Whizz Kid Jeff Feller, schlank, hochgeschossen, blaue Augen, kurze dunkelblonde Haare, blaugrauer Anzug, den ersten Knopf am weißen Hemd geöffnet, galt lange Zeit als politische Nachwuchshoffnung der DP. Kurz nachdem er das Abitur am Lycée classique in Diekirch abgeschlossen hatte, kandidierte er 2011 bei den Wahlen in der aus einer Fusion von Ermsdorf und Medernach hervorgegangenen Ernztalgemeinde und belegte auf Anhieb den zweiten Platz. Mit nur 20 Jahren wurde der Sohn eines Gebrauchtwagenhändlers und einer Bankkauffrau jüngster Schöffe von Luxemburg. Insbesondere in kleineren Gemeinden mit nur sechs oder sieben Beamt/innen seien solche Ämter sehr zeitintensiv, sagt Feller heute. Ein Auslandsstudium sei nicht mehr in Frage gekommen, das Studentenleben habe er nie kennengelernt, bedauert er im Gespräch mit dem Land. Seinen Master in Jura machte er an der Uni Luxemburg, von 2015 bis 2017 absolvierte er noch per Fernstudium ein Master of European Studies am Centre international de formation européenne.
Sein wahres Interesse galt aber stets der Politik. Der DP war er schon nach den Wahlen 2009 beigetreten. Ausschlaggebend für sein politisches Engagement sei das historisch gute Abschneiden der CSV gewesen, die damals zwei Sitze gewann und ihr bestes Resultat seit der Nachkriegszeit erzielte. Mit der CSV konnte Jeff Feller sich nicht identifizieren und selbst wenn es heute noch keine Partei gebe, die seine Ansichten zu 100 Prozent vertritt, käme die DP seinen politischen Vorstellungen doch am nächsten: Persönliche Freiheit und Selbstverantwortung seien ihm wichtig, inhaltlich der Kampf gegen den Klimawandel. In der DP gebe es inzwischen viele verschiedene Strömungen, sagt Feller, Denkverbote seien tabu. Die Partei versuche pragmatische Lösungen zu finden, ohne sich ideologisch beeinflussen zu lassen. Vor 30 Jahren sei das wahrscheinlich noch anders gewesen.
2011 wurde Feller Generalsekretär der Jonk Demokraten (JDL), 2012 kam er ins Comité directeur der Mutterpartei. 2013 wäre er fast in die Kammer eingezogen, doch der 20 Jahre ältere RTL-Moderator Marc Hansen erhielt im Norden 38 Stimmen mehr und wurde einige Monate später Staatssekretär unter DP-Bildungsminister Claude Meisch. Im Mai 2014 belegte Feller auf einer jungen Liste den zweiten Platz hinter Charles Goerens bei den Europawahlen, im Juni wurde er Attaché parlementaire der DP-Fraktion, kurze Zeit später avancierte er zum Stellvertreter von Fraktionssekretärin Françoise Schlink. 2017 wurde er als Schöffe bestätigt, legte sein Mandat im Gemeinderat aber 2019 nieder, weil er von Medernach im Norden in das zehn Kilometer entfernte Colmar-Berg im Zentrum umzog. Bei den Kammerwahlen 2018 und den Europawahlen 2019 trat Jeff Feller nicht mehr an. Er habe festgestellt, dass er nicht gerne im Rampenlicht stehe und seine Kompetenzen besser einsetzen könne, wenn er Leute berate. Interviews, wie vor sechs Wochen dem Paperjam oder dieses Gespräch mit dem Land gebe er vor allem aus Pflichtgefühl.
Restrukturierung Im Februar 2019, als Schlink Kabinettschefin von DP-Mittelstandsminister Lex Delles wurde, übernahm Feller das Amt des Fraktionssekretärs. Als solcher war er seit März 2019 Administrateur der Editions Lëtzebuerger Journal SA und seit November 2019 Vorstandsmitglied des Journal-Hauptaktionärs Centre d’études Eugène Schaus (beide Ämter legte er im Mai dieses Jahres nieder). Die mit mehreren Entlassungen verbundene „Restrukturierung“ der liberalen Zeitung und ihre Umwandlung in ein rein digitales Medium hat er aktiv mit umgesetzt.
