Jeder anständige Gastwirt hat einen Baseball-Schläger unter dem Tresen liegen für den Fall, dass gegen Mitternacht Randale in der Schankwirtschaft ausbricht und er die Herrschaft über sein Lokal zu verlieren droht. So hält auch der Staat diskret einige grobschlächtigere Herrschaftsinstrumente für den Fall bereit, dass Randale in der Volkswirtschaft ausbricht und ihm die Herrschaft zu entgleiten droht. Für den Fall, dass die Produktion gesellschaftlicher Zustimmung ins Stottern gerät und dadurch die Hegemonie verschwindet, wie Antonio Gramsci das nannte. Der Philosoph wusste, wovon er schrieb, denn er musste im Gefängnis schreiben.
Die während Jahren vertuschte und nun zu Tage beförderte Krise im Service de renseignement de l’État sowie der zeitgleiche Gerichtsprozess um die Terrorserie der Achtzigerjahre gewähren dieser Tage einen kurzen Blick unter den Tresen des CSV-Staats. Premier Jean-Claude Juncker nannte diesen Einblick in seiner Erklärung zur Lage der Nation vor 14 Tagen „keine Staatskrise, aber es kriselt im Staat“.
Das derzeitige Kriseln im Staat offenbart, dass jenseits aller frommen Theorien über die parlamentarische Demokratie Herrschaft auch ihre unansehnlichen Seiten hat. Dass sie nicht bloß auf den viel gerühmten Konsensualismus vertraut, sondern zu ihrer Absicherung notfalls auch bereit ist, autoritär und repressiv zu sein sowie sich über ihre eigenen Gesetze hinwegzusetzen.
Dazu dient beispielsweise ein Nachrichtendienst, der mit allen legalen und notfalls auch illegalen Mitteln Angriffe auf die herrschenden Verhältnisse abwehren soll, sei es durch fremde Mächte, Terroristen oder politische Gegner. Dazu dienen im Extremfall sogar terroristische Angriffe auf die herrschenden Verhältnisse, um die Durchsetzung autoritärerer und repressiverer Verhältnisse legitimieren zu können.
Deshalb tummeln sich auch allerlei zwielichtige Gestalten um diese unansehnlichere Seite der Herrschaft im CSV-Staat, bieten ihre Dienste an und versuchen, Geschäfte zu machen. Wie etwa der Elektronikspezialist M., der als Informant unbehelligt den Geheimdienst mit der angeblichen Aufnahme eines Gesprächs zwischen dem Großherzog und dem Staatsminister narrt. Oder der Holzhändler Armand Giwer, der im Nachrichtendienst ein- und ausging, der Justiz einen Bericht des französischen Geheimdienstes zusteckte, mit dem die Untersuchung der Terroranschläge der Achtzigerjahre wieder ins Rollen kam, und den Ermittlern erklärte, dass er mit seinem geheimen Wissen „etwas Kleines zu verdienen“ versuchte.
Manchmal geraten solche Gestalten auch außer Kontrolle, weil sie gleich für mehrere Auftraggeber arbeiten oder eine offene Rechnung begleichen wollen. Dann müssen die Herrschenden oder wenigstens die Regierenden bluten, beispielsweise durch sorgsam destillierte Indiskretionen, wie es nun an den Folgen der vor ein paar Jahren gescheiterten Privatisierung des Nachrichtendienstes zu sehen ist. In der Regierung wird befürchtet, dass damit ganz nebenbei auch der Premier, der seine historische Rolle erfüllt hat und dem nicht anders beizukommen scheint, kurz vor den Wahlen demontiert werden soll.
Schließlich gab es im 19. Jahrhundert eine ganze Geschichtsschreibung, die der Einfachheit halber darauf hinauslief, alle politischen Akteure als bezahlte Agenten, subsidiarisch als Freimaurer und Jesuiten, zu entlarven. Diese Literatur wiederbeleben auch die Mythomanen und Komplotttheoretiker, welche sich derzeit voller Mitteilungsdrang bei der Strafkammer des Bezirksgerichts melden, wie der Zeuge Andreas Kramer aus Duisburg, um auf der Terrorwelle der Achtzigerjahre zu surfen, die bis heute nicht so genannt werden darf.
