Deutschland

Einfach mal gewählt

d'Lëtzebuerger Land vom 30.05.2014

Ein deutscher Kommissionspräsident. Das hat gezogen. So viel Patriotismus motiviert dann doch und machte die Europawahl am vergangenen Sonntag zum Frühjahrsspaziergang. Zum ersten Mal seit Jahren stieg bei einer Europawahl in Deutschland die Wahlbeteiligung wieder an und lässt hoffen, dass die Sache Europa wieder Begeisterung findet. Knapp die Hälfte der Wahlberechtigten gab ihre Stimme ab und sorgte am Abend für ein aufgeregtes Ergebnis. Denn bei so vielen Parteien, die nun Deutschland in Brüssel vertreten, mussten die Nachrichtensendungen ihre Infografiken links und rechts ausbauen. Zusammengefasst: Auch wenn die Christdemokraten die meisten Parlamentarier nach Brüssel entsenden wird, konnten die Sozialdemokraten die größten Zugewinne verbuchen. Desaströs verlief die Wahl für die CSU und Freie Demokraten. Die Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) wird zum ersten Mal in ein Parlament einziehen.

Der Wahlkampf war sehr auf die Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker und Martin Schulz zugeschnitten. Themen wurden vermieden, als gäbe es in Europa nur eitel Sonnenschein. So lächelten jedenfalls die Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr niederländischer Kollege Mark Rutte von den Wahlplakaten. Bei den Fernsehduellen gaben sich die beiden Spitzenkandidaten handzahm und blieben vage über die Zukunft von Union und Kontinent. Aber die Themenbräsigkeit war wohlkalkuliert. Nach Jahren der Dauerkrise, sozialen Problemen, Schuldzuweisungen sowie Hilfs- und Rettungsschirmen, sollte Europa nur noch lächeln. Weglächeln, was in den nächsten Jahren auf die Europäische Union zukommt. Wenn mit den beiden Spitzenkandidaten Europa für die Wähler ein Gesicht bekam, entfernte deren Ununterscheidbarkeit am Ende doch wieder die Union von den Menschen, von ihren Anliegen, von ihren Visionen und auch von ihren Befürchtungen und Ängsten.

Es war eine Wahl ohne Hindernisse: Kurz vor der Wahl hatte das Bundesverfassungsgericht die Drei-Prozent-Hürde gekippt. So dass dieses Mal etwa 0,6 Prozent Wählerstimmen ausreichten, um einen Sitz in Brüssel zu bekommen. Abgeordnete von 13 deutschen Parteien machen sich nun auf den Weg in die europäische Hauptstadt. Neben den üblichen Verdächtigen sind dies auch die Freien Wähler (FW), die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP), die Familien-Partei, die Tierschutz-Partei, die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), Die Piraten und „Die Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative“ (Die Partei). Letzteres ist eine Partei mit parodistischem Charakter, gegründet von Redakteuren des Satire-Magazins Titanic. Sie werden fortan sich mit einem Vertreter in Brüssel Gehör verschaffen. Der Aufschrei bei den Wählern blieb aus und man konnte durchaus den Eindruck gewinnen, dass sich auch in Deutschland die Erkenntnis durchsetzt, dass viele Parteien die Demokratie eher fördern, denn behindern.

Dominiert wurde die Wahl jedoch von dem Phänomen Alternative für Deutschland. Inhaltlich mag sich keine der etablierten Parteien mit der AfD auseinandersetzen, was auch dem Fakt geschuldet ist, dass die Partei wenig greifbare – und damit angreifbare – Positionen bietet, sich dennoch einer konservativen Sprache und Symbolik bedient und sich ein Personal schaffte, das einst für liberale Grundwerte stand. So gelang es der AfD, Wechselwähler an sich zu binden. Rund 500 000 Wähler kamen von der CDU/CSU zur AfD. Das war die mit Abstand am größten Wählerwanderung am Wahlsonntag. Von der FDP wechselten rund 60 000 Stimmen.

Überhaupt waren die Freien Demokraten die großen Verlierer des Abends. Ihr Abstieg in die Bedeutungslosigkeit scheint besiegelt, wenn es ihr nicht gelingt, alsbald liberale Themen und Positionen für sich und ihr Klientel zu definieren. Der FDP liefen die Wähler in Scharen davon, weitere 60 000 stimmten für die SPD, 20 000 für CDU/CSU. Die europafeindlichen Positionen der CSU wurden von den Wählerinnen und Wählern in Bayern als Phrasengeheul entlarvt und abgestraft.

In der Wahlbeteiligung zeigt sich in Deutschland ein klares West-Ost-Gefälle. Die höchste Beteiligung gab es im rheinland-pfälzischen Landkreis Südwestpfalz, wo zwei von drei Wahlberechtigten ihre Stimme abgaben. Ein großes Interesse gab es auch in Bitburg-Prüm und Trier-Saarburg mit jeweils deutlich über 60 Prozent. Dies mag zwar auch der gleichzeitig stattfindenden Kommunalwahl in Rheinland-Pfalz geschuldet sein, doch zeigt sich hier ein deutlicher Unterschied in Regionen mit europäischen Grenzen zu Regionen im Osten des Bundeslands. Deutschlandweit gab es das größte Desinteresse an der Wahl nicht – wie Vorurteile es vermuten lassen – in Ostdeutschland, sondern in Bayern. In den Landkreisen Freyung-Grafenau und Regen – beide mit Grenzen zur Tschechischen Republik – lag der Anteil der Wählerinnen und Wähler bei lediglich 26,5 und 26,4 Prozent.

Martin Theobald
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