Wer sich zum (Literatur-)Kritiker aufschwingt, beharrt wohl oder übel auf seiner Überzeugung bzw. Arroganz, über die gültigeren Maßstäbe als die von ihm rezensierten Bücher und bemäkelten Autoren zu gebieten, er hielte sonst dieser anmaßenden Profession nicht (lange) stand. Er trifft freilich - und gottlob! - immer wieder auf Bücher und Autoren, von denen er auf Anhieb oder ab der ersten Zeilen bzw. Seiten weiß, sie haben ihm manches voraus, sie werden ihm - auch nach 45 Jahren kritischer Praxis - zu einer herz- und hirnerweiternden Lehre: Von diesem Zuschnitt ist schon die erste der auf zwei Bandwälzer projektierte Steichen-Story von Rosch Krieps. Dieses Vorauslob ist weder der Kollegialität, noch der Kumpanei, noch dem Respekt vor den unstrittigenen Verdiensten des Verfassers um diese Wochenzeitung geschuldet, im Gegenteil, ausgerechnet der "coup de foudre" für diese zumindest immerfleißige Auseinandersetzung mit einer der bedeutendsten Persönlichkeiten, die Luxemburg hervorgebracht hat, macht ihn keineswegs blind für redaktionelle Mängel, die ihn, jawohl, genervt haben, aber nicht daran hindern, diese längst überfällige und angemessene Feier eines einzigartigen Lebens und Schaffens mit Gewinn bis zur Neige auszuschöpfen.
"(Fast) niemand ist Prophet in seinem Lande..." Das Sprichwort bewahrheitet sich auch und vielleicht gerade im Falle des als Luxemburger geborenen, als Schulbub mit den hausarmen Eltern 1881 aus Monnerich nach den USA ausgewanderten und, knapp volljährig, schon als Amerikaner eingebürgerten Eduard Steichen. Der alsbald unter dem yankeesierten Namen Edward J. Steichen amerika- und später weltweit berühmte, an der Malerei gereifte Fotograf, hat sich frühzeitig mit dem seinerzeit in der "neuen Welt" noch vorherrschenden Pioniergeist angesteckt; er war z.B. nach dem Umzug der immer noch existenziell bedrohten Familie von Hancock nach Milwaukee, zur Unterstützung seiner Eltern nicht nur der erste radelnde Telegrammbote der USA, er kehrte (nach einer ersten Bildungsreise anno 1900) als erster authentischer Kriegsreporter in US-Air-Force-Uniform nach Europa zurück, und der Innovationsgeist wird Edward J. Steichen bis ins hohe Alter von 94 Jahren nicht mehr verlassen.
Allein seiner von Übersee aus gesehen misthaufengroßen Heimat Luxemburg scheint der zeitlebends mit allen geistigen, kreativen, politischen Koryphäen seiner Epoche (u.a. Rodin, Picasso, Sandburg, Roosevelt, Kennedy etc.) in meist sogar haltbar freundschaftliche Verbindung getretene Promoter und Erneuerer der Fotografie als Kunstgattung und Kommunikationsmedium über Jahrzehnte hinweg schnurzegal geblieben zu sein.
Es bedurfte sehr spät, erst 1955, eines Land-Beitrags des als Ingenieur, Kunstexperte, Ameisenforscher und Gourmet weithin bekannten und anerkannten Robert Stumper, um dem Großherzogtum und seinen provinziellen Untertanen den großen Ex-Landsmann Edward J. Steichen ins Bewußtsein - oder soll man sagen: ins Gewissen? - zurückzurufen und ... den Land-Redakteur Rosch Krieps ein erstes Mal auf Steichens Fährte zu setzen. In der Tat, auch "Propheten" à la Steichen sind ohne Herolde Nobodies, und Rosch Krieps entwickelt sich, spätestens seit der ersten leibhaftigen Begegnung mit seinem Idol im Jahre 1962, zu einem so emsenfleißigen Kenner und Künder der überwältigenden Lebensleistungen des ehemaligen Biwinger Buben Edy Steichen, dass er manch einem als "enragé", als Nervensäge, in Sachen Steichen auf den Geist zu gehen droht.
Rosch Krieps, seiner Ausdauer, seiner terriergleichen Verbissenheit in seine Steichen-Mission aber ist es zu danken, dass sich Luxemburg, sein Herrscherhaus, seine Regierung - endlich, endlich! - wach- und aufrütteln lassen, den Meister in persona wiederholt heimholen, ihn mit den höchsten Auszeichnungen des Landes bedenken und, zur Krönung dieser Heim-Suchung, seiner wohl größten Leistung, der Ausstellung Family of Man, im renovierten Clerfer Schloss eine ständige Bleibe einräumen.
