d’Land: Professor Kreisel, 21 Jahre alt wurde die Universität Luxemburg vergangenes Jahr. Damit ist sie auch nach den konservativsten Vorstellungen von Volljährigkeit erwachsen.
Jens Kreisel: Und sie hat einen ganz bemerkenswerten Weg hinter sich: vom Start-up zum Standortfaktor. Ich bin wirklich davon überzeugt, dass sie in den 21 Jahren mehr geschafft hat als jede andere Universität, die neu gegründet wurde. Sie konnte sich in vielen Themenbereichen international sehr gut positionieren und sich als Forschungsuniversität etablieren. Entgegen dem europäischen Trend ziehen wir noch immer viele Studenten an und schaffen es nach wie vor, tolle neue Studiengänge aufzubauen.
Inwiefern hat sie mehr geschafft als jede andere Universität, die neu gegründet wurde?
An einer Universität machen Personen den Unterschied. In Luxemburg wurden sehr gute Professoren eingestellt. Das geht auf Entscheidungen zurück, die zu treffen bereits unter Rektor Rolf Tarrach begonnen hatte. Man kann das objektivieren: Wir haben großen Erfolg bei EU-Forschungsprojekten, die hoch kompetitiv sind. Bei den sehr personenbezogenen Europa-Preisen, den ERC Awards, sind wir außerordentlich erfolgreich. Keine andere Universität in der Großregion kommt da in unsere Nähe. Und: Wir haben im Moment tausend Doktoranden. Das will etwas heißen. Die müssen alle Lust haben, hierher zu kommen, sie werden angezogen durch Exzellenz. Durch die Universität natürlich auch, aber vor allem durch die Exzellenz einzelner Personen. Doktoranden gehen zu bestimmten Professoren.
Wie gut verankert ist die international erfolgreiche Uni hier im Land?
70 Prozent unserer Studierenden, vielleicht sogar ein bisschen mehr, bleiben in Luxemburg. Das schafft Verankerung. Ein zweiter Anker sind unsere Aktivitäten in Forschung und Innovation, die Zusammenarbeit mit Firmen, Gemeinden, Ministerien. Drittens nehmen wir an gesellschaftlichen Debatten teil und stoßen sie teilweise an. 2023 boten wir aus Anlass des 20. Gründungsjubiläums der Uni 20 öffentliche Vorträge an. Das war spannend. Auch für uns, weil wir sahen, welche Themen besonders interessieren.
Welche Themen sind das?
Wir haben ein bisschen alles ausprobiert, auch alle Sprachen. Mal boten wir Vorträge auf Luxemburgisch an, mal auf Deutsch, auf Französisch oder Englisch. Traditionell ziehen Themen stark an, die mit der Gesundheit zu tun haben, denn das betrifft die Leute. Ebenfalls großes Interesse besteht an Fragen der Ungleichheit und an Geschichte. Vorträge zur künstlichen Intelligenz waren auch sehr gut besucht.
Sie haben gesagt, für eine Uni sind die Professoren besonders wichtig. Wenn im luxemburgischen Sprachgebrauch von Proffs die Rede ist, sind nach wie vor Lycéesproffs gemeint, nicht Unisproffs. Meinen Sie, dass dieser Berufsstand besonders gepflegt werden muss und dass Luxemburg eine Art akademische Bourgeoisie braucht?
Akademische Bourgeoisie kann man sehr unterschiedlich bewerten.
Ja, aber braucht eine Uni einen Anker über die Professoren? Vermutlich hat das keinen Einfluss darauf, wie an ihr gelehrt und geforscht wird, aber auf ihre Akzeptanz in der Gesellschaft.
