Vor ein paar Jahren war der Kampf gegen die Erderwärmung Mainstream, Priorität und Dauerthema. In Xavier Bettels Rede zur Lage der Nation im Jahr 2022 tauchten Sätze wie dieser auf: „Trotz der aktuellen Krisen bleibt der Klimawandel die größte und unmittelbarste Bedrohung für die Menschheit. Nicht erst in ein paar Jahrzehnten, die Bedrohung ist bereits real.“ Selbst Ursula von der Leyen, Kommissionspräsidentin aus dem konservativen Lager, rückte mit ihrem Green New Deal grünes Wachstum in den Fokus der europäischen Agenda. CSV-Oppositionspolitiker wie Paul Galles unterstützten die hiesige Dreierkoalition bei ihrem Vorhaben, Klimaneutralität als Staatsziel in die Verfassung zu schreiben. An Freitagen demonstrierte Youth for Climate auf den Straßen, die Bio-Branche boomte, und die internationale Presse berichtete über Luxemburgs kostenlosen öffentlichen Nahverkehr. Es herrschte eine spürbare Aufbruchstimmung – der Aufbruch in eine ökologische Transformation.
Die öffentliche Aufmerksamkeit für Umwelt- und Klimapolitik ist inzwischen eingeknickt. Andere massive Krisen sind hinzugekommen: Der Einmarsch Russlands in die Ukraine, die damit zusammenhängende Energieverteuerung, und der Krieg im Nahen Osten. Im Hintergrund rauscht der Arbeitsmarktwandel durch KI und die Immobilienknappheit. Von den aktuellen Krisen profitieren insbesondere Rechtspopulisten und Rechtsradikale, wie die AFD in Thüringen und Sachsen, der Rassemblement National in Frankreich bei den Europawahlen, Donald Trump in den USA und jüngst Calin Georgescu in Rumänien. Dabei beruht deren Erfolg darauf, dass sie Sicherheits-, Wirtschafts-, und Klimapolitik gegeneinander ausspielen: „Umweltschutz ist das stärkste Werkzeug um Wirtschaftswachstum zu verhindern”, sagte Trump unlängst im Joe-Rogan-Podcast. Umweltschützer seien gar eine Umweltgefahr: „You want to see a bird cemetery? Go under a windmill.“ „ Ja“, Windräder seien „wirklich dystopisch“, pflichtet Joe Rogan ihm bei. „Ich liebe Öl und Gas“, schwärmt Trump im Interview – es sei „flüssiges Gold“. Den menschengemachten Klimawandel tut er als Schwindel ab; sein Motto lautet drill, Baby, drill.
In Luxemburg klimpert die ADR schon länger auf der Klaviatur eines unkonstruktiven Klimarelativismus. 2018 forderte Fernand Kartheiser (ADR) am Rednerpult der Chamber: „Schluss mit den Klimaillusionen“. Und kritisierte die „Verspargelung des Öslings durch Windräder“, die „eine Reihe an ökologischen Nachteilen mit sich bringen“. „Unrealistisch, ideologisch, unsozial, schlecht für die Wirtschaft“ – so urteilte der ADR-Abgeordnete Fred Keup 2021 in der Chamber über die Energiepolitik der damaligen Dreierkoalition. „Milliarden und Milliarden“ würden vergeudet, denn letztlich habe Luxemburg keinen Einfluss aufs Klima. Adrenalin-Präsident Maks Woroszylo echauffierte sich seinerseits, in Luxemburg herrschten die höchsten Lebensmittelpreise, während die Regierung Geld „für Klima- und Genderpropaganda“ verschwende. Und im März befand ADR-Parteipräsidentin Alexandra Schoos gegenüber dem Wort: „Obwohl der Einfluss Luxemburgs auf die Umwelt auf globaler Ebene kaum eine Rolle spielt, wird Klimaschutz auf dem Rücken der Menschen ausgetragen.“ Ob sie nicht „genervt“ sei von Parteikollegen, die behaupten, „der Klimawandel sei nicht menschengemacht“, fragte sie das Wort. Die promovierte Tierärztin Schoos verteidigte ihre Kollegen: „Wenn sie diese Aussagen getroffen haben, dann weil sie sich informiert haben.“ Dem Land sagte sie letztes Jahr, sie habe sich noch nicht mit Klimastudien befasst.
Neben lautstarken Klimaskeptikern beobachte er im Parlament vor allem „klimapassive Politiker“, sagt der Abgeordnete David Wagner (déi Lénk) im Gespräch mit dem Land. „Zwar ist die Klimafrage im Mainstream angekommen, aber Regierungsmitglieder spulen häufig abgedroschene Parolen herunter,“ kritisiert der Oppositionspolitiker. Seinem Eindruck nach passen die vorgetragenen Lösungsvorschläge nicht zu den alarmierenden Prognosen. Er verweist auf eine Präsentation der Wissenschaftler des List, die vergangenen Monat gemeinsam mit der Pro-Süd-Region Zukunftsszenarien für den Zeitraum 2031 bis 2060 vorgestellt haben. Dabei wurde deutlich, dass Esch/Alzette unter einem beschleunigten Klimawandel mit 45-Grad-Hitzeperioden rechnen muss. „Aber ich weiß nicht, ob viele Politiker wirklich verstanden haben, was das bedeutet,“ so Wagner.
