Endlich! Mehr als zweieinhalb Jahre nachdem die EU-Kommission Luxemburg angewiesen hatte, von Fiat Finance and Trade rund 25 Millionen Euro an Steuern nachzufordern, weil das Steuer-Ruling der Steuerverwaltung eine illegale Staatsbeihilfe darstelle und die Regierung die Entscheidung anfocht, fand am Donnerstag die Anhörung vor dem Europäischen Tribunal statt. Es ist die erste einer ganzen Reihe von Anhörungen, die sich mit den Steuerkonstruktionen von multinationalen Konzernen in verschiedenen EU-Ländern auseinandersetzen werden.
Die Frage, wie viel vom Ausgang dieser Verfahren abhängt, ist dabei gar nicht mehr so leicht zu beantworten. Denn in der Zwischenzeit ist der Beps-Prozess bei der OECD, der Maßnahmen gegen die Gewinnverschiebung und die Erosion der Steuerbasis vorsieht, abgeschlossen und die europäischen Finanzminister haben eine ganze Reihe von Richtlinien verabschiedet, mit denen der europäische Rechtsrahmen an diese Beps-Vorgaben angepasst wird. Vergangenen Freitag erst nahm der Regierungsrat den Gesetzentwurf zur Umsetzung der Atad-Richtlinie an, die Anti-Missbrauchsregeln einführt und allerhand Schlupflöcher schließt (siehe Seite 8). Auch solche, um die es in den Staatsbeihilfeverfahren geht, die nun vor Gericht kommen, und die noch bei der EU-Kommission anhängig sind. Diese Entwicklung ist nicht mehr rückgängig zu machen. Andere gesetzgeberische Initiativen, die in die gleiche Richtung gehen, sind noch in der Pipeline.
So gesehen könnte man schlussfolgern, dass die Berufungsverfahren vor den Richtern in Kirchberg Makulatur sind. Denn von den strittigen Steuerkonstruktionen können multinationale Unternehmen in Zukunft kaum noch Gebrauch machen. Das Ziel ist erreicht, egal wie die Prozesse ausgehen.
Dennoch steht für die EU-Kommission und die betroffenen EU-Mitgliedstaaten, allen voran Luxemburg, die Niederlande und Irland sowie für die betroffenen Konzerne viel auf dem Spiel. Mal geht es um mehr oder weniger Geld, das Fiat, Starbucks und Co nachzahlen müssen. Apple drohen in Irland Nachzahlungen von 13 Milliarden Euro, was ungefähr den Jahresausgaben des Luxemburger Staats entspricht. Für Amazon – für diese Verfahren gibt es noch keinen Gerichtstermin – immerhin um 250 Millionen Euro. Doch im Prinzip geht es darum, ob die EU-Kommission, Hüterin des europäischen Wettbewerbsrechts, dieses einsetzen kann, um sich in Steuerfragen einzumischen. Ein Gebiet, für das eigentlich die Mitgliedstaaten zuständig sind, und auf dem im EU-Ministerrat das Prinzip der Einstimmigkeit gilt.
So gesehen hängt vom Ausgang der Verfahren ab, ob dieses Prinzip gekippt oder zumindest ausgehöhlt wird und daran arbeitet die EU-Kommission auch an anderen Fronten. Beispielsweise im Rahmen des Europäischen Semesters, innerhalb dessen die Ausrichtung der nationalen Haushaltspläne und die Einhaltung der Euro-Stabilitätskriterien geprüft wird. In ihren letzten Beurteilungen und Empfehlungen an die EU-Finanzminister zum Luxemburger Stabilitäts- und Wachstumsprogramm hat sie unverblümt die Steuersituation angesprochen. „Some indicators suggest that Luxembourg’s tax rules may be used in aggressive tax planning structures”, hieß es darin fettgedruckt. Eine Feststellung, die weit über die sonst übliche Prüfung der makroökonomischen Kriterien hinausgeht. Noch beschränkte sich die EU-Kommission in ihren Empfehlungen auf die üblichen Aufforderungen, das effektive Renteneintrittsalter zu erhöhen und regulatorische Barrieren im Dienstleistungssektor anzubauen. Doch dass sie die Steuerpolitik überhaupt ansprach, ist an sich ein Affront und ein klarer Hinweis, dass es in Zukunft nicht leichter werden wird, die Hoheit über die nationale Steuergesetzgebung zu verteidigen. Sollten die Richter in Kirchberg der Kommission Recht geben, stärkt sie das in ihrem weiteren Vorgehen.
Für die Mitgliedstaaten, allen voran Luxemburg, geht es auch um die Rechtssicherheit. Denn wie wäre es um die Hunderte anderer Rulings bestellt, wenn die Richter vom Europäischen Tribunal das Fiat-Ruling kippen, weil sie zum Schluss kommen, es handele sich dabei um eine selektive Staatsbeihilfe?
Umso mehr konnte es am Donnerstag überraschen, dass es dem Vertreter der irischen Regierung, Paul Gallagher, überlassen war, zu argumentieren, die Kommission versuche auf „illegitime“ Art und Weise „die Staatsbeihilferegeln einzusetzen, um die nationalen Steuersätze zu harmonisieren“, indem sie ihr eigenes Konzept des Fremdvergleichsprinzips (arm’s length principle1) einführe, und sie erweitere dadurch in „ungeheuerlicher“ Manier ihre Kompetenzen.
