Mit großem Pomp wurde die Schaffung des Staatsfonds angekündigt. Seither ist das Interesse daran derart gesunken, dass nicht einmal die gesetzlichen Vorschriften eingehalten werden

Verbrutscht

d'Lëtzebuerger Land vom 26.08.2016

Weil er nicht wolle, dass man das Geld weiterhin mit beiden Händen ausgebe und danach den Kindern sage müsse, sie müssten sehen, wie sie klarkommen, werde die Regierung einen Staatsfonds schaffen. Das hatte Finanzminister Pierre Gramegna (DP) erklärt, als er im Oktober 2014 seinen ersten wirklich von ihm gestalteten Haushalt im Parlament hinterlegte. Damit kam er einer der Forderungen nach, die er selbst früher als Direktor der Handelskammer gestellt hatte. Doch seit der Fonds mit der Annahme des Haushaltsgesetzes am 19. Dezember 2014 geschaffen wurde, scheint der Finanzminister das Interesse daran derart verloren zu haben, dass noch nicht einmal die im Gesetz vorgesehen Fristen zur Hinterlegung der Konten beim Handelsregister eingehalten werden.

Nicht nur deshalb scheint das Unterfangen Staatsfonds immer abenteuerlicher. Sondern auch aufgrund der Art und Weise, wie er in den vergangenen zwei Jahren finanziert wurde. Das Gesetz zur Schaffung der öffentlichen Einrichtung Fonds souverain intergénérationnel du Luxembourg (FSIL) sieht vor, dass er jährlich mit 50 Millionen Euro aus dem Haushalt gespeist wird. Die 50 Millionen, heißt es im Gesetz, stammen aus den Einnahmen aus den Treibstoffakzisen und der Mehrwertsteuer auf dem elektronischen Handel. Darüber hinaus kann der Fonds mit Zuwendungen aus nichtwiederkehrenden Einnahmen dotiert werden.

Genau das geschah dieses Frühjahr: „Dee Fong ass elo schon mat 100 Milliounen Euro gespeist an et kommen nach 34 Milliounen Euro derbäi, déi mer duerch de Verkaf vun den Droits de Souscription am Kontext vun der Kapitalerhéijung vun Arcelor Mittal erakruten“, sagte Staatsminister Xavier Bettel (DP) in seiner Rede zur Lage der Nation vergangenen April im Parlament. „D’Regierung hält sech also un hiert Engagement, lafend Käschten net kuerzfristeg mat extraordinäre Recetten ze decken, mä déi fir zukünfteg Generatiounen unzeleeën.“

Wie es der Staat als Aktionär von Arcelor-Mittal geschafft hatte, aus der Beteiligung an der Kapitalerhöhung des Stahlkonzerns Geld herauszuschlagen, anstatt welches auf den Tisch legen zu müssen, wie es für Teilnehmer an Kapitalerhöhungen üblich ist, erklärte Xavier Bettel damals nicht näher. Die Ankündigung ging in der Aufregung darum unter, dass die Regierung mit der angekündigten Steuerreform ihr positives Haushaltsziel rückgängig gemacht hatte.

Um den Staatshaushalt zu entlasten und weitere Ausgaben zu sparen, hatte sein Koalitionskollege und Vize-Staatsminister Etienne Schneider (LSAP) im Vorfeld zwar bereits erklärt, dass anstelle des Staats selbst die staatliche Förderbank SNCI an der Kapitalerhöhung teilnehmen werde – dafür hat sie eigenen Angaben zufolge im April 60,67 Millionen Euro ausgegeben. Wie daraus für den Staat eine Sondereinnahme in Höhe von 34 Millionen Euro entstand, erläuterte aber auch Schneider nicht weiter und nachdem er verkünden konnte, dass der Hauptsitz von Arcelor-Mittal in Luxemburg bleibe und es einen „Package-Deal“ über weitere Grundstücke gebe, auf denen Eigentumswohnungen entstehen könnten, interessierte das nicht weiter.