Der LSAP-Abgeordnete Franz Fayot stellt ebenfalls eine gewisse „Indifferenz“ gegenüber Klimafragen fest. CSV-Premier Luc Frieden habe die Haltung seiner Regierung bereits im Neujahrsinterview auf den Punkt gebracht: Frieden sagte auf RTL Télé, er wolle einen Umweltschutz, „der nicht nervt“, und man solle die Klimaziele „etwas weniger verkrampft“ ansteuern. Für Fayot hat er mit diesen Worten den Weg für ein Herum-Prokrastinieren vorbereitet. „Man verliert viel Zeit mit Diskussionen über E-Fuels und Wasserstoffautos, statt bewährte Lösungen umzusetzen“, so Fayot gegenüber dem Land. In den Regierungsparteien seien zudem verstärkt klientilistische Gesten in Richtung Landwirtschaft wahrnehmbar. Und in Umweltfragen scheint „der Handlungsspielraum von Serge Wilmes in der DP-CSV-Koalition beschränkt.“ Die grünen Ministerinnen Joëlle Welfring und Carole Dieschbourg hätten ihr Ressort kampffreudiger vertreten.
Die Diskussion über E-Fuels, Verbrennermotoren und Wasserstoffautos drehen sich im Kreis. Zu Beginn dieses Jahres klotzte der CSV-Abgeordnete Laurent Mosar erneut mit seiner E-Auto Aversion und twitterte, ein Elektroantrieb sei „nicht wirklich umweltfreundlicher und preisgünstiger“. Einen Monat später befasste sich das Parlament mit einer Petition, die das EU-Verbrenner-Verbot ab 2035 verhindern wollte. Laut dem Tageblatt ging es dem Petenten darum das Recht auf „eine freie und individuelle Mobilität“ zu bewahren. Während der Chamber-Debatte unterstrich Christophe Hansen (CSV), er habe seinerzeit als EU-Abgeordneter gegen den Gesetzesvorschlag gestimmt, – er setze weiterhin auf künftige Fortschritte im Bereich der E-Fuels und des Wasserstoffs. Doch der aktuelle wissenschaftliche Konsens legt nahe, dass Wasserstoff aufgrund seines hohen Energieaufwands bei der Herstellung und Nutzung keine breite Anwendung im Pkw-Bereich finden wird. Die Abwertung von Umweltmaßnahmen ist seit zwei Jahren wieder vermehrt in der Mitte zu beobachen. CSV-Politiker haben Ende 2023 im EU-Parlament gegen die Wiederherstellung von zerstörten Ökosystemen gestimmt. Ursula von der Leyen sieht sich derweil gezwungen, ihren Green New Deal zu verwässern.
„In jeder Partei gibt es Personen, die für Umweltthemen nicht sensibilisiert sind – auch in meiner,“ meint der DP-Abgeordnete Gusty Graas. Man müsse jedoch „kein Fachmann sein,“ um den Biodiversitätsverlust und die Klimaveränderungen zu erkennen. Eine biografische Rückschau könne weiterhelfen: „Wer sich an seine Kindheit erinnert, bemerkt den Rückgang der Pflanzen- und Insektenvielfalt“, sagt Graas im Gespräch mit dem Land. Sein Verständnis von liberaler Politik beinhalte nicht, jeder könne ständig tun, was er wolle, da Freiheit nur in solidarischen Gesellschaften möglich sei. Unter der aktuellen Regierung würden Umweltschutzmaßnahmen jedoch weniger ambitioniert umgesetzt. „Auch, weil der nötige Druck aus der Gesellschaft abnimmt,“ meint Graas. Die Wahlen im vergangenen Jahr hätten das deutlich gemacht. So radikal wie in unseren Nachbarländern sei der Wandel jedoch nicht.
Eine ähnliche Tendenz nimmt auch die ehemalige Umweltministerin Joëlle Welfring (déi Gréng) wahr. Die Normalisierung von Attacken auf die Umweltpolitik beruhe allerdings auf einer konzertierten Aktion: „Recherchen großer Medienhäuser haben offengelegt, dass russische Bots in den sozialen Medien gezielt Stimmung gegen Ökopolitik gemacht haben.“ In ihrer Analyse folgt Welfring dem Soziologen Steffen Mau: Das Sein folgt dem Bewusstsein. Rechtspopulisten würden gesellschaftliche Konflikte nicht einfach abbilden, sondern bewusst heraufbeschwören und damit eine tatsächliche Polarisierung erzeugen. Dabei seien es vor allem Geringverdiener, die instrumentalisiert werden sollen – also jene, die von einer gescheiterten Klimapolitik am stärksten betroffen sind: „Hitzewellen belasten insbesondere Bewohner von Plattenbauten, die oft in der Nähe von Hauptverkehrsachsen liegen“, so Welfring.
