meinungsumfragen führen dazu, dass sogar die Legitimation der Regierung wieder in Frage gestellt wird, so wie es 2013 nach dem Ausbooten der CSV geschehen war. Nach der Niederlage beim Referendum legte die CSV dem Premierminister den Rücktritt nahe. Auf der Internetseite des Parlaments sammelt Flavio Menei aus Oetringen Unterschriften, um „e Referendum fir Regierungsneiwahlen“ zu organisieren, weil bei der Regierungsbildung der Wählerwille nicht respektiert worden sei und die Leute inzwischen ganz unzufrieden mit der Regierung seien. Die Petition unterstützen derzeit über 2 700 Unterzeichner; sie muss bis zum 19. August deren 4 500 erreichen, um Gegenstand einer öffentlichen Anhörung im Parlament zu werden. Den Rücktritt der Regierung wegen Unfähigkeit verlangt auch eine von Daniel Rinck aus Mertert eingereichte Petition, die bis zum 26. August aufliegt und es derzeit auf über 500 Unterschriften gebracht hat.
Doch die Koalition fühlt sich ungerecht behandelt und legt sich öffentlich, wenn keine Erklärung, dann doch zumindest eine Entschuldigung zurecht. Sie habe laut Alex Bodry eben wichtige Entscheidungen getroffen, zu denen die CSV/LSAP-Koalition unfähig gewesen sei, und das mache sie halt nicht populärer. Auch Eugène Berger meinte, die Regierung habe in den vergangenen Monaten Entscheidungen treffen müssen, die nicht einfach, aber nötig gewesen seien, um „Luxemburg auf solide Füße zu stellen“. Die Wähler aber sind uneinsichtig und undankbar.
Während innerhalb der LSAP so langsam Zweifel am allzu liberalen Bettel/Schneider-Kurs aufkommen, ist nach außen nicht die Regierungspolitik, sondern die CSV Schuld an der Unzufriedenheit der Wähler. Trotz der wirtschaftlichen Erfolge gebe es, so Bodry, „eine subjektiv gefühlte Unzufriedenheit“, die es zu analysieren gelte. Eine Erklärung sei das „ewige Schlechtmachen und Schwarzsehen“, das die CSV in der Öffentlichkeit verbreite, um sich in die Regierungsverantwortung „hineinzuschleichen“, das „Gift“, das sie „in die Köpfe der Leute“ versprühe und offenbar nicht ohne Wirkung bleibe. Man müsse aber auch in Ruhe verschiedene Fehler, die begangen wurde, diskutieren. Dazu gehörten Kommunikationsfehler, überstürzte Ankündigungen und verfrühte Aussagen von Ministern, durch die Reformprojekte zerredet worden oder nur noch schwer vermittelbar gewesen wären.
Für die DP ist nicht die Regierungspolitik Schuld an der Unzufriedenheit, sondern die Wähler sind es selbst, weil sie die Leistungen der Koalition nicht begreifen. Premier Xavier Bettel klagte am Samstag in einem Interview bei RTL, es dauere eben, um zu erklären, dass Reformen nötig gewesen seien und die Ausgaben für „verschiedene Sachen zurückgeschraubt“ werden mussten. „Das Tempo unserer Arbeit war vielleicht ein wenig zu rapide“, die Regierung habe ihre politischen „Botschaften nicht langsam wirken lassen“ können. „Wir haben immens viel gemacht, aber für manche Leute zu schnell, und sie haben nicht verstanden, weshalb wir es gemacht haben.“
Zur gleichen Zeit gab LSAP-Außenminister Jean Asselborn bei Radio 100,7 dem Premier Recht, dass es einen politischen Preis habe, den Staatshaushalt zu sanieren. Doch nun, da die Konjunktur anziehe, könne die Koalition vielleicht davon profitieren, um verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Sein Parteikollege Alex Bodry hatte sich getröstet, immerhin sei erst ein Drittel der Legislaturperiode vorüber und noch nichts verloren. Dagegen rechnete CSV-Fraktionssprecher Claude Wiseler am Mittwoch vor, dass die Koalition das erste Halbjahr auf die Vorbereitung des Referendums verwendet habe und im zweiten Halbjahr nun mit dem europäischen Ratsvorsitz beschäftigt sei. Danach bleibe „ein knappes Jahr“ für politische Initiativen, bevor die Gemeindewahlen und anschließend die Kammerwahlen die Aufmerksamkeit auf sich zögen.
Vielleicht wird die historische Aufgabe der liberalen Reformkoalition darin bestanden haben, bis zum Amtsantritt des nächsten CSV-Premiers kurz die Staatsausgaben zu drosseln und die Privilegien des Erzbistums zu beschneiden. Dann hat sie ihre Aufgabe erfüllt und verwaltet die nächsten drei Jahre bloß noch die Staatsgeschäfte. Wie jeder CSV-Premier auch.