Sozialplan bei Hëllef doheem: Die Nachricht hatte es in sich, als sie vor einer Woche publik wurde. Seitdem vergeht kaum ein Tag ohne eine neue Meldung oder Meinungsäußerung zur Lage beim größten mobilen Pflegedienst. Das könnte so weitergehen: Am heutigen Freitag trifft sich seine Direktion zum zweiten Mal mit OGBL und LCGB, um über die Entlassung von 90 Mitarbeitern zu sprechen. Und während Benoît Holzem, der erst seit Anfang März Generaldirektor der Stiftung Hëllef doheem ist, erklärt hat, er äußere sich nicht mehr gegenüber der Presse, um die Sozialplanverhandlungen nicht zu beeinflussen, schließt zumindest der OGBL das für sich aus. Stattdessen hat die in der Personaldelegation des Pflegedienstes tonangebende Gewerkschaft klargemacht, angesichts der „unzureichenden“ Begründungen für den Sozialplan werde sie der Entlassung keines einzigen Mitarbeiters zustimmen. Liefere Hëllef doheem in den gesetzlich vorgeschriebenen zwei Wochen Verhandlungsfrist keine besseren Argumente und scheitere anschließend womöglich die ebenfalls im Gesetz vorgesehene Schlichtung, dann sei man bereit „bis zum Äußersten zu gehen“ und sogar zum Streik zu mobilisieren. Nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe hatte der OGBL für den gestrigen Donnerstagabend zu einer Protestkundgebung aufgerufen.
Wundern kann man sich schon, dass ausgerechnet Hëllef doheem nicht nur Mitarbeiter entlassen und den Putzdienst am Betriebssitz in Belair outsourcen will, sondern auch zwei ihrer 13 Tagespflegestätten – die in Wiltz und die in Echternach – geschlossen werden sollen, wie auch von den 23 lokalen Pflegezentren das in Düdelingen und das in Käerjeng. Denn nachdem 1999 kurz nach Einführung der Pflegeversicherung neun konfessionelle Pflege-ASBLs in der Stiftung Hëllef doheem zusammengefasst wurden, wuchs der daraus neu entstandene Betrieb nicht nur sehr rasch, sondern zeigte sich von Anfang an als sehr gut organisiert. Heute gehört er zu den größten Arbeitgebern im Lande. Ende 2014 beschäftigte er 2 046 Personen und die kleinen Autos seiner mobilen Pflegerinnen und Pfleger sind omnipräsent. Hinzu kommt: Die Zahl der Pflegebedürftigen nimmt zu, für Kundschaft sollte also gesorgt sein. Und ist der Umsatz von Hëllef doheem im vergangenen Jahr nicht um 2,3 Prozent gewachsen, verfügt die Stiftung nicht über Reserven von zwölf Millionen Euro aus Überschüssen vergangener Jahre?
Doch zu Problemen wie denen bei Hëllef doheem musste es früher oder später kommen. Denn im Pflegewesen gilt das Prinzip der freien Konkurrenz. Wer vom Familienministerium für tauglich befunden wird, Pflegedienstleister zu sein, kann loslegen, kann Betreuungsleistungen bei der Pflegekasse abrechnen und Krankenpflegeleistungen bei der Krankenkasse. Schon seit etwa 2011 aber sind die Zeiten vorbei, in denen es in der mobilen Pflege nur zwei Anbieter gab: Hëllef doheem und das Netzwerk Help als liberales Pendant mit der von der Croix-Rouge gegründeten Pflege-ASBL Doheem versuergt als wichtigstem Akteur. Heute listet das Familienministerium sieben mobile Pflegedienste auf.
