Am 1. Januar 2004 wird das Lëtzebuerger Land sein 50-jähriges Bestehen feiern. Eine Gelegenheit, einmal einen Blick auf ein halbes Jahrhundert kulturpolitische Land-Artikel, die mit Bibliotheken zu tun haben, zu werfen. Seit den 1980-er Jahren hat sich der Stellenwert der Kultur allgemein im Lande deutlich gesteigert. Dieser Trend ist auch im Land unverkennbar. Niemand würde heutzutage mehr wagen, die Existenz eines Kulturministeriums in Frage stellen. Naja, jedenfalls nicht bis zur nächsten Wirtschaftskrise. Mit Anti-Heile-Welt-Artikeln, kleinen Meisterwerken, haben Land-Mitarbeiter immer wieder versucht, den richtigen Leuten im richtigen Moment den berühmten Floh ins Ohr zu setzen und sie nach obigem Motto dann schließlich zum Handeln zu bewegen. Eine Genugtuung, die dann zwar oft noch Jahre oder Jahrzehnte bis zur Umsetzung brauchte. Hier kommt nun die große Ausgrabung. Die Geister der Vergangenheit tauchen wieder auf. In geballter Ladung. Bei dem üblichen luxemburgischen Kurzzeitgedächtnis unbedingt notwendig hervorzukramen. Denn es gibt fast nichts, was nicht schon einmal geschrieben wurde. Immer wieder Déjà-vu-Gefühle. Wir zitieren, paraphrasieren, resümieren und kommentieren...
Bibliotheken in der Luxemburger Kultur
1955 schrieb Joseph Hess: "Es gibt Stämme, die Bücher nicht einmal vom Hörensagen kennen, und doch gedeihen deren Kamele vorzüglich." (15.4.1955/S.8) Hätte Luxemburg bloß wenigstens Kamele! Wir könnten unsere Kultur an ihnen messen. Eigentlich kaufen wir ja bereits mit unseren enormen Kulturbudgets einige Exemplare im Ausland, die dann zur allgemeinen Volksbelustigung über unsere großherzoglichen Wiesen spazieren. Die einheimische Kuhsprache ist ihnen allerdings oft nicht bekannt. 1957 konnte noch jeder Luxemburger "sich in den Bibliotheken des Volksbildungsvereines, in den Pfarr- und Schulbibliotheken, in den vielen, über das ganze Land verbreiteten [kommerziellen] Leihbibliotheken Bücher zu günstigen Bedingungen verschaffen." (6.9.1957/S.3+8). Heute nur mehr ein nostalgischer Gedanke an "bessere" Zeiten. Oder andere Zeiten, andere Sitten? Der Brauch des Lesens, einer Bibliothekskultur, einer vergessenen Wissensgesellschaft? Erst Anfang 1996 begann hierzulande, laut zahlreichen Land-Artikeln, die Informationsgesellschaft. Die Intellektuellen bedrohte bereits sehr früh die anbrechende "geistige Dürre" (10.4.1959/S.1) durch das Verschwinden der kleinen Bibliotheken und das mangelnde Interesse an wissenschaftlichen Bibliotheken. Der berühmte Historiker Paul Weber behauptete von der nationalen Bibliotheksgeschichte: "Es ist wie so manches, je nach dem Jahrhundert und dem Ort, ein Wechsel von Glorie und Dekadenz, von Kultur und verbauerter Stumpfheit." (3.9.1954/S.9+11). Wenden wir uns einigen Bibliothekstypen zu...