Der Begriff „Professor“ wird von Land zu Land verschieden gebraucht. Ich habe 16 Jahre in Frankreich gelebt, dort sind die enseignants auch professeurs. Ich bin damit groß geworden, dass es professeurs gibt und professeurs d’université. Als Rektor habe ich auf jeden Fall das Gefühl, dass der Uni viel Respekt entgegengebracht wird. Ehe ich vor zwei Jahren Rektor wurde, war ich vier Jahre Vizerektor für Forschung und hatte dasselbe Gefühl. Unsere Meinung ist etwas wert, uns wird zugehört. Dass unsere Professoren mehr Respekt brauchen, glaube ich nicht, und habe auch noch nie einen sagen hören: „Wir sind in der Gesellschaft hier nicht anerkannt.“ Was in Luxemburg noch stärker werden kann und werden sollte, ist die Wissenskultur. Eine Universität entwickelt Kraft, wenn nicht nur ein Professor sich zu einem Thema äußert, sondern zwei, drei oder noch mehr. Kürzlich hatten wir einen Vortrag zum Thema fake news. Dazu hat ein Professor aus der historisch-kulturellen Perspektive berichtet, ein zweiter aus der medienrechtlichen. Das war hochinteressant. Die Zuhörer fanden das auch, meine ich, denn die Professoren debattierten zum Teil miteinander. Da hatte man das Gefühl: Das ist eine Universität! Wir haben heute 300 Professoren. Größere Universitäten haben natürlich mehr. Wissen in die Gesellschaft zu tragen, ist ein Prozess, der Zeit braucht.
Kann die Uni das besonders fördern? Vielleicht indem sie versucht, Luxemburger als Professoren zu gewinnen?
Wir gewinnen schon mal recht viele Luxemburger Studenten. Über alle Studiengänge sind etwa 40 Prozent der Studenten Luxemburger. Rund 20 Prozent aller Luxemburger, die ein Studium aufnehmen, tun es bei uns. 80 Prozent gehen ins Ausland. Ob das viel ist oder wenig, kann man diskutieren. Für mich ist eher wichtig, dass wir nicht aufhören, rauszugehen in die Gesellschaft, und weitermachen mit unseren Seminaren und Konferenzen. Unsere luxemburgischen Professoren spielen hier eine besondere Rolle. Statt einer akademischen Bourgeoisie würde ich ein akademisches Ökosystem fördern wollen. Es geht ja darum, Wissen zu teilen.
Die Uni hat ihr Ausbildungsangebot kontinuierlich gesteigert…
… auf derzeit 23 Bachelor- und 47 Master-Studiengänge. Plus drei Doktorandenschulen. Die Bachelors sind häufig eher disziplingetrieben, bei den Masters geschieht eine Auffächerung. Wir haben zum Beispiel einen Bachelor in Computerwissenschaften, anschließend einen Master in Computerwissenschaften, aber auch einen in Data Science, einen in Cybersicherheit und einen im High performance computing. Hier folgen wir dem Arbeitsmarkt und internationalen Megatrends.
Wie entwickelt die Uni dieses Angebot? Als einzige öffentliche Universität des Landes und bei gleichzeitig wachsendem Bedarf an „Talenten“?
Zunächst mal nehmen wir unsere Rolle als Talentschmiede an. Ich hatte vorhin gesagt, dass wir uns bemühen, sehr gute Professoren anzuziehen. Mit originellen Studienrichtungen wollen wir Studenten anziehen. Wir haben zum Beispiel ein neues Master-Studium in Public History eingerichtet. Das gibt es nirgendwo sonst in Europa. Wenn ich das sage, schließt sich natürlich die Frage an: Wohin gehen die Studenten nach dem Abschluss? Wir stellen fest, dass etwa 70 Prozent unserer Studenten, obwohl sie bei weitem nicht alle aus Luxemburg kommen, in Luxemburg bleiben. Das ist ein extrem hoher Anteil und stärkt Luxemburg.
Ist die Ausbildung in allen Studiengängen so personalisiert, wie die Uni für sich wirbt? 300 Professoren auf 6 000 Studenten ergibt ein Verhältnis von eins zu zwanzig, aber ist das überall so?