Die neuen tragen Namen wie Päiperléck, Verbandskëscht oder Paramedicus. Hinter ihnen stehen keine sozial inspirierten Stiftungen oder ASBLs, sondern Kapitalgesellschaften, deren Management offenbar weiß, dass sich mit Pflege Geld verdienen lässt, wenn man sich schlau anlegt. Wenngleich Hëllef doheem nach wie vor der größte Anbieter ist und Doheem versuergt die Nummer zwei, haben beide laut der die Pflegekasse verwaltenden CNS seit 2012 fünf Prozent Marktanteil an die aufstrebende Konkurrenz verloren. Die lässt ebenfalls bunt lackierte Kleinwagen fahren, konzentriert sich jedoch auf bestimmte Gegenden im Land, den Speckgürtel um die Hauptstadt beispielsweise oder die großen Südgemeinden. Dadurch profitiert sie von kurzen Wegen bei geringeren Kosten. Wie sie profitiert, zeigt sich daran, dass Hëllef doheem die Gesamtzahl ihrer Pflegekunden in den Jahresabschlüssen seit 2011 unverändert mit „leicht unter 16 000“ angibt. Vom Zuwachs der landesweit Pflegebedürftigen um rund fünf Prozent im Jahr hat der Marktführer offenbar nicht viel. Stattdessen hat er, weil Pflege eine personalintensive Tätigkeit ist, besonders hohe Kosten. Denn nur Hëllef doheem verfolgt seit ihrer Gründung 1999 den Anspruch, ganz Luxemburg abzudecken – bis ins letzte Dorf im hohen Norden.
Deshalb hatte Generaldirektor Holzem kaum Recht, als er vor einer Woche die Frage nach Managementfehlern bei Hëllef doheem von sich wies. Auf die zunehmende Konkurrenz hatte die Stiftung mit weiterem Ausbau reagiert. Ihre Personalkosten stiegen 2011 bis 2013 jeweils um sechs bis neun Prozent, die Aktivität am Kunden, die bei der Pflegekasse abgerechnet wird, nur um drei bis sechs Prozent; die Krankenpflege-Aktivität geht seit 2011 zurück. Die Bilanz für 2014 hat Hëllef doheem noch nicht publiziert, doch dem Vernehmen nach wuchsen die Personalkosten um weitere zehn Prozent, während die Aktivität deutlich weniger stark zunahm als in den Jahren zuvor. Weil die Personalkosten bei Hëllef doheem schon früher mehr als 80 Prozent vom Umsatz verzehrten, könnte das Defizit von 3,2 Millionen Euro vorprogrammiert gewesen sein. Vielleicht sah das auch der Verwaltungsrat der Stiftung so, denn Anfang des Jahres verschwand der langjährige Generaldirektor Robert Theissen plötzlich aus seinem Amt und in der Pflege-Szene erzählt man sich, er sei gegangen worden. Falls das stimmt, wäre Nachfolger Holzem, von Beruf Unternehmensberater, der in der Not bestellte Aufräumer, der nun mit Gewerkschaftlern verhandeln muss, die er noch gar nicht weiter kennen kann.
Die Abbaupläne von Hëllef doheem lassen sich aber auch als politisches Manöver verstehen. Einerseits gegenüber den Gewerkschaften: Im Pflegesektor stehen Kollektivvertragsverhandlungen bevor. Weil die Branche eine parastaatliche ist, müsste der neue Kollektivvertrag aber nicht nur das jüngste Gehälterabkommen für den öffentlichen Dienst mit einer 2,2-prozentigen Punktwerterhöhung übernehmen, sondern auch die im Januar verabschiedete Reform des Beamtenstatuts, die zur Aufwertung verschiedener Karrieren führt. Dass die im Pflegesektor (und in den Spitälern) nachvollzogen wird, ist für den OGBL ein ganz zentrales Ziel, dafür kämpft er seit Jahrzehnten. Und er verdächtigt die Führung von Hëllef doheem, der Verweis auf ihr schon jetzt „teures Personal“ sei ein Versuch, die Karrierenaufwertung zu torpedieren.
Die Abbaupläne könnten aber auch ein Manöver gegenüber der Regierung sein. Benoît Holzem gab vor einer Woche allein ihr die Schuld an der Lage bei Hëllef doheem: Im Zukunftspak habe sie festgeschrieben, dass die valeur monétaire, jener mittlere Gestehungspreis, mit dem die Pflegeleistungen multipliziert werden, um auf einen bei der Kasse abrechenbaren Betrag in Euro zu kommen, eingefroren bleiben soll. Und sie habe veranlasst, dass Pflegeleistungen restriktiver zuerkannt werden.
