Das Amt des christlich-sozialen Spitzenkandidaten für die Kammerwahlen wurde früher hinter verschlossenen Türen von CSV-Patriarchen an ihnen genehme Nachfolger vererbt. Aber stets war dieser halbdynastische Akt ein Schlüsselmoment im CSV-Staat, dessen Bedeutung über die Parteipolitik hinauszugehen und eine nationale Tragweite zu erhalten schien. Obwohl der letzte CSV-Patriarch 2013 aus dem Amt gejagt worden war, ohne einen Nachfolger zu bestimmt zu haben, scheint es heute nicht viel anders.
Weil die Wahl des christlich-sozialen Spitzenkandidaten diejenige des nächsten Premierministers sein könnte, habe er auch mit Vertretern der lebendigen Kräfte der Nation, wie Unternehmern und Gewerkschaftern, geredet, erzählte CSV-Präsident Marc Spautz am Montagabend im Pfadfinderheim der FNEL auf dem Cents. Bei ihnen, bei Vertretern von 16 Parteistrukturen und bei ausgewählten Einzelperso-
nen hatte er entsprechend den gerade reformierten Statuten die Akzeptanz von Fraktionssprecher Claude Wiseler geprüft. Am Montag konnte er den 119 anwesenden Mitgliedern des Nationalrats berichten, dass Claude Wiseler den Segen aller hat, die der CSV hoch und heilig sind. Anders als der Nordbezirk der Partei, der eine Lanze für Martine Hansen brach, zog nicht einmal der Süden Viviane Reding Claude Wiseler vor. So stimmten 108 Delegierte oder 91 Prozent für Wiseler als ihren nächsten Premierminister.
Das war ein stolzes Ergebnis. Am Ende hieß es, Claude Wiseler sei als „Oppositionschef“ von Anfang an „der natürliche Kandidat“ gewesen. Das wertete die anderen drei Anwärter zu Zählkandidaten ab. Aber leer gehen sie trotzdem nicht aus: Der ehemalige Finanzminister und langjährige Thronfolger Luc Frieden soll im Frühjahr 2019 bei den Europawahlen kandidieren und, wenn alles klappt, auf Jean-Claude Juncker als Luxemburger Vertreter in der Europäischen Kommission folgen. Viviane Reding soll im Oktober 2018 an den Kammerwahlen teilnehmen und wenn sie sich mit 67 noch jung genug fühlt, stünde ihr dann sogar jenes Ministeramt offen, das Jean-Claude Juncker ihr stets verweigerte. Auch Martine Hansen bekommt es gedankt: Sie soll Spitzenkandidatin im Norden und anschließend wieder Ministerin werden.
So ist es den Konservativen nicht ohne Geschick und mit etwas Glück gelungen, nach der politischen Bruchlandung von 2013 ihre Personalprobleme zu lösen, ihre Statuten und ihr Grundsatzprogramm anzupassen und nun einen Spitzenkandidaten zu nominieren, ohne heute so auszusehen wie die französischen oder die britischen Konservativen. Das hatten manche ihrer Gegner nicht erwartet.
Auf seine stille Art hat Claude Wiseler, der als einziger das Mandat öffentlich beansprucht hatte, sich nun durchgesetzt, auch gegen seinen Parteipräsidenten, der anfangs den Spitzenkandidaten erst nächstes Jahr bestimmen wollte und verlangt hatte, dass alle Anwärter auch zu den Gemeindewahlen antreten müssten, was Claude Wiseler nun nicht tun wird. Das Arrangement vom Montag bedeutet auch, dass die CSV den 2013 mit Cargolux und Bommeleeër demontierten, aber in den vergangenen Monaten in Unternehmerkreisen emsig geförderten Luc Frieden endgültig aus der nationalen Politik fernhalten will.
Der noch in den letzten Tagen von LSAP-Präsident Claude Haagen in einem offenen Brief kritisierten einseitig wirtschaftsliberalen Option niedrigerer Lohnstückkosten und eines nur noch karitativen Sozialstaats zog die Partei die deutlich mehr Wähler anziehende Option „Volkspartei“ vor, die auch große Koalitionen vereinfacht: Mit Claude Wiseler verspricht die CSV, der Nation eine verständnisvolle und bedächtige Vaterfigur zu schenken, der LCGB-Mitglieder wie gläubige Unternehmer, Staatsbeamte wie Landwirte vertrauen sollen. Diese Fortschritt in der Tradition genannte Verkleisterung von Interessenwidersprüchen gelingt ihm noch nicht immer, wie er bei der Parlamensdebatte über die bevorstehende Steuerreform zeigte.
Am 8. Oktober soll erstmals in der Geschichte der CSV ein Konvent aller Delegierten der Landes- und Bezirkskongresse zusammenkommen, um Claude Wiselers Nominierung breit zu unterstützen. Bei dieser Krönungsmesse will Claude Wiseler einen ersten „Plang fir Lëtzebuerg“ vorstellen, wie er am Montag ankündigte, ein erstes Wahlprogramm, pünktlich zwei Jahre vor den Wahlen. Schwerpunkte sind, wie es sich für eine Volkspartei gehört, Antworten auf wirtschafts- und sozialpolitische Fragen, „wie wir mit dem Wachstum umgehen, welches Wachstum wir wollen“, und die Lastenverteilung innerhalb der Gesellschaft, damit „niemand unter die Räder kommt“. Romain Hilgert