Derweil stolperten sowohl die Vertreter der Luxemburger Regierung als auch der Kommission darüber, dass der Fremdvergleich in der Luxemburger Steuergesetzgebung bis 2015 so klar überhaupt nicht definiert war. Zur Erinnerung: Im Ruling von Fiat geht es darum, wie die Finanzierungsaktivität der Firma zu besteuern ist. Denn die Luxemburger Filiale des Konzerns sammelt Geld, indem sie Anleihen ausgibt, Bankkredite aufnimmt oder überschüssiges Bargeld anderer Filialen zentralisiert, und es auf der anderen Seite in der Form von Darlehen weitergibt (d’Land, 23.10.2015). In Marktpreisbericht, der dem Ruling beilag, zogen die Steuerberater einen Vergleich zu anderen Gesellschaften, die Darlehen vergeben und den Regeln, denen sie unterliegen; also zu Banken. So war es auch im Rundschreiben vorgesehen, das die Steuerverwaltung im Januar 2011 herausgab, um Artikel 164 Absatz 3 LIR ein wenig zu vervollständigen, in dem Vorteile, die durch gruppeninterne Transaktionen entstehen angesprochen wurden, ohne dass dabei explizit vom Marktprinzip die Rede ging.
Dass diese nur vage Regelung des Fremdvergleichsprinzip und zulässiger Methoden zur Berechnung von Transferpreisen erst 2015 enger gefasst wurde, brachte die Luxemburger Vertreter am Donnerstag in eine etwas missliche Lage. Schließlich waren sie angehalten zu belegen, Fiat sei durch sein Ruling keine Sonderbehandlung Zuteil geworden, keine Ausnahme gewährt worden, wobei das schwammig formulierte Rundschreiben keine besonders gute Grundlage lieferte, um bekräftigen, es habe einen festen und allgemeingültigen Rechtsrahmen gegeben, der den Inhalt des Rulings abdeckt.
Die EU-Kommission verstrickte sich ihrerseits in Widersprüche, da sie darauf beharrte, Fiat sei durch das Ruling individuell bevorteilt worden gegenüber von Firmen die keiner Gruppe angehören, die also kein Ruling zur Bestätigung ihrer Transferpreisberechnungsmethode beantragen können. Damit griff sie aber gleichzeitig das Instrument an, mit dem der von ihr geforderte Fremdvergleich durchgeführt wurde und außerdem sichergestellt werden sollte, dass eine in eine Gruppe integrierte Firma mit einer unabhängigen Gesellschaft steuerlich gleichgestellt sei.
Die Richter interessierten sich in ihren Fragen besonders dafür, wie nach Ansicht der EU-Kommission das Fremdvergleichsprinzip funktioniert. Ob es ein allgemeingültiges Prinzip ist? Ob es in der nationalen Gesetzgebung festgehalten sein muss oder nicht, damit es angewandt werden muss und nach welchen Regeln gerechnet wird? „I thought I had understood the logic of the Commission but now I’m no longer sure I do”, so ein völlig verblüffter Richter nach der Mittagspause. Sie wollten außerdem wissen, womit die Kommission überhaupt die Einleitung des Verfahrens gegen Fiat rechtfertigte, da sie in ihrer Entscheidung einfach voraussetzte, das Kriterium der Selektivität sei erfüllt und erst danach anfing zu untersuchen, ob Fiat durch die Maßnahme ein materieller Vorteil entstanden sei.
Genau das bestritten die Anwälte von Fiat vor Gericht. Sie unterstrichen, hätte Fiat in Luxemburg eine höhere Rendite bilanziert und mehr Steuern bezahlt, hätte das zu höheren Kosten und damit zu höheren Absatzmöglichkeiten in Italien geführt, wo der Steuersatz höher ist als in Luxemburg. „On est très loin de la planification agressive.“
Die Kommission wollte sich davon nicht beeindrucken lassen, musste deshalb aber ihre eigenen Argumente ad absurdum führen. Ihre Untersuchung, argumentierte sie, beziehe sich nicht darauf, ob der Fiat-Gruppe insgesamt über die Ländergrenzen hinweg ein finanzieller Vorteil durch das Ruling entstanden sei, sondern ausschließlich darauf, ob der Luxemburger Filiale ein Vorteil im Vergleich zu anderen Luxemburger Steuereinheiten entstanden sei. Was im Endeffekt in flagrantem Widerspruch mit den Aussagen der EU-Kommission steht, dass sie multinationale Unternehmen dazu bringen will, mehr Steuern zu zahlen.
Die Anhörung war bei Redkationsschluss noch nicht abgeschlossen. Am späten Nachmittag begannen die Richter, schließlich Fragen über die Auswahl der Berechnungsmethode für die Transferpreise zu stellen. Der Vertreter der Luxemburger Regierung, Alain Steichen, hatte mitunter große Mühe zu rechtfertigen, was sich die Steuerberater von Fiat Finance and Trade ausgedacht hatten.