Dass der Staat an der Kapitalerhöhung von Arcelor-Mittal Geld verdient hat, anstatt nur zu bezahlen, liegt an deren Strukturierung. Der Stahlkonzern hat alte Aktien eingestampft, das Kapital reduziert, den Aktionären Zeichnungsrechte im Verhältnis von zehn alten Aktien gegen sieben neue gegeben und die Kapitalerhöhung durchgeführt. Die Zeichnungsrechte wurden im Prospekt der Kapitalerhöhung entsprechend dem damaligen Aktienkurs und einer einigermaßen komplizierten Zauberformel auf 0,84 Euro das Stück bewertet. Seine eigenen Zeichnungsrechte verkaufte der Staat für 32,7 Millionen Euro an die SNCI, die sich damit an der Kapitalerhöhung beteiligte. So musste die SNCI zweimal berappen: einmal, 60,67 Millionen Euro, um für den Staat die Kosten der Kapitalerhöhung zu übernehmen und einmal fast 33 Millionen, um die Zeichnungsrechte des Staats zu bezahlen. Die Beteiligung des Staates an Arcelor-Mittal ist in der Folge dennoch von 2,5 auf 2,1 Prozent gefallen. Auf diese Art und Weise hat die Regierung 33 Millionen Euro von den Konten der SNCI als Sondereinnahme in den Haushalt befördert, die in der Folge an den FSIL überwiesen wurden – obwohl dies nicht notwendig gewesen wäre, damit sich die SNCI an der Kapitalerhöhung von Arcelor-Mittal beteiligt. Isabelle Goubin, Schatzamtsdirektorin und Vorsitzende des Direktionskomitees des FSIL nennt das eine „normale komerzielle Transaktion“.

Da sowohl die SNCI als auch der FSIL dem Staat gehören, könnte man das als Transaktion von der einen in die andere Hosentasche betrachten. Doch SNCI und FSIL verfolgen unterschiedliche Ziele. Während die Förderbank Ausstattungs- und Investitionskredite an heimische kleine und mittlere Unternehmen (KMU) vergibt und dadurch zur wirtschaftlichen Entwicklung und Diversifizierung Luxemburgs beitragen soll, hat der FSIL zum Ziel, sein Guthaben auf den internationalen Geldmärkten anzulegen. Dabei ist fraglich, ob der FSIL genug Rendite erzielen kann, um seine Kosten zu decken.

Das hat weniger mit der SNCI-Transaktion zu tun, als damit, dass der Staat, mangels Überschüssen bei den Verwaltungen, Geld leihen muss, um den Haushalt zu finanzieren, aus dem auch die 50 Millionen Euro stammen, die jährlich in den FSIL fließen. Während andere Länder, die einen Staatsfonds haben, diesen aus Überschüssen durch Sondereinnahmen speisen – als Paradebeispiel dient der aus den Erdöleinnahmen finanzierte norwegische Staatsfonds –; kann Luxemburg darauf nicht zurückgreifen. Dass der Luxemburger Staat Schulden hat, stellte von allen Parteien ausgerechnet für die DP im vergangenen Wahlkampf das größte Problem dar: 7,02 Milliarden Euro waren es zum 30. Juni 2016. Die durchschnittliche Laufzeit der Luxemburger Schulden betrug zur Jahresmitte sechs Jahre und 218 Tage, der durchschnittliche Zinssatz, mit dem diese Schulden entlohnt werden, 2,546 Prozent.

