Das schmale Bändchen mit knapp fünf Dutzend Gedichten, davon zehn in französischer Sprache, tritt weniger "kosmologisch" und "mythologisch" auf, als der Titel suggeriert und befürchten lässt. Die Autorin bleibt in den meisten der locker zentriert gesetzten Lang-, Kurz- und Kürzesttexten bodenverhaftet, dem Alltag zugekehrt; das schließt aber eine nicht immer ergiebige Neigung zum Meditieren und einen leider daraus hergeleiteten didaktischen Gestus nicht aus - der schillernde Gott Schiwa und überhaupt fernöstliches Gedanken-"Gut" haben offenkundig ihre Spuren hinterlassen. Ganz gleich, ob die Verfasserin sich der Naturthematik widmet, Beziehungsverflechtungen und -wirrungen nachsinnt oder seelische Befindlichkeiten stimmungsgesteuert aufgreift - stets versucht sie eine Überhöhung der Aussage. Das geschieht mal im nominalen Staccatostil ("Gedanken. / Knoten und Verletzungen. / Einzelhirn. / Mehrzahlhirne."), mal durch Reihung paradoxer Wort- und Sinnverkehrungen à la Erich Fried ("Das, was wir sagen, / denken wir nicht. / Wir denken nicht, / was wir sagen."), oder sie zielt auf Spannung durch die Mischung von banaler und angestrengter Aussage: "Das Leben, es kommt / und geht / mit schmerzendem Glück. / Aufplatzen der Schwellung, / des Schweigens Umhüllung." Der hier anklingende gestelzte Ton ist des Öfteren noch ausgeprägter zu vernehmen ("L'âme baigne dans les sons."), er wird manchmal durch eine (freiwillige, unfreiwillige?) Komik konterkariert: "Die Aspe lispelt / lustig vor sich / her. / Stößt die Zunge sich / am Genick / so gibt die Mandel / den nötigen Kick." Was das Reimen betrifft, hat Carmen Heynar nicht immer den reinsten Zugriff. Die Vielfalt der Tonlagen, zumal der schiefen, irritiert den Leser, da sie die unverwechselbare lyrische Stimme vermissen lässt. So haben wir es hier mit einem Opusculum zu tun, das zu selten die einfache, klare überzeugende Bildkraft aufweist, die aus dem folgenden poetischen Kleinod aufleuchtet: "Schau / - das Rabenweinen - / im stillen / blauen Hauch / des Winters." Dem wohl im Eigenverlag publizierten Bändchen hätte ein strenger Korrektor gut getan und unschöne orthografische Mängel wären vermieden worden. Ein kundiger Lektor hätte mit Sicherheit viele ungelenke, verquere "Wortschöpfungen" und syntaktische Unstimmigkeiten getilgt. Man scheut sich, um der Dichterin nicht weh zu tun, Beispiele anzuführen - aber was sind "Troksköpfe"? Inwiefern kann ein Zug "schnattern"? Ein merkwürdiges Deutsch birgt die Aussage: "Er beschaut sie im Fenster hinein." Auch die Aufforderung "Flüchte nicht gegen das Leben" bedürfte sinnerhellender Verbesserung. Solche missratenen Formulierungen sind unglücklicherweise dazu angetan, dem Gedichttitel "Ungeheuer Sprache" eine bittere selbstkritische Tragweite zu verleihen. Es bleibt zu hoffen, dass Carmen Heyar die poetische Bedeutung ihres Zweizeilers "Faire visible / l'impossible" erkennt und dass sie in diesem Sinne die Unverzichtbarkeit sprachlicher Kraftanstrengung zu ihrem Prinzip macht. Das Kulturministerium hat die Drucklegung dieser Publikation gefördert - ein Akt großzügiger Vorschusslorbeeren - ihn gälte es, in einem nächsten Buch einzulösen.
Carmen Heyar: Sonne, Mond und Schiwa. Gedichte. Druck: Saint-paul, Luxembourg 2003; 63 Seiten; 9 Euro; ISBN 2-87996-871-2.