Unsere Lehre ist nach wie vor sehr personalisiert, wenngleich die Vorlesungen verschieden groß sind. Es gibt auch sehr große, in Jura und Wirtschaft zum Beispiel oder auch in der Psychologie. Tatsächlich kommen jetzt Fragen auf wie: Was ist eine gute Zahl von Ausbildungsrichtungen in Bachelor und Master? Wie gehen wir weiter? Bauen wir etwas Neues auf? Diese Fragen stellen sich nach 20 Jahren Uni in dieser Deutlichkeit zum ersten Mal. Dieses Jahr werden wir sie mit unserem neuen Vizerektor für akademische und studentische Angelegenheiten, Professor Philippe Hiligsmann, intensiv erörtern.
Gibt es Studienrichtungen, die weniger beliebt sind als noch vor fünf Jahren, für die aber die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt nach wie vor groß ist?
Diese Dynamiken sind hierzulande ähnlich wie Frankreich und Deutschland. Allgemein hat bei den Studenten das Interesse an Humanwissenschaften nachgelassen, an traditionellen Ingenieurfächern wie Maschinenbau und Elektrotechnik auch. Dagegen stehen die Computerwissenschaften mit all ihren digitalen Ausprägungen hoch im Kurs. Ebenso die Gesundheitsberufe, nicht nur Medizin, sondern auch Pflegeberufe, Psychologie und neue interdisziplinäre Berufe, wie digitale Gesundheit.
Wie geht die Uni mit solchen Dynamiken um? Ich nehme an, dass zum Beispiel an Maschinenbau- und Elektroingenieuren nach wie vor Bedarf besteht.
Er besteht definitiv. Es ist einfach so, dass die heutige Generation momentan – das wechselt gerne mal innerhalb von fünf Jahren – daran weniger interessiert ist. In Luxemburg haben wir in diesen Bereichen noch immer stabile Studierendenzahlen. In Deutschland sind sie in den letzten zehn Jahren um 50 Prozent abgesackt. Deutschland wird die Ingenieure aber brauchen. Dann kommen sie vielleicht nicht mehr nach Luxemburg, woraus für uns folgt, dass wir uns um uns selber kümmern müssen. Deshalb bin ich sehr froh, dass der Trend bei uns nicht negativ ist.
Müsste die Uni ihre Ausbildungskapazitäten steigern?
Wir können mehr Studenten aufnehmen. Unsere Infrastrukturen geben das her, das Professoren-Studenten-Verhältnis von eins zu zwanzig auch. Bei der Anstellung von Professoren bleiben wir dynamisch. Wir wollen aber organisch wachsen. Wir wollen nicht von heute auf morgen eine Universität mit 10 000 Studierenden sein, aber wachsen wollen wir. Wahrscheinlich wird das vor allem über neue Themengebiete passieren. Unser Medizinstudium zieht sehr stark an, die Pflegeberufe, Psychologie, Jura und die Ausbildung im Datenbereich ebenso.
Wie funktioniert die Anziehung über die Professoren? Dass sie für Doktoranden existiert, haben Sie schon erwähnt. Für die darunter liegenden Studien auch?
Für Doktoranden zieht der Name von Professoren, ganz klar. Bei den Master-Studenten beginnt das, weil sie im Bachelor erfahren haben, dass Professoren einen Unterschied machen. Im Bachelor-Bereich spielt der Name der Professoren aber eine weniger große Rolle. Da gewinnen wir auch mehr Studenten aus Luxemburg und der Großregion. Im Master geht es deutlich breiter nach Gesamteuropa und in nichteuropäische Länder. Zum Doktorat ziehen wir ganz massiv auch Nichteuropäer an. Da haben wir internationale Strahlkraft.
Tausend Doktoranden sind eine Menge, nicht wahr?
Vor allem, wenn man sie zu unseren 2 000 Master-Studenten ins Verhältnis setzt. So eine Relation findet man in Europa an Unis wie Oxford und Cambridge oder an der ETH Zürich. Wenn es große Augen gibt, wenn ich unsere Universität im Ausland vorstelle, dann bei der Erwähnung der tausend Doktoranden. Das ist eine enorme Schlagkraft für Forschung und Innovation.