Xavier Bettel zitierte in seiner Rede zur Lage der Nation seinen Amtsvorgänger Jean-Claude Juncker (CSV), um diesen bloßzustellen, weil seine Regierung Akzisen und Mehrwertsteuer zur Finanzierung des ordentlichen Haushalts benutzte: „De fréiere Staatsminister hat ganz Recht, wéi e virun 10 Joer sot: ‚Entweder verbrutsche mer alles wat mer hun elo oder mer halen et fir d’Kanner. Dat eent oder dat anert. Et ass méi einfach et elo ze verbrutschen, et ass méi schwéier et fir d’Kanner ze halen, well d’Kanner gi jo nach net wielen.’ Nëmme just, dass ee sech deemols net dorunner gehalen huet a vill ze vill verbrutscht huet amplaz eppes op d’Säit ze leeën.“ Bleibt man bein den kulinarischen Metaphern, geht die blau-rot-grüne Regierung mit ihrem Fonds souverain intergénérationnel noch einen Schritt weiter. Denn sie riskiert, nicht nur das, zu verbraten „wat elo do ass“ sondern auch das, was noch gar nicht da ist.

Bis jetzt, teilt Isabelle Goubin auf Nachfrage mit, war das Guthaben des FSIL von 133 Millionen Euro auf einem Konto der BCEE angelegt, das mit null Prozent Zinsen vergütet wurde. Dass ein solcher Fonds eine gewisse Anlaufzeit braucht, ist an sich nicht sonderlich überraschend – der Kompensationsfonds der Rentenversicherung hatte nach seiner Schaffung 2004 drei Jahre gebraucht, um erste Investitionen zu tätigen. Doch die Summen waren um ein Vielfaches größer und der Prozess, mit öffentlichen Ausschreibungen für Depotbanken und internationale Anlageverwalter, um ein Vielfaches komplexer. Als der Kompensationsfonds 2007 anfing zu investieren, legte er innerhalb von vier Monaten 5,7 Milliarden Euro mit Hilfe von 13 verschiedenen Anlageverwaltern an. Die Gelder des FSIL sollen von der BCEE verwaltet und angelegt werden, sagt Isabelle Goubin. Laut Jahresbericht des Fonds für 2015, den Goubin nicht herausgeben wollte, der dem Land aber dennoch vorliegt, bereitet die BCEE also die Jahres- und Halbjahreskonten vor und ist außerdem als Bankagent beauftragt, die Banktransaktionen, Kauf- und Verkaufsaufträge durchzuführen, die Einnahmen zu kassieren und darauf zu achten, dass die Vorgaben für die Investitionspolitik eingehalten werden. Eine Ausschreibung für diese Dienstleistungen hat es laut Isabelle Goubin nicht gegeben, weil sie nicht notwendig war.

Wer dem Investitionskomitee angehört, das laut Gesetz die Investitionsentscheidungen vorbereitet, wollte Isabelle Goubin ebenfalls nicht sagen. Laut Jahresbericht gehört dazu neben, André Birget, CFO von Foyer S.A, und John Holloway vom Europäischen Investitionsfonds auch Aly Kohll, beigeordneter Direktor und Chef der Abteilung Banque de Marché der BCEE. Laut Gesetz sind die Mitglieder der Führungsorgane des Fonds „tenus d’agir dans l’intérêt exclusif du Fonds. Un membre, qui dans l’excercie des ses fonctions est amené à se prononcer sur une affaire dans laquelle il peut avoir un intérêt personnel, direct ou indirect, de nature à compromettre son indépendance doit en informer l’organe auquel il appartient et ne prend pas part à la délibération en question.“ Ob Herr Kohll also an keiner Sitzung des Investitionskomitees teilnehmen kann oder seine Anstellung bei der BCEE in diesem Fall nicht als „intérêt personnel“ gilt?

Dass sogar den Erfindern des Fonds das Risiko sehr bewusst ist, dass die Einnahmen die Kosten nicht decken werden, spiegelt sich in den Vorgaben für die Anlagepolitik des FSIL wider, die der Regierungsrat Ende März abgesegnet hat. Das Renditeziel fällt recht bescheiden aus und orientiert sich am Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) für die Eurozone einerseits und anderseits an den Kosten für die Aufnahme von Schulden durch den Luxemburger Staat: „Le fonds vise un redement supérieur ou égal au plus élévé des deux montants suivants: le niveau cible de la Banque centrale européenne, qui est proche mais inférieur à deux pour cent sur le moyen terme ; et le taux d’intérêt d’un emprunt obligataire de l’État luxembourgeois à dix ans“, teilt Isabelle Goubin auf Nachfrage mit. Dabei sollen 57 Prozent der Gelder in Anleihen „type investment grade“ – das schließt Arcelor-Mittal mit seiner derzeitigen Bonität aus – und zu 40 Prozent in Aktien angelegt, die restlichen drei Prozent als Barmittel gehalten werden.