Öffentliche Bibliotheken
Auch hierzulande Gemeindebibliotheken genannt. 1959 - es existierten damals vier kommunale Bibliotheken im Großherzogtum (Esch/ Alzette, Düdelingen, Differdingen, Diekirch) - meinte Roger Krieps (11.12.1959/S.5), dass die Nationalbibliothek als öffentliche Bibliothek versagt hätte und dass es an der Zeit war, wie in Esch/Alzette, in Luxemburg eine Stadtbibliothek zu gründen. Die von Krieps vorgeschlagene Übernahme des Unterhaltungsbestandes wurde schließlich bei der Gründung der Bibliothèque municipale 1968 berücksichtigt. Eine oft vergessene, versteckte, aber sehr aktive Stadtbibliothek, die im Centre Hamilius aus allen Nähten platzend, übrigens in ein paar Jahren in das heutige Ciné Cité umziehen wird, und, laut Versprechungen, sich zu der modernsten öffentlichen Bibliothek nach nordamerikanischem Vorbild mausern soll. Farbenfrohe Ausstattung, Pflanzen, Wasserfall, Sofas, supermoderne Kinderabteilung, Cyber- und Lesecafé, Internetstuff, Mehrzweckraum... endlich eine moderne "Public Library", wie sie seit Jahrzehnten im Ausland existiert. Und so etwas in Luxemburg? Kaum zu glauben. Man darf gespannt sein, ob und wie sich diese Bibliothek nach dem Wegziehen der Nationalbibliothek auf den Kirchberg zur nationalen öffentlichen Modellbibliothek (s. Artikel vom 22.6.2001/S.14-15), optimal im Stadtzentrum liegend, entwickeln wird. Der berühmte "politische Willen" im städtischen Gemeinderat wird darüber entscheiden. Auch die Stadtbibliothek Düdelingen soll aus ihrer momentanen Rattenlochbehausung, in die sie nach jahrzehntelanger Verkleinerungs- und Abschiebungspolitik einer ehemaligen Volksbildungspartei hineinmanövriert wurde, laut Plan im Oktober 2002 in ein größeres Lokal, ein ehemaliges Malergeschäft, umziehen. Trotz äußerst vielversprechender Ausstattung wird die Verschachtelung dieser Bibliothek an einer personalintensiven Bibliothekspolitik nicht vorbeiführen können. Was sich die Gemeindeväter allerdings mit einer Umbenennung in "Bibliothèque régionale" gedacht haben, wobei Düdelingen die kleinste Stadtbibliothek der Minetteregion darstellt, bleibt ein Rätsel. Wenigstens ist in beiden Bibliotheken endlich Platz für die kulturelle Animation, eine wichtige, aber gänzlich ignorierte Mission öffentlicher Bibliotheken, die zur politisch weit propagierten Luxemburger Mischkultur endlich einen effizienten Beitrag leisten kann. Ebenfalls ignoriert wird noch heute die Tatsache, dass Bibliotheken auch Non-Book-Materialen, wie z.B. audiovisuelle Medien, in ihren Beständen besitzen könnten. Raymond Weber brachte bereits 1981 zum ersten Mal die öffentlichen Bibliotheken als lokale und regionale dynamische Kulturzentren mit angegliederten Museen und Kinoräumen ins Gespräch (13.2.1981/S.8-9). Videos, CDs, Ludotheken, regelmäßige Autorenlesungen, Leseclubs, Filmvorführungen, kulturelle Animation... Es ist der erste seriöse und moderne Land-Artikel über Bibliotheken und deren Eingliederung in ein gesamtkulturelles Konzept. 20 Jahre später erscheint dann Guy Linsters Artikel (1.6.2001/S.14-15) über das in Frankreich sehr erfolgreiche Modell der "bibliothèques de proximité", welche netzartig über das ganze Land verbreitet wären, durch ein Bibliotheksgesetz abgesichert.