„Xavier“, den Premier, kennt er schon seit zehn Jahren. Intensiviert hat sich ihr Verhältnis, als Feller Fraktionssekretär wurde. Zu seinen Aufgaben gehörte es, die Kommunikation zwischen Abgeordneten und Regierungsmitgliedern herzustellen. In den vergangenen Jahren hat er ein Vertrauensverhältnis zu Bettel aufgebaut. Seine enge Beziehung zum Premier hat wohl mit den Ausschlag dafür gegeben, dass der ihn im Mai zu seinem neuen Kabinettschef ernannt hat. In zwei Wochen wird Feller das Amt antreten (neuer Fraktionssekretär der DP wird sein Stellvertreter Gene Kasel) und Paul Konsbruck ersetzen, der CEO bei der IT-Firma Luxconnect SA wird. Luxconnect gehört zu 100 Prozent dem Staat und betreibt den Hochleistungsrechner Meluxina. Aus dem Staatsministerium heißt es, Konsbruck habe die Entscheidung für sein Ausscheiden aus dem Staatsdienst selbst getroffen. 2016 war er als Erster Regierungsrat vereidigt worden, sein Mandat läuft eigentlich noch bis 2023. „Jetzt ist ein guter Moment, um einen Schlussstrich zu ziehen. Wenn ich kurz vor den Wahlen aufhöre, heißt es, ich würde nicht mehr daran glauben. Wenn ich kurz danach aufhöre, ist wieder Aufbauarbeit zu leisten oder wir schaffen ein neues Ministerium wie 2018. Und ich hatte nie vor, mein ganzes Leben beim Staat zu bleiben“, schreibt Konsbruck dem Land. Sollte nach den nächsten Wahlen eine andere Partei das Staatsministerium übernehmen, würde Konsbruck wohl in irgendeiner Behörde kaltgestellt, die er sich nicht einmal aussuchen darf. Die hohe Arbeitsbelastung während der Corona-Krise dürfte seine Entscheidung mit beeinflusst haben.
Absteiger
Fakt ist aber auch, dass Xavier Bettel in den vergangenen Monaten an Popularität eingebüßt hat. Im Politmonitor von Wort und RTL belegt er hinter Paulette Lenert und Jean Asselborn nur noch Platz drei. Trotz seiner häufigen öffentlichen Auftritte im Rahmen der Pandemiebekämpfung hat er bei Kompetenz und Sympathie drei Prozentpunkte weniger als im November 2020 (innerhalb eines Jahres sind es sogar vier Prozentpunkte weniger). Nur Martine Hansen (CSV), Dan Kersch (LSAP) und Corinne Cahen (DP) haben noch mehr verloren. Bettels Taktik, in der Coronakrise auf politischen Zusammenhalt zu setzen, ging nur bedingt auf. Seine letzten Ansprachen zur Lage der Nation waren schwach und wurden von Opposition und Presse förmlich zerrissen. Dass er sich Ende Juni mutmaßlich bei einem Besuch in einem Strip-Lokal mit Covid-19 infiziert hat, dürfte ihn weder kompetenter noch sympathischer erscheinen lassen.
Seine diesjährige Rede zur Lage der Nation wird Bettel in der Woche vom 12. Oktober halten. Es wird Jeff Fellers erste Herausforderung als Chef de Cabinet sein. Konsbruck, der ihn im September in das Amt einführen wird, soll ihm bei der Vorbereitung noch behilflich sein. Das Verfassen der Rede zur Lage der Nation ist eine Gemeinschaftsleistung hoher Beamter der gesamten Regierung. Dem Chef de Cabinet des Premierministers obliegen das letzte Wort und der Feinschliff.
Offiziell existiert der Titel Chef de Cabinet im Öffentlichen Dienst nicht. DP-Premierminister Gaston Thorn hatte ihn 1974 wohl im Staatsministerium eingeführt, als er den damals 33-jährigen Paul Helminger zu seinem Berater ernannte. Als die CSV 1979 erneut die Regierungsgeschäfte übernahm, wurde er wieder abgeschafft. Jean-Claude Juncker reagierte angeblich allergisch auf den Titel. Der höchste Beamte im Staat ist eigentlich der Generalsekretär des Regierungsrats, der unter Juncker zeitweise von einem Coordinateur général begleitet wurde. Albert Hansen war von 1979 bis 1998 Generalsekretär, danach kam Octavie Modert, 2004 folgte Marc Colas, der nach dem Regierungswechsel 2013 durch den DP-Mann Jean-Paul Senninger ersetzt wurde.
