Die Arbeitsgruppe, die sich vergangene Woche im Innenministerium traf, war klein. Wer nach der Tagesordnung des Treffens fragte, erfuhr, es habe sich erst einmal nur um ein „Kick-off-Meeting“ gehandelt. Aber trotzdem: Es sieht so aus, als könnte die Grundsteuer reformiert werden. Wie das geschehen könnte, soll in dem kleinen Kreis der Arbeitsgruppe besprochen werden. Und ehe man darüber nachdenken kann, will man sich darüber klar werden, wo Luxemburg steht mit seinem über 70 Jahre alten Impôt foncier.
Das klingt nach einem langwierigen Vorhaben, und lange dauern wird es wohl auch, bis feststeht, was am bestehenden System geändert werden soll. Dabei bestreitet niemand, dass die Grundsteuer nur wenig abwirft. Sie ist eine kommunale Steuer und wird einerseits auf den Besitz an land- und forstwirtschaftlichen Flächen (Kategorie A), andererseits auf Immobilienbesitz im Bauperimeter einer Gemeinde (Kategorie B) erhoben. Von den insgesamt 1,5 Milliarden Euro, die den Gemeinden im Großherzogtum 2011 an nicht zweckgebundenen Einnahmen zur Verfügung standen, kamen aber gerade mal 30,7 Millionen, oder zwei Prozent, aus der Grundsteuer. Dagegen floss aus der ebenfalls kommunalen Gewerbesteuer mit 708 Millionen Euro 23 Mal so viel (siehe „Die kleine Steuer“). Die Grundsteuer, schrieb die Zentralbank vor einem Jahr in einer Studie über die Gemeindefinanzen, „n’occupe actuellement qu’une place marginale au sein des recettes totales des communes.“ Kein Wunder, dass Attribute wie „lächerlich“ und „nicht mehr zeitgemäß“ schon in den letzten zehn Jahren immer wieder schnell zur Hand waren, wenn das politische Gespräch die Grundsteuer berührte.
Wer Grundsteuer zahlen muss, und das dürfte schon wegen der 69 Prozent Eigenheimbesitzer unter den Haushalten ein großer Teil der Bevölkerung sein, weiß: Die Jahresrechnung ist tatsächlich ziemlich geringfügig. Für ein Einfamilienhaus mit Garten werden in Landgemeinden in der Regel nur zweistellige Beträge fällig. Camille Gira, der grüne Député-maire von Beckerich, verrät: „Ich zahle für mein Haus 30 Euro.“ Immobilienbesitz in Städten kann teurer zu stehen kommen. In Esch/Alzette, teilt Bürgermeisterin Lydia Mutsch (LSAP) mit, würden für ein Einfamilienhaus zwischen 80 und 150 Euro jährlich erhoben, für ein Apartment ungefähr die Hälfte. Landwirtschafts- und Forstflächen zu besitzen, kostet noch weniger, mitunter weniger als fünf Euro für einen Hektar Wald. Es gibt Spaßvögel, die ihrer Gemeinde anstelle der geschuldeten 2,50 Euro das Doppelte überweisen und die Verwaltung zur Verzweiflung treiben, weil die nicht weiß, wie sie das Trinkgeld verbuchen soll.
Also: Herauf mit der Grundsteuer? Man könnte die Besteuerung ohne weiteres mal eben verdoppeln, meinte die Handelskammer vergangenen Herbst in ihrem Gutachten zum Staatshaushaltsentwurf für dieses Jahr. Das würde keinem auffallen und den Gemeinden mindestens 25 Millionen Euro mehr einbringen. Acht Jahre zuvor wollte der CSV-Abgeordnete Laurent Mosar noch weiter gehen: Selbst wenn man die Grundbesteuerung pauschal um das Drei- oder gar das Vierfache erhöhte, hätte „kein Haushalt ein Problem damit“, glaubte er Ende 2004 als Berichterstatter zum Staatshaushalt 2005. Im Gegenzug könnte man die Gewerbesteuer senken und so den Wirtschaftsstandort wettbewerbsfähiger machen.