Der Medizinstudiengang soll vom Bachelor zum Master erweitert werden. Als vor knapp 15 Jahren die Konzeption des Bachelors begann, wurde gesagt, eine regelrechte medizinische Fakultät wäre für die Uni zu groß. Denn das würde bedeuten, „eine Professorenstelle pro Organ“. Die Alternative sollte eine Medical School in Zusammenarbeit mit den Krankenhäusern sein, deren Ärzte an der Lehre teilnehmen würden. Wie wird das an der Uni heute gesehen? Der drohende Ärztemangel scheint mittlerweile so groß zu sein, dass Luxemburg nicht umhin käme, über den Master hinaus noch mehr Spezialisierungen zum Facharzt anzubieten. Geht der Weg vielleicht doch in Richtung einer medizinischen Fakultät?
Wenn es um Medizin und Gesundheit geht, muss man fragen, was Luxemburg in 20 Jahren braucht. Ein Teil der Antwort lautet, dass Medizin immer auch eine lokale Disziplin ist. Der zweite Punkt, der mir wichtig erscheint: Man kann keine Medizinfakultät oder eine große Medizinstruktur allein aus der Universität heraus aufsetzen. Das ist undenkbar. Die Uni kann entscheiden, sich in Bereichen wie Datenwissenschaften zu orientieren oder in Jura. In der Medizin aber sind der Kostenpunkt und die notwendige Zusammenarbeit zwischen Uni und Kliniken so bedeutsam, dass das eine Entscheidung des Landes sein muss. Also eine eminent politische. Die Universität kann aber Voraussetzungen schaffen, dass bestimmte Entscheidungen gefällt werden können. Im Vergleich zu vor ein paar Jahren sind wir jetzt in einer anderen Situation. Die ersten Bachelor-Studiengänge sind abgeschlossen. Wir wissen, dass es unseren Absolventen an den Universitäten, an denen sie ihre Studien fortsetzen, gut geht. Sie kommen gut mit den anderen Studenten mit, demnach haben wir sie gut ausgebildet. Das ist keineswegs trivial. Darauf sind wir mit all unseren Lehrenden ziemlich stolz.
Sie drücken sich recht diplomatisch aus.
Medizin ist, wie gesagt, keine Entscheidung der Universität allein. Wir haben für einen Master-Studiengang die Basis gelegt, und er wird kommen. Das steht ja auch im Regierungsprogramm. Die Frage ist, wann er kommt. Aber dann geht es nicht mehr um die vorklinische Ausbildung, sondern um die klinische. Die können wir nur gemeinsam mit den Krankenhäusern machen. Das ist der Riesenunterschied gegenüber allen anderen Studienfächern. Da muss das ganze Ökosystem stimmen. Wir sind in sehr guten Gesprächen mit allen Akteuren, den großen Krankenhäusern, den Verbänden, dem Pflegebereich. Alle finden, dass wir den nächsten Schritt wagen müssen. Jetzt ist die Frage: Wie groß wagen wir ihn?
Wie sieht die Universität das?
Wir müssen realistisch und ambitioniert zugleich sein. Die Ambition ist, das Vorhaben nicht nur auf Medizin zu beschränken, sondern Pflegeberufe, Psychologie und Psychotherapie, Life Sciences und Biotechnologie einzubeziehen. Da geht es eher um eine große Gesundheitsstruktur, nicht nur um Medizin. Luxemburg braucht in all diesen Berufen Fachkräfte. Das ist das Eine. Nichtsdestotrotz gibt es in der Medizin etwa 50 Spezialisierungen, von der Inneren Medizin über die Kardiologie bis hin zur Orthopädie. Wir machen heute drei: Allgemeinmedizin, Onkologie und Neurologie. Man muss die Ambition haben, mehr zu machen. Wir werden definitiv nicht alle 50 machen, auch nicht in 20 Jahren. Aber man könnte sagen, wir wollen in 20 Jahren 15 oder 20 Spezialisierungen anbieten.
Vielleicht die, in denen der Ärztemangel besonders groß zu werden droht?