Da die EZB derzeit eine expansive Geldpolitik betreibt und weil Luxemburg einer der letzten Staaten ist, die über die Bonitäts-Bestnote AAA verfügen, sind die Zinsen verhältnismäßig niedrig. Seine bisher letzte Anleihe mit einer Laufzeit von zehn Jahren gab der Luxemburger Staat vor den Wahlen im Juli 2013 aus, als er zwei Milliarden Euro zu einem Zinssatz von 2,125 Prozent aufnahm. Dass die Zinsen aber weiterhin so niedrig bleiben, ist nicht sicher. Der andere Luxemburger Staatsfonds, der Kompensationsfonds der Rentenversicherung, verfügte Ende 2015 über ein Anlagevermögen von 15,8 Milliarden Euro und verbuchte eine Nettorendite von 529 Millionen. Er erzielte zwischen 2007 und 2015 eine durchschnittliche Rendite von fünf Prozent, wobei er 2014 eine außergewöhnliche hohe Rendite von 11,87 Prozent auswies. Dass der FSIL mit solchen Zahlen konkurrieren kann, scheint angesichts seiner bescheidenen Propor­tionen eher unwahrscheinlich, zumal eine diversifizierte Risikostreuung schwierig ist. Viel Spielraum für Nettorendite gibt es, nach Berücksichtigung der Zinskosten und der eventuellen Inflationsentwicklung in Luxemburg demnach nicht.

Laut Gesetz vom 19. Dezember 2014 kann der Fonds frühestens 20 Jahre nach seiner Gründung oder wenn er ein Anlagevermögen von einer Milliarde Euro angesammelt hat (was seiner Dotierung von 50 Millionen innerhalb von 20 Jahren entspricht), beginnen, die Hälfte seiner Jahreseinnahmen wieder zurück in den ordentlichen Haushalt einzuspeisen. Dass der FSIL „die Kinder“ mit erheblich Beiträgen zum Staatshaushalt entlasten kann, hat auch der Gesetzgeber bei seiner Entstehung nicht wirklich erwartet. Vielleicht ist deshalb das Interesse am Fonds im Finanzministerium so gering, dass die Konten für das Geschäftsjahr 2015 entgegen der gesetzlich vorgesehenen Fristen nicht rechtzeitig beim Firmenregister hinterlegt wurden. Die Ersteintragung des FSIL beim Firmenregister, durch die die Mitglieder des Direktionskomitees registriert wurden, fand am 23. August 2016 statt. Die Konten für 2015 wurden tags drauf registriert. Sie halten mangels Einnahmen und angesichts der Ausgaben für den Buchprüfer PWC einen Verlust von 9 500 Euro zurück. Isabelle Goubin räumt „eine Verspätung“ bei der Hinterlegung der Konten ein. Dass dieses Versäumnis diese Woche korrigiert worden sei, habe nichts mit den Nachfragen des Landes zu tun, betont Isabelle Goubin ausdrücklich. „Wir hatten schon vorher Schritte eingeleitet, um die Situation über den Sommer zu regularisieren.“ Ob es auch Schritte gibt, die noch fehlenden großherzoglichen Verordnungen herauszugeben, mit denen die Vergütung der Mitglieder der verschiedenen Gremien des Fonds geregelt werden sollen? Dass es diese bisher nicht gibt, sagt Isabelle Goubin, dafür gebe es „einen guten Grund“: „Die Leute verzichten während der Anfangsjahre des Fonds auf eine Entschädigung“.

Michèle Sinner
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