Sparring Partner Ende 2015 hat Bettel den Chef de Cabinet wieder im Staatsministerium eingeführt, als er den früheren RTL-Journalisten und Eldoradio-Chefredakteur Paul Konsbruck von seinem Kommunikationsberater zu seinem persönlichen Berater beförderte (in anderen Ministerien gibt es den Posten auch). Wie es aus dem Staatsministerium heißt, geschah dies im Rahmen einer Neuorganisierung der Verwaltung. Bettel wollte eine Trennung zwischen seiner Aufgabe als Koordinator der Regierung einerseits und seinen Rollen als Ressortchef, Regierungschef und Repräsentant des Landes andererseits. Diese Trennung vollzog Bettel auch in seinem Backoffice, indem er dem Generalsekretär der Regierung (seit 2020 Jacques Flies) einen Generalkoordinator (Jacques Thill) und einen Kabinettschef zur Seite stellte. Zu den Hauptaufgaben des Chef de Cabinet zählt die Organisation und Verwaltung des Terminkalenders des Staatsministers, er beschafft ihm die nötigen Dokumente, probt mit ihm seine Ansprachen. Er ist sein erster Sparring Partner. Gleichzeitig ist er die erste Anlaufstelle für Lobbyisten und andere Personen, die verlangen, dass der Premierminister ihre Anliegen zur Chefsache erklärt. Er filtert, sortiert und unterbreitet dem Staatsminister die Ideen, die er für wichtig genug hält. Der Premier und sein Chef de Cabinet verbringen viel Zeit miteinander. Diese enge Beziehung setzt persönliches Vertrauen und bedingungslose Loyalität voraus. Von wem könnte Bettel diese Eigenschaften eher erwarten, als von einem jungen Parteifreund?
Jeff Feller, übrigens nicht verwandt oder verschwägert mit dem Hochkommissar für Nationale Sicherheit und Mamer CSV-Schöffen Luc Feller, sieht seiner neuen Aufgabe mit einer gewissen Vorfreude, aber auch mit Respekt entgegen, wie er dem Land erklärt. Das Amt werde sein Privatleben verändern und er habe sich lange mit seiner Ehefrau darüber unterhalten, doch „wenn man wirklich die Chance bekommt, die wichtigsten Politiker im Land beraten zu können und den Anspruch hat, etwas zu bewegen, wie das bei mir der Fall ist, hätte ich es mir nicht verziehen, wenn ich es nicht getan hätte“, erzählt Feller. The West Wing, Borgen und House of Cards hat er bereits gesehen. So weit wie Doug Stamper hofft er für seinen Chef nicht gehen zu müssen. Von Weggefährten wird Feller für sein Wissen, seine Intelligenz, seine Auffassungsgabe und seine Besonnenheit geschätzt. Er sei sehr engagiert, arbeite strukturiert und sei immer gut vorbereitet, sagt Bob Bintz, letzter Bürgermeister von Medernach und seit 2011 Schöffe der Ernztalgemeinde. Alles, wofür man ihn anstelle, führe er super aus, meint der DP-Abgeordnete Max Hahn, mit dem er seit zehn Jahren in JDL, Partei und Fraktion zusammenarbeitet.
Patente Kärel Nach Lex Folscheid (Bildung), Dan Theisen (Familie) und Françoise Schlink (Mittelstand) wird mit Jeff Feller nun ein weiterer Fraktionssekretär der DP Erster Regierungsrat in einem DP-geführten Ministerium. Im Kabinett des Premierministers wird Feller wieder der Jüngste sein. Die anderen Spitzenbeamt/innen des Staatsministers hat er bereits kurz kennengelernt. Keine/r von ihnen ist aktives Mitglied in der DP (oder in einer anderen Partei). Auch Jeff Feller will als Kabinettschef keine Parteipolitik betreiben. Das Staatsministe-rium sei kein Ressort, wo ein politisches Programm umgesetzt werde, sondern es gehe darum, die alltäglichen Krisen zu bewältigen und das Regierungsprogramm umzusetzen, sagt Feller. Er redet wie ein Politiker. Im Vergleich zu seinem Vorgänger Konsbruck wirken seine Erscheinung und sein Auftreten geradezu staatsmännisch.
Bob Bintz bedauert indes, dass Jeff Feller Medernach und die Erzntalgemeinde verlassen hat. Er sei „ee patente Kärel“ und entstamme einer alteingesessenen Familie im Dorf. Andererseits sei sein politischer Aufstieg keine Überraschung, es habe sich schon früh angedeutet, dass Feller zu Höherem berufen sei. „Ich könnte ihn mir gut als Minister vorstellen“, sagt Bob Bintz dem Land. Ausgeschlossen ist es nicht, selbst wenn er sich (vorerst) nicht mehr den Wahlen stellen will. Etienne Schneider und Paulette Lenert wissen, wie der direkte Aufstieg vom Öffentlichen Dienst in die Regierung funktioniert. Doch erst einmal muss Jeff Feller mit dafür sorgen, dass die DP und ihr Premier auch nach dem Superwahljahr 2023 noch in der Regierung sind. Ansonsten könnte der Berufspolitiker schon bald als überbezahlter Beamter in einem Placard landen.