Memory Lab im MNHA

Machtposen

d'Lëtzebuerger Land du 12.06.2015

„Kanzlerfotograf“ – so lautet das Label, das dem deutschen Fotografen Andreas Mühe lange Zeit anhaftete. In seiner etwas über zehnjährigen Karriere hat sich der 35-jährige Berliner ein beachtliches Portfolio erarbeitet, in dem die Berliner Polit-Szene, darunter Angela Merkel, zahlreich vertreten ist. Mühe, gelernter Fotolaborant, war Assistent bei Ali Kepenek und Anatol Kotte, bevor er sich mit 21 selbstständig machte. Ein wichtiger Förderer ist der bekannte Fotograf F.C: Gundlach, der 2010 auch Mühes Werkschau 2 kuratierte. Im Rahmen des European Month of Photography ist im MNHA seine Serie Obersalzberg zu sehen, die sich in inszenierten Porträts mit dem Nazi-Mythos auseinandersetzt.

Angesprochen auf die kontroverse Serie erklärt Mühe, zunächst gehe es allgemein um die Bilder der Nazi-Zeit. Später habe er sich mit dem Hitler-Fotografen Walter Frentz befasst. Insbesondere die Haltungsstudien in Obersalzberg, die Nazis in Uniformen, oder in nackter Kostümierung zeigen, bezögen sich auf ihn. Dass die Kombination aus machtvollen Posen, Nazi-Dekor, Nacktheit und Komik, wie etwa Hitler im Darth-Vader-Kostüm, neben vielem Applaus auch für Entrüstung sorgt, erklärt Mühe damit, dass Fotografie „eben immer etwas Reelles, eine Wahrhaftigkeit impliziert, die schneller in die Köpfe eindringt“. Mühe stört sich nicht daran, schließlich „wurde sich in der Fotografie in den letzten 30 Jahren überhaupt nicht echauffiert“. Wenn die Serie nun eine Kontroverse lostritt, „dann ist es eine richtige Arbeit. Alles andere ist nur Deko“.

Doch Mühe geht es nicht etwa um platte Provokation: Die Frage, ob man auch nackt Überlegenheit ausstrahlen könne, ist durchaus ernst gemeint. Sie dient dem Sezieren von Haltung. Darüber hinaus geht es Mühe darum, die Auseinandersetzung mit dieser Zeit aufrecht zu erhalten: „Wenn die letzte Generation, die den Zweiten Weltkrieg erlebt hat, wegstirbt, gibt es nur noch Erzählungen, und niemand weiß mehr, wie es war. Deshalb ist es unglaublich wichtig, das in Bewegung zu lassen und zu hinterfragen.“

Hinterfragt und bloßgestellt wird in der Serie der Nazi-Mythos. Angefangen habe es mit den Pissings – Nazis, die vor imposantem Berchtesgadener Bergpanorama in die Landschaft urinieren. „Später kamen dann die, die sich selbst und gegenseitig fotografieren“, was ein Verweis sei auf den „Mythos vom Mythos, der sich bewusst ist, was er ausstrahlt und in dem sich gegenseitig inszeniert wird“. Letztlich münde dies in den „Wahn der absoluten Obrigkeit, wo ja auch schon Fantasie-Uniformen getragen werden, womit man dann eben bei Star Wars wäre“. Gerade die Komik in Mühes Arbeit führt die Absurdität der Nazi-Inszenierung besonders effektvoll vor Augen.

Das Thema der Macht ist ein Schwerpunkt in Mühes Schaffen, auch in seinen Porträts deutscher Politiker, wie etwa von Helmut Kohl, den er vor dem nächtlichen Brandenburger Tor aufwändig in Szene setzte. „Ich habe zehn Jahre in der Auftragsfotografie gearbeitet und das Schöne ist, dass man dabei überall mal reingucken kann. So kam ich auf die Politik.“ Sein Interesse am Thema Macht enthält eine dezidiert menschliche Komponente: „Alle Leute streben irgendwie nach oben, nur wenige sind zufrieden mit dem, was sie haben.“ Ein wichtiger Aspekt dieser Faszination sei die Einsamkeit, die an diese Positionen geknüpft ist: „Eine größere Form der Einsamkeit als die an der Spitze gibt es fast nicht.“