Mitte der Achtzigerjahre wurde mit Menschenrechten und Mittelstreckenraketen zur Entscheidungsschlacht zwischen Marktwirtschaft und Sozialismus ausgeholt, bei der niemand abseits stehen durfte – nicht einmal im kleinen Großherzogtum. Bei dem damaligen Bombenanschlag in den Kasematten blieb ein Koaxialkabel unbeschädigt, das heimlich vom Geheimdienst auf dem Heilig-Geist-Plateau bis zur sowjetischen Botschaft in Dommeldingen führte. Einer der Geheimdienstagenten antwortete den Ermittlern, er habe sich nicht weiter für die Beschattung möglicher Terroristen interessiert, „denn ich war für die russische Botschaft zuständig“.
Es waren auch die Jahre nach der sozialliberalen Koalition und der Rückkehr der CSV an die Macht, so dass selbst in Armee und Gendarmerie zwischen „Reformfreudigen“ und „Konservativen“ unterschieden wurde, wie die DP- und die CSV-Offiziere genannt wurden. In den Frontverlauf mischten sich auch die Parteipolitik und selbst deren Klientelismus. Der ehemalige Polizeibeamte und Angestellte des WSA-Militärlagers Guy Santer, ein Vetter des Wasserbilliger Polizistensohns und damaligen CSV-Premiers Jacques Santer, hatte zusammen mit Ben Geiben versucht, eine Sicherheitsfirma in Luxemburg zu eröffnen. Mit dem ehemaligen Kommandanten der Brigade mobile de la gendarmerie, über den der damalige Generalstaatsanwalt Camille Wampach gesagte hatte, dass die Sicherheitskräfte ein Täterprofil des Bommeleeër anfertigen ließen und nur eine Person diesem Profil entsprochen habe. Er war „14 Tage lang“, so Richterin Sylvie Conter, die „beste Spur“.
Guy Santers Vorbild war die Brüsseler Sicherheitsfirma Monitor, für die Geiben nach seinem Austritt aus der Gendarmerie arbeitete. Laut Santer habe es sogar mit seinem Vetter, mit Ben Geiben und dem Leiter der Brüsseler Sicherheitsfirma ein Treffen gegeben, bei dem Premier Jacques Santer versprochen habe, Mittelstandsminister Jacques F. Poos (LSAP) um eine wohlwollende Begleitung der Firmengründung zu bitten. Doch aus der Firmengründung mit dem liberalen Geiben sei „aus politischen Ursachen“ nichts geworden. Guy Santer habe es dann auf eigene Faust versucht, seine Firma erst Monitor Luxembourg, dann Molitor und schließlich humorvoll LSD (Lëtzebuerger Sécherheetsdéngscht) genannt. Doch nach kurzer Zeit musste er Konkurs anmelden, weil sich herumgesprochen hatte, dass er im Verdacht gestanden habe, etwas mit den Terroranschlägen zu tun gehabt zu haben. Der Vetter des Premiers hatte sich unter anderem wegen seiner Beziehungen zu Geiben verdächtig gemacht und war dann weit länger als dieser überwacht worden.
Andererseits sagte der ehemalige GOR-Ermittler Trierweiler aus, dass DP-Minister Emile Krieps sich als Verantwortlicher für die öffentliche Macht wiederholt für die Laufbahn von Ben Geiben eingesetzt habe. Geiben sei auch ein guter Bekannter von DP-Bürgermeisterin Lydie Polfer gewesen, die wiederum gute Beziehungen zu Gendarmerie-Kapitän Marc Zovilé gepflegt habe.
