Das Statistikinstitut Statec brachte es unlängst an den Tag: Mit den amtlich recherchierten Daten über die sozio-ökonomische Struktur der Bevölkerung der Stadt Wiltz können kaum Punkte im Rahmen des Nation Branding eingefahren werden, wenn auch der ökologische Fußabdruck der dort lebenden Menschen wahrscheinlich weniger beschämend ist als jener der Gesamtbevölkerung.
Kein Wunder, denn seit Dekaden schon wird die Stadt Wiltz vom Zentralstaat eher stiefmütterlich behandelt. Großzügige technische und sozio-ökonomische Infrastrukturinvestitionen des Staates blieben in der Vergangenheit aus. Ganz im Gegenteil, der Staat nutzte die Schwächen der Stadt immer wieder aus, um dort verschiedene seiner Aufgaben möglichst unkompliziert und kostengünstig erfüllen zu können. Einsamer Champion war hierbei das Olai, das im Laufe der Jahre überdurchschnittlich viele Menschen mit Migrationshintergrund in Wiltz ansässig machte.
Um die prekäre Situation der Stadt nicht noch weiter zu belasten, haben die Verantwortlichen des staatlichen Wohnungsbaufonds im Rahmen der Entwicklung des Projektes „Wunne mat der Wooltz“ vor rund zehn Jahren sämtliche Möglichkeiten des Gesetzes von 1979 über die staatlichen Wohnungsbeihilfen ausgeschöpft, um die Sozialstruktur der Wiltzer Bevölkerung nachhaltig zu stärken. Zumindest hatte der Fonds du logement es sich zur Aufgabe gemacht, eine weitere Schieflage des sozialen Gleichgewichtes in der Ardennenstadt zu verhindern.
Von den 780 programmierten Wohneinheiten (WE), sollte maximal ein Drittel (260 WE) vermietet werden und 520 WE verkauft werden. Von den 260 Mietwohnungen sollten laut Plan 25 Prozent (65 WE) auf dem freien Markt, das heißt nach dem allgemein gültigen Mietrecht, vermietet werden, und „nur“ 195 WE als soziale Mietwohnungen oder als Studentenwohnungen auf den Markt kommen. Von den 520 Eigentumswohnungen sollten 40 Prozent (208 WE) auf dem freien Markt verkauft werden. „Nur“ 312 Wohneinheiten sollten laut Vorgabe an Empfänger einer staatlichen Bauprämie veräußert werden. Insgesamt könnten demnach 403 Wohnungen staatlich subventioniert und 377 WE frei finanziert werden.
Die damalige Wohnungsbauministerin Maggy Nagel (DP) missbilligte vor laufender Kamera diesen Ansatz. In ihrer Rede zum Abschluss der Abrissarbeiten der alten Wiltzer Industriebauten forderte sie den Fonds auf, die Quote der sozialen Mietwohnungen wesentlich zu erhöhen. Die Verantwortlichen des Wohnungsbaufonds kamen der Aufforderung von Frau Nagel, die als Bürgermeisterin von Mondorf-les-Bains während langen Jahren jeden Versuch des Fonds im Keim erstickte, auf dem Gebiet der Gemeinde auch nur eine soziale Mietwohnung errichten zu können, bekanntlich nicht nach.
Diese Vorgehensweise war umso mehr gerechtfertigt, als Frau Nagel als Bürgermeisterin das Kunststück fertigbrachte, dass der staatliche Wohnungsbaufonds eine vordiktierte Einfamilienhaussiedlung des gehobenen Standards in Mondorf errichten und zu hundert Prozent verkaufen muss. Einmalig in seiner 38-jährigen Geschichte ist die Tatsache, dass der Fonds du logement in dieser Siedlung auch freistehende Einfamilienhäuser bauen muss. Andernfalls hätten die Gemeinde ihm das kostengünstige Gelände nicht überlassen, frei nach dem Motto: Vogel friss oder stirb.
Aber Frau Nagel war mit ihrer Einstellung nicht allein auf weiter Flur. Wahrlich nicht! Einst wollte der Fonds in der Gemeinde Grosbous, auf einer staatlichen Parzelle neben dem Friedhof ein Wohnhaus für sechs (!) Flüchtlinge bauen. Dieses Vorhaben spaltete die lokale Bevölkerung in zwei Lager, und um ein bereits angesagtes Referendum zu verhindern, zog der Fonds das Projekt zurück. Ähnliches passierte ihm in Reckingen-Mess, als er eine Handvoll soziale Mietwohnungen neben der Kirche errichten wollte. Doch die damit verbundene Schlammschlacht gewannen die Parkplatzbefürworter, und das Projekt wurde von der Kommune ad acta gelegt.