Beides aber kann nicht der Grund für die Probleme der Stiftung sein. Die Leistungen werden tatsächlich restriktiver zuerkannt und bestehende Pflegepläne werden überprüft – doch das gilt erst seit Anfang dieses Jahres. Und über die valeur monétaire hatten, während die Regierung über das „Eingefrorenlassen“ nachdachte, CNS und Pflegedienstleisterverband Copas im Hintergrund verhandelt und kamen zum Ergebnis, für 2014 könne es nur eine Nullrunde geben.
Eine Herausforderung an die Regierung und die Politik ist die Lage bei Hëllef doheem aber trotzdem. Man kann sich ja fragen, ob es Sinn hat, den Pflegemarkt in dem kleinen Land sich selber zu überlassen. Die zunehmende Konkurrenz in der mobilen Pflege macht offenbar auch Doheem versuergt zu schaffen: 2014 schloss sie ebenfalls mit einem Minus ab, allerdings war es mit 76 000 Euro viel kleiner als der Drei-Millionen-Verlust bei Hëllef doheem. „Wir müssen uns alle warm anziehen, die Zeiten, in denen wir etwas geschenkt bekamen, sind vorbei“, kommentierte Michel Simonis, Direktor der Croix-Rouge und von Doheem versuergt.
Allerdings machen die mobilen Anbieter einander nicht nur bei Fahrten zur Pflegekundschaft Konkurrenz, sondern auch bei den Pflegetagesstätten (Centres psycho-gériatriques), in denen vor allem Demenzkranke betreut werden, und bei den lokalen Pflegezentren. Von dort rücken nicht nur die mobilen Pfleger mit ihren Autos aus, in den Zentren werden auch Verbände gewechselt werden oder Blut entnommen. Dass in einer Gemeinde mehrere Tagesstätten bestehen, kommt vor, ist aber nicht häufig. Die derzeit 59 Pflegezentren dagegen wuchsen aus dem Boden nach dem Prinzip: „Wo mein Konkurrent ist, muss ich ebenfalls hin.“ An diesem Spiel beteiligen sich nun auch die neuen Pflegeanbieter mit den lustigen Namen.
Ist das sinnvoll? Bisher war die Politik dieser Ansicht und die Pflegekasse zahlt für alles. In der valeur monétaire, aus der ein abrechenbarer Preis entsteht, sind 90 Prozent Personalkosten enthalten, darunter auch für den Overhead zur Administration des Angebots. Nun aber begründet Hëllef doheem gegenüber den Gewerkschaften die geplante Schließung von Tagesstätten und Pflegezentren mit dem zu geringen Auslastungsgrad. In den Tagesstätten in Echternach und Wiltz liege er zum Beispiel nur bei 60 Prozent.
Ob eine Regulierung oder zumindest eine Koordination des Angebots nicht Not täte, ist eine Frage an die Regierung gerade jetzt, da die Reform der Pflegeversicherung ausgearbeitet wird, zu der unter der vorigen Regierung keine Zeit mehr war. Bis Ende Juli will Sozialminister Romain Schneider (LSAP) die Grundzüge der Reform vorlegen. Allerdings fragt sich, ob Hëllef doheem, wenn sie politische Signale sendet, ein Interesse an Regulierung oder Koordination auf dem Markt hätte und nicht viel mehr an gesicherten Mitteln, um die eigene dominante Position zu verteidigen. In der Vergangenheit war vor allem das CSV-geführte Familienministerium für den freien Pflegemarkt eingetreten. Heute sucht das Sozialministerium mit dem nun DP-geführten Familienministerium einen politischen Konsens darüber, wohin die Pflegeversicherungsreform überhaupt steuern soll. Gut möglich, dass Hëllef doheem diese Frage politisch zumindest ein wenig hochzukochen versucht. Dass sie diese Woche in Briefen an ausgewählte Kunden um Spenden mit der Bemerkung bat: „Nach der Pflegeversicherungsreform haben wir weniger Geld“, deutet darauf hin.