Laut Trierweile habe 1984 sogar das Gerücht die Runde gemacht, dass im Fall eines Wahlsiegs der DP Geiben Chef der Gendarmerie würde. Doch 1984 verlor die DP die Wahlen, der christlich-soziale Notar Marc Fischbach wurde Minister der öffentlichen Macht. So wurde Geiben auch ein wenig ein Opfer des Index-Wahlkampfs und verließ die Gendarmerie und das Land.
Als Geiben im Mai 1987 nach Luxemburg kam, um in der Synagoge einen Vortrag über Terrorismus zu halten, erzählte Marc Zovilé während eines anschließenden Essens mit Ben Geiben und dem liberalen Konsul und Geschäftsmann Henri Roemer, vorübergehend auch RTL-4-Direktor und FLF-Präsident, dass laut Gerüchten Prinz Jean der Bommeleeër sei. Die Anklageschrift schlussfolgert, dass Geiben oder Roemer die Geschichte weitererzählt haben muss, da Zovilé und sein Vorgesetzter vom Hofmarschall zu einer Gardinenpredigt in den Palast bestellt wurden. Ein Zeitungsartikel über Geibens Vortrag in der Synagoge war das einzige Dokument, das bei einer Hausdurchsuchung im Geheimdienst in der Akte „Ben Geiben“ gefunden worden war.
Geiben war bei Hofe offenbar besser angesehen als Zovilé, da er in Luxemburg und im Feriendomizil Cabasson für den Personenschutz der großherzoglichen Familie zuständig war. Deshalb ging er notgedrungen „bei Hof ein und aus“, wie Gendarmeriekommandant Fernand Diederich sich erinnerte. Laut Kriminalpolizist Alain Thill soll Geiben auch fünf Monate lang eine Beziehung mit der Tochter von Hofmarschall Christian Calmes gehabt haben.
Als die Staatsanwaltschaft die beiden heutigen Angeklagten festnehmen ließ, den CSV-Justizminister Luc Frieden zur Dienstenthebung eines Teils der Polizeispitze zwang und auch dem CSV-Premier Jean-Claude Juncker unterstellten Geheimdienst Justizbehinderung vorwarf, kündigte DP-Präsident Claude Meisch Anfang 2008 den Konsens unter den Parteien auf, die Terroranschläge als Folklore abzutun. Für ihn wurde plötzlich „immer klarer, dass die Bombenlegeraffäre zu einer reellen Staatskrise wird“, und „die CSV ist nicht unschuldig, wenn das Land in eine Staatskrise rutscht“.
Worauf CSV-Ehrenstaatsminister Jacques Santer über RTL drohte, jeder sei „irgendwie involviert in dieser Affäre“, denn die Regierungen seien „so zusammengesetzt, dass sie nicht einfarbig sind“. Außerdem seien die Ermittlungen Sache der Justiz und „nicht des Staatsministers, nicht des Justizministers, nicht des Armeeministers“. Justizminister war bis 1984 Colette Flesch (DP), danach Robert Krieps (LSAP); Armeeminister war bis 1984 Emile Krieps (DP), danach Marc Fischbach (CSV).
Der während der Attentate für die Gendarmerie und deren Brigade mobile zuständige CSV-Minister Marc Fischbach hatte 2008 das Vorgehen des Staatsanwalts und ehemaligen CSV-Staatsrats Roby Biever in einem vom Luxemburger Wort wieder zurückgezogenen Interview „unmöglich“ genannt. Sein Parteikollege und Amtsnachfolger Luc Frieden hatte als Justizminister gegenüber Biever laut darüber nachgedacht, ob die hohen Ausgaben für die Ermittlungen nicht eingestellt werden sollten, und Polizeidirektor Reuland hatte den Ermittlern während des Abschiedsfestes eines Kollegen im Oktober 2006 Gespräche über eine neue Beschäftigung angeboten, um auf „andere Gedanken“ zu kommen.