Die Gemeindeverantwortlichen von Steinfort verhinderten jahrelang erfolgreich den Bau von sozialen Mietwohnungen auf dem ehemaligen staatlichen Areal des Zollamts an der Grenze zu Belgien. Immer neue Steine wurden dem Fonds du logement in die Wege gelegt, doch er hatte das Gelände dem Staat bereits für teures Geld abgekauft und musste bis zur Erteilung der Baugenehmigung lange Jahre geduldig ausharren.
Anlässlich der Grundsteinlegung für ein größeres Projekt des Fonds, das eine Reihe von sozialen Mietwohnungen vorsah, fragte der besorgte Bürgermeister den damaligen Wohnungsbauminister: „Jang, du wirst mir jetzt hoffentlich nicht den menschlichen Abschaum des ganzen Landes hierher bringen?“
Diese Negativserie könnte beliebig fortgesetzt werden. Tatsache ist jedenfalls, dass viele lokale Entscheidungsträger – insbesondere jene, die auch über ein Abgeordnetenmandat verfügen – sich immer wieder lautstark für den Bau sozialer Mietwohnungen einsetzen, aber möglichst in der Nachbargemeinde. Und kommen Projekte nicht zur Ausführung, hat das häufig keine budgetären Gründe. Ganz im Gegenteil, seit 30 Jahren fallen alljährlich Unsummen von staatlichen Budgetmitteln in „économie“, weil sie wegen mangelnder Bereitschaft, soziale Mietwohnungen zu errichten oder errichten zu lassen, einfach nicht abgerufen wurden.
Fakt ist aber auch, dass mit dem Angebot von sozialen Mietwohnungen viele Unannehmlichkeiten auf die Standortgemeinde zukommen. Finanziell gesehen ist der soziale Mietwohnungsbau trotz der großzügigen Subventionierung ein Negativgeschäft. Und in der Regel haben die zu beherbergenden Familien nicht nur ein Wohnproblem, sondern haben multiple Sozialprobleme, und viele von ihnen halten die Mitarbeiter des Sozialamtes regelrecht auf Trab.
Aber nicht alle lokalen Entscheidungsträger sagen „Nein Danke“. So genannte Vorzeigegemeinden sind in diesem Zusammenhang seit jeher die Städte und Gemeinden Rümelingen, Differdingen, Düdelingen, Esch/Alzette, Hesperingen und Wiltz, um nur die wichtigsten zu nennen.
Um diesen kleinen Kreis auszuweiten, war in den verschiedenen Regierungen von 1980 bis 1995 der Innenminister Jean Spautz (CSV) in Personalunion auch der für den Wohnungsbau zuständige Minister. Eine größere Nähe zu den Gemeinden kann die Aufgabe des öffentlichen Wohnungsbaus niemals erhalten. Sie ist nicht zu vergleichen mit dem – zum Scheitern verurteilten – Versuch, die Kommunen auf Vordermann zu bringen, indem das Gemeindesyndikat Syvicol einen Vertreter in den Aufsichtsrat des Fonds du logement entsenden darf. Alle Schöffenräte, die in jener Zeit im Innenministerium vorstellig wurden, insbesondere jene, die um eine finanzielle Zuwendung erbaten, bekamen eine persönliche Einladung von Minister Spautz, sich verstärkt im sozialen Wohnungsbau zu engagieren.
Ein derartiges Engagement kann entweder direkt durch die Gemeinde selbst erfolgen oder in Zusammenarbeit mit einem staatlichen Promotor. Spautz’ Nachfolger Fernand Boden und Marco Schank (beide CSV) pilgerten unermüdlich durch das Land und unterstrichen die unabdingbare Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden und den zentralstaatlichen Organen, um gemeinsam die Wohnungsmisere lindern zu können.
Auch der aktuelle Wohnungsbauminister Marc Hansen (DP) versuchte in Regionalversammlungen, kommunale Mitstreiter für seine Staatsaufgabe zu finden. Doch alle Versuche, dem sozialen Mietwohnungsbau endlich einen echten und spürbaren Impuls zu geben, verharrten bislang im homöopathischen Bereich. Wenn öffentlicher Wohnungsbau, dann bestenfalls subventionierte Eigentumswohnungen und keine sozialen Mietwohnungen. Wenn in Zusammenarbeit mit einem staatlichen Promotor, dann bestenfalls mit der SNHBM und nicht mit dem Fonds du logement.
Bleibt als Alternative nur noch die Einführung einer kommunalen Quotenregelung für den sozialen Mietwohnungsbau?