Bibliotheksgesetz und Zentralstelle
Über die Möglichkeiten eines Bibliotheksgesetzes berichtete erstmals ausführlich der Autor selbst (19.10.2001/S.13-14), um dann gleichzeitig eine dazugehörende nationale Zentralstelle für Bibliotheken zu fordern. Er war aber nicht der erste; 1990 bemerkte bereits Jul Christophory, außer Nationalbibliotheksdirektor auch Gründer des ersten Luxemburger Bibliothekarvereins (1991), in einem Land-Artikel (16.11.1990/S.9): "Im Kulturministerium gibt es anders als in den Nachbarländern, keine Abteilung, die sich einzig und allein mit den öffentlichen Bibliotheken beschäftigen würde." Danach waren es sowohl Claude Weber (13.4.2001/ S.12-13), wie auch Guy Linster (1.6.2001/S.14-15), wiederum der Autor (22.6.2001/S.14-15) und Henri Lutgen (14.12.2001/S.17-18+20), die - alle sind sich einig - der Einrichtung einer solchen Hilfsinstitution, einer Bibliothek für Bibliotheken, ein hohes Maß an Notwendigkeit zuordneten. Eine Frage müsste jedoch vorerst ein für allemal geklärt werden: Welches Ministerium ist überhaupt für öffentliche Bibliotheken zuständig? Kultur-, Erziehungs- oder Innenministerium? Irgendeine staatliche Stelle muss heran! Und nicht nur sporadisch, nach Laune oder auf bestimmten politisch genehmen Gebieten. Die kommunale Initiative hat schließlich, wie schon 1928 bemerkt, versagt. Normalerweise spiegelt eine Gemeindebibliothek (in zweiter Linie deren Lage und Ausstattung), den örtlichen Stellenwert in Sachen Kultur wider, weswegen es wohl im Großherzogtum nur so viele Gemeindebibliotheken gibt, wie im ganzen Raum Longwy zusammen. Nämlich sechs. D.h. für Luxemburg: eine kommunale Bibliothek für 72.000 Einwohner! Es war einmal eine "Klierfer Resolutioun" der Luxemburger Schriftsteller vom 6.10.1991, die Unterstützung bei der Gründung von Gemeindebibliotheken (18.10. 1991/S.17-18) bieten sollte. Mehr hörte man nicht davon. Carlo Hury zitierte 1958 Fritz Milkau (8.8.1958/ S.3+6): "Die Bibliotheken sind die Stiefkinder unter den modernen Kultureinrichtungen." Noch heute sind sie es. Die Bibliothekslandschaft Luxemburg ist hoffnungslos unterentwickelt (30.11.2001/S.11). Daran besteht gar kein Zweifel. Doch glücklicherweise bezieht das Großherzogtum Entwicklungshilfe: Leader sorgte bereits für die Gründung von zwei öffentlichen Bibliotheken. "Aber warum brauchen wir eine Bibliothek? Wir haben ja den Bücherbus!", ist ein oft schnell gebrauchter Ausspruch unserer Volksvertreter. Es stellt sich dann die Frage: Ist dies ein Produkt geistiger Kurzarbeit oder unfreiwilliger Ignoranz?
Bücherbus
Eines wollen wir sofort klarstellen: Die vom Bücherbusteam geleistete Arbeit ist tadellos! Nur beschäftigen wir uns nicht mit deren Arbeit, sondern mit der Institution! Das gesellschaftliche Bild der Bibliotheken, und auch des Bücherbusses, ist in Luxemburg romantisch verklärt und ihr Image bedarf unbedingt einer Generalrevision. Auch Land-Artikel waren in der Vergangenheit leider schon der Versuchung der simplen Lobhudelei zum Opfer gefallen (29.10.1982/S.8-9). Resümieren wir nochmals, warum der Bücherbus eine Standbibliothek nicht ersetzen kann und als bibliothekarisches Instrument ein Auslaufmodell darstellt: 1) Die Fahrbibliothek erreicht niemals die ganze Bevölkerung, 2) sie bietet keinen Platz und nicht die Zeit, 3) das Medium Internet und die Institution Fahrbibliothek sind zwei getrennte Welten, die, wegen Mangel an technischen Möglichkeiten, Raum und Zeit, nicht miteinander kombinierbar sind, 4) mittlerweile ist das Hauptargument der Kostenersparnis bei den Unterhaltskosten einer Fahrbibliothek im Gegensatz zur Standbibliothek durch eine rationell ausgeklügelte Bibliothekspolitik (siehe Lothringen) nicht mehr zu halten, und 5) ist die nationale Bevölkerungsdichte so hoch, dass der Bücherbus leicht durch Standbibliotheken ersetzbar