Auf der Polarisierungswelle reitet ebenfalls der CSV-Mann Laurent Mosar in den Sozialen Medien. Er postet Sätze wie: „Ich hab das Gefühl dass diese grünen Talibane jeden Morgen aufstehen und sich fragen, mit welchen Verboten sie uns maximal nerven können.“ Oder twitterte den Verdacht, „der Kampf gegen den Klimawandel“ sei für manche nur ein Vorwand, um die „Demokratie abzuschaffen“. Als Kontrast zur ökologisch ausgerichteten Politik inszenierte sich der CSV-Abgeordnete Michel Wolter beim Amtsantritt der neuen Regierung. Man werde auf die Leute zugehen, „amplaz se ofzeleenen, ze degoutéiren an hinnen ee schlecht Gewëssen ze maachen“. Sieben Monate nach den Wahlen betonte CSV-Umweltminister Serge Wilmes erneut, dass die CSV ihre Wähler von einer „Vun-Uewen-Erof-Politik“ befreit habe. Zu verbreitet sei der Eindruck gewesen, dass sein Ministerium „d‘Leit kujenéiert, amplaz motivéiert“.
Es gibt mittlerweile mehrere Analysen zu den Gegnern des Umweltschutzes. Der Soziologe Klaus Dörre legt in seinen Publikationen dar, dass vor allem Arbeiter die antiökologische Bewegung unterstützen. Seine Befunde erläutert er folgendermaßen: Arbeiter verrichten körperlich belastende Jobs nicht weil sie wollen, sondern weil sie müssen. In ihrer Freizeit möchten sie entsprechend „wirklich frei“ sein und sich nicht von „Leuten mit privilegierterem Klassenstatus“ belehren oder moralisch abwerten lassen. Dörre betont, dass das Gefühl der Abwertung, das viele Arbeiter empfinden, nicht zwangsläufig hätte entstehen müssen. Einkommensschwache Gruppen weisen die niedrigsten Pro-Kopf-Emissionswerte auf und sind in der Regel nicht an den Investitions- oder Produktionsentscheidungen beteiligt. Da aber die soziale Dimension in den Nachhaltigkeitsdebatten zunehmend verdrängt wurde, fühlen sich viele Arbeiter abgehängt. Kommt nun eine ADR und AFD und deutet die ökologische Transformation als Anschlag auf die „Normalität“ der Arbeiterklasse, finde ihr Angebot Anklang. Hinzu kommt, wer sozial und finanziell kaum abgesichert ist, plant von Monat zu Monat und befasst sich mit dem unmittelbar Relevantem. Zeit und Ressourcen, um sich mit der Energiewende oder Umweltgefahren auseinanderzusetzen, haben in erster Linie jene, deren Einkommen gesichert ist, so Dörre. Ein naheliegender Ansatz, um dieser Dynamik entgegenzuwirken, wäre die ungleiche Gewinnverteilung beispielsweise in der Autoindustrie offenzulegen. Während Arbeiter unter der Inflation und Energiekrise litten, verzeichneten die Unternehmen im Krisenherbst 2022 durch den SUV-Boom ein „Traumquartal“, von dem vor allem Aktionäre profitierten.
Der Wirtschafts- und Europawissenschaftler Jasper Praet aus Gent hingegen sieht einen breiteren Konsens gegen Klimapolitik. Mittlerweile würden auch Liberale und Christdemokraten vor Umwelt- und Klimamaßnahmen warnen, weil sie befürchten würden ihre Stammwähler aus der Landwirtschaft und dem Unternehmertum zu verlieren.In einem Gespräch mit dem Wort-Journalisten Diego Velazquez vermutet Praet außerdem, dass über das Bashing von Umweltschutzmaßnahmen ein allgemeiner, diffuser Frust über die politische Lage zum Ausdruck gebracht wird.
Ein Bruch mit der Klimapolitik ist in Luxemburg derzeit noch nicht konsensfähig. Premierminister Luc Frieden betonte in seiner diesjährigen Rede zur Lage der Nation: „Unsere soziale Kohäsion, unsere wirtschaftliche Zukunft und der Klimawandel müssen täglich in unsere Überlegungen und Handlungen einfließen.“ 2,5 Milliarden Euro würden in die Umsetzung des Nationalen Energie- und Klimaplans investiert werden. Insbesondere Photovoltaikanlagen sollten gefördert werden. Und die jüngere Generation von CSV-Politikern scheint sich bislang nicht am Öko-Bashing zu beteiligen. Der 37-jährige Bürgermeister Fréd Ternes hat in seiner Gemeinde Niederanven Photovoltaikanlagen bei Neubauten verpflichtend gemacht. Ende Oktober wurde dort zudem ein Windpark beschlossen, der über 31.500 Personen mit Energie versorgen soll. Dass Klimaschutz auf europäischer Ebene weiterhin Zuspruch findet, veranschaulicht eine Umfrage des Jacques-Delors-Zentrums: Eine Mehrheit der Bürger in West- und Osteuropa wünscht sich eine ambitioniertere Klimapolitik. Allerdings fürchten sich laut Umweltbundesamt zugleich 40 Prozent vor ökonomischen Verlusten.