Wie Jacques Santer ganz richtig bemerkte, bringt das strenge Verhältniswahlrecht es mit sich, dass alle wichtigen Parteien mit der CSV in einer Koalition waren oder in eine Koalition mit ihr kommen wollen. Deshalb sind die unansehnlicheren Herrschaftsinstrumente des CSV-Staats auch ein wenig ihre, oder sie wollen, dass sie es werden. Dass Geheimdienstchef Marco Mille 2007 ein Gespräch mit Jean-Claude Juncker heimlich aufgezeichnet hatte, verschwiegen auch die Fraktionsvorsitzenden von LSAP, DP und Grünen eisern, bis die Verjährungsfrist erreicht war. Als sich der erste Sturm der öffentlichen Entrüstung über den Vorfall gelegt hatte, beschloss der parlamentarische Ermittlungsausschuss gleich, die Öffentlichkeit von seinen Sitzungen auszuschließen.
Als Vorsitzender des Ermittlungsausschusses will LSAP-Präsident Alex Bodry nicht nur aus Koalitionsräson der CSV keinen überflüssigen Kummer bereiten. Den Sozialisten ist auch unwohl in der ganzen Angelegenheit. Denn spätestens seit dem Versuch, einen Teil der Geheimdienstaktivitäten zu privatisieren, Geschäfte mit angeblichen Schurken und Schurkenstaaten zu machen, wusste der ehemalige LSAP-Wirtschaftsminister Jeannot Krecké Bescheid. Ein Geheimdienstbeamter, Sohn des ehemaligen DP-Staatssekretärs Jos Schaack, ging vom LSAP-Wirtschaftsministerium zum Nachrichtendienst, der Geheimdienstbeamte André Kemmer ging vom Nachrichtendienst ins LSAP-Wirtschaftsministerium.
Als einstige Spitzeldienstgegner wünschen die Grünen sich, dass so schnell wie möglich vergessen wird, wie sie sich jahrelang im parlamentarischen Geheimdienstkontrollausschuss als demokratisches Alibi für die unansehnlicheren Herrschaftsinstrumente des CSV-Staats zur Verfügung stellten. Damit legten sie für den Fall einer Regierungsbeteiligung ein bis dahin manchmal angezweifeltes Bekenntnis zur Staatsträson ab. Heute beteuern sie gegenüber ihren Wählern ihre Unschuld, in dem sie sich „naiv“ nennen.
Selbst die ADR, die einst Valissen-Affären erfand und Museumsfassaden maßlos zu Skandalen aufzubauschen verstand, bleibt stumm. Dabei hatte der ehemalige ADR-, dann DP-Abgeordnete und RTL-Sicherheitschef Josy Simon den Ermittlern noch erzählt, dass er nach verschiedenen Attentaten Ben Geiben im Café des Artistes im Stadtgrund gesehen habe. Simon hatte sogar gehört, dass Prinz Jean von der großherzoglichen Familie eine Abfindung von 70 Millionen Franken für seinen Thronverzicht erhalten haben soll. Doch heute hat die Partei noch gerade zwei Abgeordnete, einer von ihnen, Oesling-85-Kämpfer Fernand Kartheiser, drückte in der sehr rechten École royale militaire in Brüssel die Schulbank mit jenen Offizieren, die seit bald 30 Jahren eine Aufklärung der Terroranschläge zu verhindern versuchen.
Für Chefermittler Carlo Klein ist eines der größten Rätsel in der Geschichte der Terroranschläge, dass der Geheimdienst die Beschattung Ben Geibens am 19. Oktober 1985 kurz vor dem Bombenanschlag auf den Justizpalast unterbrach und seither fast alle Akten dazu verschwunden sind, keiner der Verantwortlichen sich daran erinnern kann. Klein bot diese Woche dafür zwei Erklärungen: Entweder verlief die Beschattung ergebnislos oder sie brachte eine Erkenntnis, „die wir nicht erfahren dürfen, die in eine Richtung zeigt, die nicht sein darf“. Vielleicht zeigte sie einen Augenblick lang den Baseball-Schläger unter dem Tresen des CSV-Staats.