Die Besteuerung einfach mit einem Faktor zu multiplizieren, ist freilich nicht dasselbe wie eine regelrechte Reform der Grundsteuer. Ihr Mechanismus ist komplex: Zunächst bestimmt die Steuerverwaltung den Vermögenswert der „Wirtschaftseinheit“ Grundbesitz. Sie erfasst Fläche und Bauvolumen, aber auch den Nutzwert und sogar den Verkehrswert von Gebäuden und Grundstücken. Daraus bildet sie den so genannten Einheitswert für jedes Haus und jedes Stück Land. In einem zweiten Schritt multipliziert sie jeden Einheitswert mit einer Messzahl, die vom Typ der Immobilie und bei Gebäuden auch von deren Baujahr abhängt. Für Einfamilienhäuser wird noch ein Abschlag gewährt, falls der Einheitswert des Hauses eine bestimmte Schwelle nicht überschreitet. Aus dem Produkt von Einheitswert und Messzahl ergibt sich die Besteuerungsbasis. Erst in einem letzten, dritten Schritt wirken die Gemeinden auf die Grundsteuer ein. Dann wird die Besteuerungsbasis der Immobilie mit einem lokalen „Hebesatz“ multipliziert. Jahr für Jahr legen die Gemeinderäte die Hebesätze für das darauffolgende Steuerjahr neu fest.
Was die Grundsteuer so billig macht, ist aber nicht die Komplexität des Verfahrens. Auch nicht der Umstand, dass Luxemburg die Grundsteuer, wie auch die Gewerbesteuer, während der Nazi-Okkupation von Deutschland übergestülpt wurde und man sie nach der Befreiung 1944 der Einfachheit halber weiterzuführen beschloss. Klein wird die Besteuerung, weil der Maßstab zur Festlegung der Einheitswerte von 1941 datiert und nie mehr angepasst wurde. „Die Steuerverwaltung“, sagt ihr Direktor Guy Heintz, „muss deshalb jeden Immobilienwert auf den Stand herunterrechnen, der 1941 galt.“ Auch den Wert neu gebauter Häuser beispielsweise. Das sei der größte Aufwand beim Umgang mit dem alten System. Mit dieser Tätigkeit, die man eher mit einer Erzählung Franz Kafkas in Verbindung bringen möchte als mit moderner Verwaltungspraxis im 21. Jahrhundert, sind 28 Mitarbeiter der Steuerverwaltung beschäftigt.
Auf die nahe liegende Frage, ob Aufwand und Erlös in einem gesunden Verhältnis zueinander stehen, antwortete im September 2003 der Innenausschuss der Abgeordnetenkammer: „Dans bien de cas, ces recettes ne permettent même pas de couvrir les frais résultant de la fixation, de l’encaissement et du recouv-rement de cet impôt.“ Zehn Jahre danach aber ist die Grundsteuer noch immer so billig. Und das obwohl im November 2003 die Abgeordnetenkammer einstimmig eine Resolution für eine „tiefgreifende“ Grundsteuerreform verabschiedete. Nach den Wahlen 2004 hielt die neue Regierung aus CSV und LSAP in ihrem Koalitionsvertrag fest, die Reform werde „studiert“. Wieso auch nicht, denn Michel Wolter (CSV), der Innenminister der Vorgängerregierung, hatte schon Ideen dazu entwickeln lassen. Doch als sein Parteikollege und Amtsnachfolger Jean-Marie Halsdorf sich 2005 zwei Mal per Brief bei seinen beiden damals für das Finanzressort und Fiskalfragen zuständigen Partei- und Ministerkollegen Jean-Claude Juncker und Luc Frieden erkundigte, wann das Studium der Grundsteuerreform beginnen könne, erhielt er nie eine Antwort. Als aus den Wahlen 2009 eine Neuauflage der Juncker-Asselborn-Regierung hervorging, erwähnte die in ihrem Koalitionsprogramm die Grundsteuer mit keinem Wort mehr.
Für diese Zurückhaltung dürfte es ein paar Gründe geben. Zum einen war 2005 beschlossen worden, die Vermögenssteuer für Privatpersonen abzuschaffen. Die Grundsteuer als eine Besitzsteuer so anzupassen, dass sie den Gemeinden vielleicht den zehnfachen Erlös eingebracht hätte, wie auch prominente CSV-Politiker sich das zwei Jahre zuvor gewünscht hatten, erschien nun nicht mehr opportun.