Die gleiche Ausdauer, die gleiche Verbissenheit, das gleiche Engagement, das den Land-Redakteur in seinen journalistischen Kampagnen etwa wider die Wehrpflicht, die Bauernzentrale oder die Torheiten eines Bauten- und Transportministers auszeichneten, lässt Rosch Krieps nun auch, nach mehr denn vierzigjähriger Beschäftigung mit dem Menschen und Künstler, auch im ersten von zwei Bänden seiner Steichen-Story - Er umarmte die Menschheit - obwalten. Vielleicht stellt man sich den Autor dieser Story am besten mitten in einer während vier Jahrzehnten zusammengerafften und hochgestapelten gigantischen Materialsammlung vor, nicht wissend und immer wieder mit der Entscheidung ringend, wann, wo und wie dieses Archiv an persönlichen und zugespielten Dokumenten, an Primär- und Sekundärliteratur anzapfen?
Rosch Krieps schöpft so sehr aus dem Vollen, dass eine mitunter leidige Redundanz nicht zu vermeiden ist. Zudem greift sich der Biograf Krieps ständig selber ins Geschirr und kommentiert, nicht selten arg ätzend, mitunter auch naiv-idealistisch die Lebens- und Schaffens- und Wirkungsgeschichte des genialen Menschenbildners Steichen ex hic et nunc und beweist auch hier das undistanzierte Engagement für die ewigen Werte der Humanität, die schon das Markenzeichen des aktiven Journalisten gewesen ist.
Rosch Krieps gibt seiner subjektiven und objektiven Werks- und Wirkungsbilanz zwar den Titel Steichen-Story und schöpft dafür in aller Transparenz in den persönlichen und familiären Memoiren sowohl des "Titelhelden" als auch seines berühmten Schwagers und Poeten Carl Sandburg, seiner Nachkommen Joanna, Paula und Richard J. Steichen sowie der Nichte und Schriftstellerin Helga Sandburg, er versucht desweiteren Steichen über Werke von North Callahan und Penelope Niven über Carl Sandburg, des ex-schwedischen "brudder" nahezukommen, Rosch Krieps untertreibt dabei jedoch unnötig und zu Unrecht die "künstlerische" Wertung Steichens zugunsten einer exhaustiven, detailbesessenen Familienchronik. Seinen Rezensenten aber nimmt er, trotz oft unnütz retardierender Darstellung, besonders dadurch gefangen, dass ihm quasi unter der Schreibhand eine panorameske Kultur- und Gesellschaftsgeschichte Europas und Amerikas im letzten Fünftel des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelungen ist.
Bewunderungswert merkwürdig an dieser Kulturgeschichte crû Krieps: Erst um die Seite 100 taucht Edy oder Eduard oder Edward J. Steichen in Lebensgröße in der Chronik auf, bislang ist die "Story" eher das Hohelied auf Steichens Mutter Mary Kemp-Steichen, einer in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Frau, in welcher der Sohn alle Frauen dieser Erde verehren und - zwar ungläubig - geradezu anbeten wird: das ansehnliche Mannsbild Steichen wird es nicht zuletzt in Mutters Namen, nebst manchem Seitensprung, bis ins hohe Greisenalter auf immerhin drei Ehefrauen bringen!!!
Die Bewunderung des Rezensenten für die Verdienste des Kollegen Rosch Krieps um die Heimholung Edward J. Steichens, eines einsam großen geborenen Luxemburgs, sein tiefer Dank an den Autor für eine unschätzbare Wissensbereicherung wird freilich leicht getrübt: Zwar bekennt Rosch Krieps offen, dass er seine offensichtlich mit heißer Schreibnadel gestrickte Steichen-Chronik habe nach- und gegenlesen lassen. Ein echter Lektor - und an diesem für das gute Buch unentbehrlichen Berufszweig gebricht es Luxemburg immer noch und immer wieder - hätte ihm zahllose, oft buchstäbliche Wiederholungen gnadenlos zum höheren Nutzen einer Raffung und Straffung des gewaltigen Stoffes gestrichen, ein solcher Lektor hätte ihm wohl auch einige im Eifer des Schreibgeschäftes und im Stress der verzögerten Fertigstellung des Werkes unterlaufenen peinlichen Stilblüten und grammatische Schnitzer ersparen helfen.
Nichtsdestotrotz darf mit Fug und Recht die Steichen-Story des Rosch Krieps kurz nach Erscheinen bereits unter die "Highlights" des Luxemburger Buch-Jahres 2003 gezählt werden.