Oder in denen es die meisten Krankheitsbilder gibt. Wir wissen ja, dass in einer alternden Bevölkerung bestimmte Krankheitsbilder verstärkt auftreten. Und es gibt Bereiche der Akutmedizin, die abgesichert werden müssen, weil man nicht drei Stunden Zeit hat, die Patienten ins Ausland zu bringen. Zu guter Letzt heißt Gesundheit auch Spitzenforschung. Das muss zusammen gedacht werden. Deshalb gehen wir, wenn wir mit den Akteuren sprechen, über die Ambition einer Medical School weit hinaus. Wir haben hervorragende Forscher, werden jetzt noch stärker einstellen können und auch müssen.
Als das Nachdenken über einen Medizin-Bachelor begann, ging an anderen Bereichen der Uni die Sorge um, die Medizinforschung werde so viele Mittel absorbieren, dass für die anderen nicht mehr viel bliebe. Was antworten Sie auf solche Befürchtungen?
Zum Aufbau der Ausbildung in den Pflegeberufen und der Medizin hat die Uni eine extra Finanzierung erhalten. Das wird so bleiben. Was die Forschung angeht, gibt es an den meisten Universitäten mit starker Medizin- und Gesundheitsausbildung eine Art finanziellen Firewall, um zu garantieren, dass alle Bereiche der Uni sich weiterentwickeln. Das ist ganz typisch und ich unterstütze das. Wir haben uns das an mehreren Universitäten angeschaut. Ich selber war vor ein paar Monaten in Gent, einer ganz tollen medizinischen Universität. Wir haben mit Bonn gesprochen, mit Freiburg gesprochen. Dort wird dafür gesorgt, dass der Ausbau anderer Gebiete natürlich nicht darunter leidet, dass es Medizin gibt. Ich sehe da keine Gefahr.
Im März wird die Uni ihr fünftes Interdisziplinäres Forschungszentrum einweihen, das Luxembourg Centre for Socio-Environmental Systems (LCSE). Wozu sind die Interdisziplinären Zentren gut? Die drei Fakultäten forschen auch disziplinenübergreifend.
An Fakultäten und Interdisziplinären Zentren sind die Aufgaben verschieden gewichtet. Lehre und Forschung machen sie alle. Auch um den „Impakt“ kümmern sich alle, also darum, wie unser Wissen in die Gesellschaft gelangt. Das reicht vom Technologietransfer bis hin zu öffentlichen Seminaren. Lehre, Forschung und Impakt sind laut Universitätsgesetz unsere drei Missionen. An den Fakultäten sind Lehre und Forschung besonders stark gewichtet. Die Interdisziplinären Zentren dagegen legen einen besonderen Akzent auf die Forschung und die Zusammenarbeit mit Stakeholdern. Weil wir Fakultäten und Interdisziplinäre Zentren haben, können wir unsere drei Missionen exzellent erfüllen. Wir nehmen die drei Missionen gleichermaßen ernst, so wie es die besten Forschungsuniversitäten der Welt tun.
Ist das LCSE die erste Zentrumsgründung aus der Uni selber? Das Zentrum SNT mit Orientierung auf IT im weiten Sinne entstand 2009 auf Wunsch der Industrie. Im selben Jahr ging das Luxembourg Centre for Systems Biomedicine (LCSB) aus der 2008 vom damaligen Wirtschaftsminister initiierten Biotech-Partnerschaft mit US-Einrichtungen hervor. Das Centre for Contemporary and Digital History (C2DH) sollte auf Regierungsbeschluss dem Centre virtuel de la connaissance sur l’Europe ein Zuhause geben. Im Centre for European Law ging vor einem Jahr das frühere Max-Planck-Institut für EU-Recht auf…
… und schon diesem lag eine Initiative der Universität zugrunde. Es gab keine Anfrage an uns, ein Luxembourg Centre for European Law zu schaffen. Es ging um die Integration des früheren Max-Planck-Instituts, das stimmt. Aber wir entschieden, wie und zu welchem Thema dieses Interdisziplinäre Zentrum gegründet wurde. Beim LCSE ist das noch mehr der Fall. Dieses Institut soll Signalwirkung haben.
Inwiefern?