Zum anderen wäre es ein Riesenaufwand, den Wertmaßstab zu aktualisieren: Jedes Gebäude und jedes Stück Land müssten analysiert und laut Steuerverwaltung mehr als 300 000 Dossiers überarbeitet werden. Doch das ist eher ein technisches Detail, verglichen mit der politischen Tragweite einer solchen Übung. Um den Bogen über sieben Jahrzehnte zu schlagen, müsste nicht nur die Entwicklung der Verkaufspreise berücksichtigt werden. Sondern auch, dass in den zurückliegenden Jahrzehnten ländliche Räume rasant urbanisiert wurden. Einheitswerte auf neuer Basis würden nicht nur in den Randgemeinden um die Hauptstadt, die vor 70 Jahren noch überwiegend aus Wald- und Wiesenflächen bestanden, zu einer drastisch erhöhten Grundsteuerlast führen. Innerhalb von Luxemburg-Stadt müssten urbanistisch junge Viertel, wie etwa Cents, sich in den Einheitswerten an ältere Quartiers, wie etwa Belair, annähern. Oder in Kopstal die Ortschaft Bridel mit ihrem Bauboom an den Rest der Gemeinde.
Ob man so weit gehen wollte und bereit wäre, dafür politisch zu kämpfen, ist eine Frage, die sich heute wieder stellt. Schon möglich, dass die Antwort Nein lauten wird, denn 1983 scheiterte der damalige CSV-Finanzminister Jacques Santer mit einem Reformversuch, der viel weniger weit reichen sollte. Statt jede Immobilie für sich neu zu bewerten, sollten die Werte für Agrar- und Forstflächen pauschal um das Fünffache steigen, die aller anderen Flächen um das Zehnfache. Um zu begründen, dass das nicht zu viel verlangt sei, legte Santer dem Gesetzentwurf eine Statistik über die Entwicklung der Verkaufserlöse bei. Sie zeigte, dass in den vergangenen vier Jahrzehnten Wohn- und Geschäftsbauten um den Faktor 13 bis 16 im Wert zugenommen hatten, Ackerflächen um den Faktor zehn bis 13 und Bauland um den Faktor 25 bis 40. Doch trotz dieser Erklärungsversuche und obwohl Santer gleichzeitig neue Abschläge auf die Grundsteuer einzuführen versprach, stieß sein Vorhaben als „versuchte Steuererhöhung“ auf derart viel Protest von allen nur denkbaren Seiten, dass er es wieder zurückzog.
Ganz ausgemacht ist es deshalb nicht, dass die Arbeitsgruppe, die vergangene Woche im Innenministerium zusammentrat, tatsächlich einen Reformplan entwerfen wird – und falls doch, ob die nächste Regierung ihn umsetzt. Es sieht so aus, als erhielten Grundsteuer-Reformideen politisch immer dann Konjunktur, wenn die wirtschaftliche lahmt oder am Boden liegt: 1983 während der Stahlkrise; 2003, als die öffentlichen Finanzen unter den Auswirkungen der Dotcom-Krise und der zwei Jahre zuvor verfügten allgemeinen Steuersenkung litten; und derzeit, wenn fürs nächste Jahr mit einem Einbruch bei der kommunalen Gewerbesteuer gerechnet wird und ab 2017 mit einem viele hunderte Millionen Euro schweren Mehrwertsteuerausfall aus dem elektronischen Handel. Der wird nicht ohne Auswirkungen auf den staatlichen Dotationsfonds FCDF bleiben, der unter anderem anteilig aus den Mehrwertsteuereinnahmen der Staatskasse gespeist wird und über den an die Gemeinden ungefähr noch einmal so viele Mittel fließen wie aus dem Gewerbesteuertopf.
Allerdings ist die Lage diesmal so ernst, dass die Einberufung der Grundsteuer-Arbeitsgruppe vom Regierungsrat beschlossen und also auch vom Finanzminister mitgetragen wurde. Schon beim Treffen vergangene Woche waren nicht nur die Kommunalfinanzdirektion des Innenministeriums, die Steuerverwaltung und der Gemeindeverband Syvicol vertreten, sondern auch die Generalinspektion der Finanzen, wie Innenminister Jean-Marie Halsdorf gegenüber dem Land hervorhebt. Demnach könnten diesmal „Nägel mit Köpfen“ gemacht werden. Es liegen ja auch schon Ideen auf dem Tisch. Wie etwa die, vom Einheitswertsystem abzurücken. Das hatte 2003 schon Michel Wolter angedacht, und einen ähnlich lautenden Vorschlag machte im Herbst 2011 der damalige parlamentarische Haushaltsberichterstatter Gilles Roth (CSV) der Regierung: Man könnte, wie das in manchen deutschen Bundesländern versucht wird, eine „Flächensteuer“ einführen, die sich vor allem nach dem „Planungszustand“ eines Grundstücks richtet: wie es im Generalbebauungsplan der Gemeinde ausgewiesen wurde, inwieweit es erschlossen ist und was darauf gebaut wurde. Der Vorteil: Innerhalb von Gemeinden mit starker Urbanisierung würden die Unterschiede zwischen „alten“ und „neuen“ Quartiers viel weniger drastisch. So dass eine Flächensteuer vielleicht politikfähiger wäre als ein Update der Einheitswerte.
