Ein tiefer, ovaler Raum, rundherum von schweren, drapierten Umhängen eingehüllt. Auf einem Fischerstuhl sitzt der alternde Igor (großartig gespielt von Georg Marin), ehemaliger Direktor des Staatszirkus, in schmuddeliger Kleidung und verschmierter Schminke. Vor Jahren hat er seine Artistentruppe, samt seiner geliebten Lipizzanernummer, verlassen, um es mit dem nur mäßig talentierten Clown Marcus woanders zu probieren. Nach etlichen Briefen von Igor ist Mirsa (Dominik Raneburger), der junge und schöne Hochseilakrobat der Truppe, ihm schließlich gefolgt und taucht in Igors herunterkommenem Domizil auf. Entsetzt über den desolaten Zustand des ehemals imposanten und stolzen Direktors will Mirsa jedoch um einen Neuanfang der Truppe kämpfen. Was ist geschehen? Und was ist nur aus den Lipizzanern geworden?
Georg Marin porträtiert einen einsamen, scheinbar leicht wahnsinnigen Direktor, der sich die Zeit in der Einöde mit Zaubertricks und dem Üben einer Pistolennummer vertreibt, die er jedoch ganz und gar nicht beherrscht. Trotz der sehr humorvollen Momente, die fast Slapstick-Einlagen gleichen, bleibt dem Zuschauer nicht verborgen, dass Igor zu einer tragischen, verwahrlosten Figur geworden ist. Er führt Selbstgespräche und hat sich seine eigene Welt erfunden, in der er immer noch ein aktiver Zirkusdirektor ist. Er fordert den fassungslosen Mirsa auf, das Zelt aufzubauen, zu üben (sein ewiges Motto) und neu anzufangen, ohne erkennen zu wollen, dass die Zeiten des Ruhmes vorbei sind.
Der (vom Stück abwesende) talentlose Clown Ra-
fael hat im Geschehen der letzten Jahre zweifellos eine erheblich Rolle gespielt, wie Mirsa vermutet, die aber erst nach und nach erzählt wird und den Zuschauer in Atem hält. Eine vierte Person taucht auf der Bühne auf: der seltsame, verklemmte Herr Müller (exzellent: Marc Baum) mit Aktenkoffer und im altmodischen, gutbürgerlichen Reihenanzug, der sich als perverser Klient einer ominösen Tänzerin entpuppt. Ein Missverständnis zwischen dem leicht paranoiden Herrn Müller und dem überforderten Mirsa bringt nicht nur sehr lustige Dialoge mit sich, sondern auch spannende Einzelheiten über die Geschehnisse im verkommenen Zirkushaus. Schritt für Schritt erhält der Zuschauer Aufklärung über die Figuren und die Hintergründe, die Igor dazu geführt haben, seine Truppe zu verlassen, samt seiner geliebten Lipizzanernummer. Auch Mirsa ist nicht der junge Akrobat, der er zu sein scheint.
Der Text von Jean-Paul Maes ist mit cleveren Wortspielen, Situationsumkehrungen und humorvollen Metaphern gespickt; die Absurdität der Dialoge erinnert bisweilen an Eugène Ionesco. Mehrere Schicksale werden im Laufe des Stücks miteinander verknüpft. Am Ende haben alle Geld, Desillusion, Lügen und Manipulation als gemeinsame Leitthemen. Alle fürchten sich vor der Einsamkeit, verdrängen die Wahrheit und sind ohne Hoffnung, dass bessere Zeiten noch möglich sind. Worte fliegen hin und her, die Dialoge kommen wie aus der Pistole geschossen.
Die drei Darsteller nutzen jeden freien Raum der Bühne und zeigen Schauspiel auf höchstem Niveau. Sie tanzen über die Bühne und geben vollen Körpereinsatz (und lassen sogar die Hosen runter). Anne Simons Inszenierung gleicht einer Tanzchoreografie, unterstrichen von typischer Zirkusmusik. Grandiose Lichteinsätze spielen mit der Dekoration und den Requisiten. Zwischen Märchen, surrealistischer Erzählung, Krimi und Tragikomödie bringt die Truppe uns zum Lachen, aber auch zum Nachdenken. Das Stück passt in keine Schublade, ein voller Erfolg!
Karolina Markiewicz
Catégories: Théâtre et danse
Édition: 26.04.2013