Bereits die ersten drei Zentren SNT, LCSB und C2DH setzten Signale. Ihre Gründungen hatten ihre Vorgeschichten, signalisiert wurde jedoch, welche Forschungsschwerpunkte die Universität hat. Es ging auch darum, besonders gute Experten anzuziehen, gerade für die Leitungspositionen. Wahrscheinlich wären die Gründungsdirektoren von SNT und LCSB, Björn Ottersten und Rudi Balling, nicht an einer normalen Professur interessiert gewesen. Beim LCSE steckt die Signalwirkung in jedem einzelnen Wort des Zentrumsnamens. Zum einen setzen wir einen neuen Schwerpunkt in Umweltwissenschaften. Die gibt es an der Uni schon, aber nicht so stark. Zum anderen soll Umwelt systemisch betrachtet werden. Mit Fragen wie etwa: Was macht die Umweltverschmutzung mit unserer Gesundheit? Wie begleitet man die Klimatransition finanziell? Mit welchen Mitteln? Welche psychologischen Mechanismen sorgen dafür, dass Menschen für bestimmte technologische Steuerungen offener sind als für andere? Wir werden den neuen Schwerpunkt in Zusammenarbeit mit allen Fakultäten und allen schon bestehenden Zentren verankern. Wahrscheinlich wird das LCSE das interdisziplinärste Zentrum der Universität.
Die Fragen, die Sie eben genannt haben, sind alle bezogen auf Anwendung und Politikberatung. Sie haben nichts zu tun mit disziplinärer Grundlagenforschung, die eine Uni aber braucht. Kommt mehr Interdisziplinarität der Disziplinarität irgendwann ins Gehege?
Herausforderungen wie die digitale Transformation, schwindende natürliche Ressourcen, der Klimawandel, eine alternde Gesellschaft, unsere Demokratie oder soziale Ungleichheiten sind so vielschichtig und komplex, dass sie neben fachspezifischer Expertise auch interdisziplinäre Ansätze erfordern, um ihnen zu begegnen. Interdisziplinarität soll Disziplinarität also ergänzen, wir stellen nicht die eine gegen die andere. Häufig ist Interdisziplinarität gar nicht einfach zu motivieren und zu organisieren. Mir als Rektor ist wichtig, dass die Uni sich stärker interdisziplinär ausrichtet. Wir haben strategisch entschieden, uns mit den großen Megatrends zu beschäftigen, und haben daraus drei prioritäre Bereiche abgeleitet: Gesundheit, digitale Transformation und Nachhaltigkeit. Früher waren die Prioritäten der Uni eher disziplinär geprägt. Das war wichtig, die Uni musste sich definieren. Aber in der Universitätsgemeinschaft sagten damals manche: „Wir sind keine Priorität, also sind wir wohl nichts wert.“ Die drei großen prioritären Bereiche erlauben es, alle mitzunehmen und die großen Fragen der Zeit anzugehen.
Noch als Vizerektor für Forschung hatten Sie 2020 das Institute for Advanced Studies initiiert. Wozu dient das IAS? An einer Universität muss ja eigentlich alles „advanced“ sein.
Das IAS soll für noch mehr Zusammenarbeit sorgen und über die Fakultäten und die Interdisziplinären Zentren hinweg die letzten Barrieren überwinden helfen. Das IAS ruft regelmäßig dazu auf, Forschungsprojekte zur Förderung einzureichen, und sagt: Wir bieten 500 000 Euro für drei oder vier Jahre, vorausgesetzt, es finden Kollegen aus unterschiedlichen Fachgebieten zusammen, mindestens zwei. Das funktioniert gut, und zwar bottom-up, wir machen dazu nichts Strukturierendes. Da werden hochinteressante Ideen eingereicht. Werden sie von einem internationalen Expertenkomitee akzeptiert, schließt die Finanzierung auch Doktoranden- und Postdoktoranden-Stellen ein. Und: Wenn ich über die Universität im Ausland spreche, dann ist nach der Zahl unserer Doktoranden der zweite Punkt, der Aufsehen erregt, unser hohes Maß an Interdisziplinarität.