Beim Porträtieren lotet Mühe den Raum zwischen Realität und Fiktion aus. Mühe ist Purist, fotografiert auch privat ausschließlich analog und hält nichts von der Schnelllebigkeit „dieses digitalen Wahnsinns“, da für ihn der haptische Charakter zur Fotografie gehört. Er betont, dass somit jedes seiner planvoll durchkomponierten Bilder eine Inszenierung sei, da er sich bei der Arbeit entsprechend vorzubereiten habe: „Da muss man vorher dieses Bild im Kopf entstehen lassen. Film setzt voraus, dass man sich besser konzentriert. Ich stehe dort mit meiner Großbildkamera und habe eben nur zehn Blatt.“ In der Umsetzung gehe es dann „um das große Spiel: Wie weit kann ich gehen? Wozu kriege ich die Leute?“ Respekt sei dabei oberste Devise, denn „je größer das Vertrauen ist, desto größer ist der Schatz, den ich erhalte und verwalten muss“.

Ob Berchtesgadener Landschaft oder Arbeitszimmer, welche Rolle spielen Räumlichkeiten für die Darstellung von Macht? Der Raum stelle den Menschen ganz grundsätzlich in ein Verhältnis, einen Kontext. Mit Blick über das Petrusstal bemerkt Mühe, dass das zertalte Luxemburg diesbezüglich reizvoll wäre – „das Herab- oder Heraufgucken ist im Grunde ideal“ –, Machtstrukturen ließen sich so darstellen. In Bezug auf Wohn- und Arbeitsräume stellt Mühe die These auf: „Menschen wollen grundsätzlich repräsentieren. Der Raum, in dem jemand lebt und sich wohl fühlt, porträtiert ja bereits den Menschen; er selbst muss gar nicht mehr drin vorkommen.“ Mühe stellt dies eindrucksvoll in seiner Serie Schreibtische unter Beweis, die Arbeitsräume von Machtmenschen wie Helmut Schmidt und Richard von Weizsäcker zeigt.

Um die Kombination von Macht und Raum geht es auch in Mühes preisgekrönter Serie A.M. – Eine Deutschlandreise. Mühe zeigt die Kanzlerin im Halbprofil beim Betrachten deutscher Sehenswürdigkeiten durch das Seitenfenster ihrer Limousine. Der Abdruck der Serie im Kunstmagazin Monopol wurde von Vielen als eine weitere, intime Dokumentation des Kanzlerfotografen aufgefasst. Tatsächlich jedoch inszenierte Mühe die Serie, indem er zwei Wochen mit seiner Mutter als Merkel-Double, einer Autotür und einem Team durch Deutschland fuhr. Wie in all seinen Fotografien ist nichts montiert: Stets wurde eine aufwändige Baubühne mit Zelt verwendet, damit der Eindruck eines Blicks aus dem Fahrzeuginneren entsteht. Im Gegensatz zur Arbeit Obersalzberg, für die Mühe dreieinhalb Jahre in Bayern wohnte, habe ihm A.M. auch wegen der schnellen Umsetzung einen „Riesenspaß“ gemacht: „Dass mal was wie geschnitten Brot läuft, das war auch toll.“ Gleichzeitig sei die Serie „schon eine unheimliche Provokation, aber mir gab die Arbeit die Gelegenheit, mich freizuschwimmen – danach war ich auf jeden Fall nicht mehr der Kanzlerfotograf.“

Auf die Frage, wie wichtig ein eigener Stil in der Bilderflut sei, ist Mühe der Meinung, dass ein Wiedererkennungswert „das A und O“ sei. Überhaupt vertritt er die These, man habe im Leben eigentlich nur einen Wurf, an dem man sich in Variationen abarbeite: „Man kann sich dann nach links und rechts abackern, wird aber am Ende feststellen: Eigentlich ist man immer denselben Weg gegangen.“ Die häufigen Kopien von Mühes Bildstil, auf die man immer wieder stößt, sind durchaus auch ein Hinweis auf dessen hohe Qualität. Trotz des vielen Zuspruchs möchte Mühe nicht auf der Stelle bleiben und merkt an: „Jetzt muss ich aber auch mal wieder was Neues machen.“

Die Ausstellung Memory Lab im MNHA ist bis zum 13. September zu sehen; www.mnha.lu. Andreas Mühe: Obersalzberg. 208 S. Distanz Verlag, Berlin 2013. ISBN 978-3954760367. Preis: 44 Euro; Website von Andreas Mühe: www.andreasmuehe.de.
Boris Loder
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