Salariatskammer und Sozialwahlen

Weniger Industrie, mehr Soziales

d'Lëtzebuerger Land du 24.07.2008

Auch wenn es niemand zugeben will: Ein wenig werden die für den 12. November angesagten Sozialwahlen und insbesondere die Berufskammerwah­len auch als eine kleine Probe für die ein halbes Jahr später stattfindenden Parlamentswahlen angesehen. Allerdings wird es diesmal schwer, die Gewinner und Verlierer zu ermitteln. Denn der Vergleich mit den vorigen So­zialwahlen wird kompliziert, weil nach Inkrafttreten des Gesetzes über das arbeitsrechtliche Einheitsstatut erstmals Wahlen zu einer einzigen Kammer der Lohnabhängigen stattfinden. Die neue Kammer wird mit Abstand und noch vor dem Parlament  die Institution mit der breitesten Wählerbasis im Land sein.

Weil die Zusammensetzung der Kammer nach Wirtschaftsbranchen und die Anzahl derer Vertreter direkten Einfluss auf das Wahlergebnis hat, kommt  ihr eine besondere Bedeutung zu. Sie wurde aber nicht durch das Gesetz über das Einheitsstatut geregelt, sondern wurde erst jetzt durch ein Ausführungsreglement des Arbeitsministers rechtskräftig.

Zählt die Arbeiterkammer 32 und die Privatbeamtenkammer 38 Delegierte, so wird die Delegiertenzahl der neuen gemeinsamen Kammer von 70 auf 60 gesenkt. Da zu den 60 Delegierten erstmal auch sechs Ruheständler gehören, sinkt die Zahl der Mandate der Aktiven sogar von 70 auf 54. Gleichzeitig ändert sich die Gewichtung der Branchengruppen. So geht etwa der Einfluss von Industrie und Eisenbahn deutlich zurück, derjenige der Finanzberufe nimmt relativ, derjenige der Gesundheits- und Sozialberufe nimmt absolut  zu.

Die derzeitige Arbeiter- und die Privatbeamtenkammer bestehen aus je­weils sechs, aber unterschiedlichen Gruppen; die neue Kammer der Lohnabhängigen wird dagegen aus neun Gruppen bestehen. Gruppe einst steht für die Stahlindustrie mit insgesamt fünf Sitzen, deren Einfluss zurückgeht, da sie derzeit neun, in der Arbeiterkammer fünf und in der Privatbeamtenkammer vier Sitze, zählt. Gruppe zwei umfasst mit acht Sitzen die restliche Industrie, die derzeit in der Arbeiterkammer durch die Gruppen zwei (Bergbau und Industrie) und vier (Lebensmittelindus­trie, Landwirtschaft, Gaststätten und Handel) sowie die erste Gruppe (Industrie) der Privatbeamtenkammer vertreten ist und auf etwa ein Dutzend Sitze kommt. 

Gruppe drei der neuen Kammer steht für das Baugewerbe mit sechs Sitzen und übernimmt Gruppe drei der Arbeiterkammer, die ebenfalls sechs Mandate zählt, sowie die Angestellten des Sektors. Ähnlich verhält es sich mit Gruppe vier, welche die acht Mandate der Bank- und Versicherungsangestellten übernimmt sowie die wenigen Arbeiter des Sektors, die bisher für Gruppe fünf der Arbeiterkammer wählten.

14 Sitze stehen Gruppe fünf zu, welche die Dienstleistungen umfasst, die aktuelle Gruppe vier der Privatbeamtenkammer (Handel) mit 13 Mandaten, sowie Teile der Gruppen zwei (Reparatur) vier (Handel und Gaststätten) und fünf (Privattransport) der Arbeiterkammer.

Gruppe sechs mit vier Sitzen umfasst die nicht verbeamteten Beschäftigten der öffentlichen Verwaltungen und öffentlichen Betriebe. Sie vergaben bisher vor allem die fünf Mandate in Gruppe sechs der Arbeiterkammer. Vergleichbar findet sich in Gruppe sieben (Gesundheit und Soziales) mit sechs Sitzen, vor allem die gleichnamige fünfte Gruppe der Privatbeamtenkammer wieder, die derzeit Anrecht auf vier Sitze hat. Und Gruppe acht für die CFL übernimmt die gleichnamige sechste Gruppe der Pri­vatbeamtenkammer. Allerdings wird die Zahl der Mandate von sechs auf drei halbiert; zu ihr wählen auch Eisenbahner im Ruhestand. Alle anderen Rentner der Privatwirtschaft wählen dagegen für die neunte Gruppe der Alters- und Invalidenrentner, die Anspruch auf sechs Sitze haben.

Da manche bestehenden Gruppen zer­legt und neu zusammengesetzt wer­den, lässt sich nicht eindeutig berechnen, welche Auswirkungen die einheitliche Kammer, die Neugewichtung der Wirtschaftsbranchen und das Verfahren zur Sitzvergabe auf das Wahlresultat und das Kräfteverhältnis zwischen den Gewerkschaften habe werden. Beispielsweise erhielt der OGB-L 2003 bei den Berufskammerwahlen in der Schwerindustrie bei den Arbeitern vier Sitze, bei den Angestellten einen; der LCGB bei den Arbeitern einen Sitz, bei den Angestellten zwei. In beiden Kammern zusammen bekam der OGB-L also fünf Sitze und der LCGB drei. Wäre 2003 zur Kammer der Lohn­abhängigen gewählt worden, die fünf Sitze für die Arbeiter und Angestellten der Stahlindustrie vorsieht, hätte der OGB-L drei und der LCGB zwei Sitze erhalten, das Kräfteverhältnis hätte sich also kaum geändert.

In der Privatbeamtengruppe Gesund­heit und Soziales erhielt dagegen 2003 der OGB-L drei und der LCGB einen Sitz. Wäre mit derselben Stimmenzahl – also ohne die nicht identifizierbaren Arbeiterstimmen – für die nunmehr sechs Sitze der Einheitskammer gewählt worden, wäre der LCGB bei einem Sitz geblieben, der OGB-L aber hätte einschließlich eines Restsitzes fünf Mandate erhalten. Hinzu kommen noch die Arbeiter des Sektors. Ähnlich wäre es in der Arbeiterkammergruppe Öffentliche Betriebe zugegangen, wo der OGB-L 2003 drei und der LCGB zwei Sitze erhielt. Bei gleicher Stimmenzahl – ohne die nicht identifizierbaren Angestelltenstimmen – wäre in der Berufskammer der Lohnabhängigen der OGB-L einschließlich eines Restsitzes bei drei geblieben und der LCGB hätte einen Sitz verloren. 

Romain Hilgert
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