Allzu große Unterschiede innerhalb der Gemeinden zu vermeiden, wäre aber noch nicht alles. Zwar kam es noch zu keiner großen Grundsteuerreform, aber eine kleine fand statt, als 2009 das Wohnungsbaupaktgesetz in Kraft trat. Zum einen führte es zwei neue Unterkategorien für brachliegendes Bauland ein, die schon von Gesetzes wegen höher besteuert werden. Weil der Erlös aus dieser „Anti-Spekulationstaxe“ in die Gemeindekassen fließt, stieg das landesweite Grundsteueraufkommen zwischen 2008 und 2011 um 3,1 Millionen Euro. In den vier Jahren zuvor lag der Zuwachs nur bei zwei Millionen. Und immer mehr Gemeinden führen diese fakultativen Grundstückskategorien ein: Für das Steuerjahr 2011 hatten das 42 Gemeinden noch nicht getan. Für 2013 nur noch 29.
Vor allem aber hob das Wohnungsbaupaktgesetz die Regel auf, dass die lokalen Hebesätze für die verschiedenen Immobilienkategorien in festen Beziehungen zueinander stehen müssen, damit kein Ackerlandbesitzer gegenüber einem Eigenheimbesitzer benachteiligt werde, kein Eigenheimbesitzer gegenüber dem eines Gewerbegebäudes und so fort. Seit Anfang 2009 können die Gemeinden jeden Hebesatz völlig frei festlegen. Theoretisch können sie sich ihre eigene Grundsteuerreform gestalten.
Es sei „natürlich rein hypothetisch“, dass eine Gemeinde einen Hebesatz von vielleicht 3 000 Prozent beschließe, sagt Camille Gira. Ohne eine Änderung, die für alle gilt, sei den Gemeinden nicht zu wirklich mehr Grundsteuereinnahmen zu verhelfen. Auch Lydia Mutsch sagt: „Wir haben angepasst, was wir konnten.“ Noch weiter zu gehen, und die eine oder andere Immobilienkategorie mit noch höheren Hebesätzen zu belegen, könnte Ungerechtigkeiten provozieren.
Tatsächlich gehören Esch/Alzette und Beckerich zu den Gemeinden mit höheren lokalen Steuersätzen. Wie auch Mamer, wo in den letzten Jahren sämtliche Hebesätze herzhaft um 50 Prozent angehoben wurden (siehe „Lokal erhoben“). Andererseits aber gibt es nicht nur Gemeinden, die ihren Bürgern und und Wählern lieber keine Taxe für Baulandbrachen zumuten, sondern auch solche mit besonders niedrigen lokalen Grundsteuersätzen. In Manternach waren sie schon immer besonders niedrig und 2009 die landesweit niedrigsten. Dass damals aus der Grundsteuer nur wenig mehr als 25 000 Euro eingenommen wurden, stört Bürgermeister Henri Frank aber nicht: „Unsere Kasse stimmt auch so, und so lange das so ist, erhöhen wir die Hebesätze nicht.“ Das habe „für mich schon fast mit Ideologie zu tun“.
Dass sich mit der Zeit doch gewisse Unterschiede in der Grundsteuerlast von Gemeinde zu Gemeinde aufbauen, veranschaulicht ein Blick auf die durchschnittlichen gewichteten Steuersätze jener Gemeinden, die besonders wenig aus der Grundsteuer schöpfen (siehe „Die kleine Steuer“). Zwar gehen in diesen Satz auch die Einheitswerte der besteuerten Immobilien ein. Dass manche Gemeinden relativ hohe Hebesätze anwenden müssen, um dennoch vergleichsweise wenig Grundsteuer einzunehmen, trifft aber zu. Und dann stellt sich für eine Reform nicht nur die Frage, welche Unterschiede in der Grundbesteuerung zwischen den Gemeinden man durch die Reform zulassen will. Sondern auch die, ob man verstärken will, was es an Differenzen schon gibt, oder sie lieber einzuebnen versucht. Am Ende könnten es auch die Gemeinden sein, die auf die Bremse treten bei der Diskussion zur Reform, weil sie fürchten, die könnte ihnen elektoral schaden.