wäre. Aber keine Angst: die Bücherbus-Fans können sich noch mindestens 20 bis 30 Jahre an seiner Präsenz erfreuen. So viel Zeit erfordert nämlich normalerweise die Schaffung eines effizienten Bibliotheksnetzes. Spätestens wenn dieser lebende Anachronismus als einziges staatliches Bibliothekshilfsmittel seine 75 Jahre feiert, ist dies ein Zeichen für die hoffnungsloseste Rückständigkeit auf bibliothekarischer Ebene in der ganzen EU. Sogar in einer erweiterten. Wir vergleichen: 1905 fährt die erste Fahrbibliothek in den USA, England 1931 (Bücherkarren seit 1859), Deutschland (Saarland) 1927, Frankreich 1933, Belgien 1966, Luxemburg 1982. Reichlich spät. Zu einem Zeitpunkt, als die ersten, anfingen über die Abschaffung dieser Institution nachzudenken. Das ist Fakt! Und vielleicht trägt das Unwort "Pisa-Studie", zur Erleuchtung bei: Wo, bitte sehr,
Staatliche Kulturinstitute
Es gibt deren drei, die im Land des öfteren Gegenstand eines Artikels waren. Fangen wir mit den zwei kleinsten an: das Centre national de littérature (CNL) in Mersch und das Centre national de l'Audiovisuel (CNA) in Düdelingen. Letzeres wurde am Anfang als nationale "Mediathek" (21.8.1987/S.3) verkauft; es wurde ein etwas vergessenes, aber produktives Archiv daraus gemacht, das inzwischen auch, wie fast alle Kulturinstitute, an Platzmangel leidet (29.5.1998/S.5), jedoch mit Aussicht auf ein neues Gebäude (9.2.2001/S.5). Das nationale Literaturzentrum (CNL) in Mersch stellt seit seiner Inbetriebnahme eine nie dagewesene Erfolgsgeschichte dar. Charles Berrend zählte bei seinen Überlegungen zur Kulturökonomie für das Jahr 2000 (25.4.1986/S.8-9) acht Punkte auf: 1) ein Institut für Zeitgeschichte, 2) ein Literaturarchiv, 3) ein audiovisuelles Institut, 4) ein Orchester und eine Schauspieltruppe, 5) eine Luxemburger Enzyklopädie, 6) ein nationales Radio- und Fernsehprogramm, 7) ein verbessertes Netz des regionalen Kulturangebots (kulturelle Animation in festen Zentren in jeder Region) und 8) eine verbesserte Gesetzgebung für unsere Kulturschaffenden. Ein CNL und ein CNA befanden sich also auch darunter. Die Gründung eines Literaturarchivs wurde von vielen Seiten herbeigesehnt und unterstützt. Ein Kompetenzgerangel zwischen Nationalbibliothek (BNL) und neu zu gründendem CNL konnte bereits im Vorfeld entschärft werden (30.10.1987/S.9). Am Anfang spekulierte man noch über die Angliederung des CNL, wie in anderen Ländern üblich, an die Nationalbibliothek (13.10.1995/S.4). Dazu kam es nicht. Glücklicherweise, wie man im Nachhinein feststellen kann, was die Aktivität und Produktivität anbelangt, wenn auch mit einigen unangenehmen Folgen für die Luxemburgensia-Abteilung der BNL, die zur reinen Verwaltungsstelle mit chronischer Personalunterbesetzung degradiert wurde. Der exzellent ausgewählte Standort, das Servais-Haus in Mersch (9.2.1990/S.4), eine hilfsbereite Stiftung (15.6.1990/S.9 [&] 8.2.1996/ S.4)), ein interessantes Angebot an kommentierten Neuauflagen Luxemburger Klassiker (4.10.1991/ S.15), ein perfekt eingespieltes Mitarbeiterteam, u.a. lassen keinen Zweifel an der Effizienz dieses Vorzeigeinstituts zu. Zum Brechen gefüllte Veranstaltungsräume, Platzmangel für zukünftige Nachlässe, etc. zwingen dieses Opfer seines eigenen Erfolgs schon wieder zur Erweiterung. Und dann wäre da ja noch das Gegenbeispiel, die nationale Skandaleinrichtung der Superlative:
Nationalbibliothek
Die Beziehungen zwischen der BNL und dem Land waren immer schon sehr eng. Ein so großes Kulturinstitut, eine National- und Universitätsbibliothek in einem, die Aufbewahrungsstätte unseres schriftlichen Kulturgutes, litt immer wieder an extrem grober Vernachlässigung durch die Politik und die Luxemburger Gesellschaft überhaupt. Der einzige Weg zum Wachrütteln war und blieb leider immer die Presse. Aber nun der Reihe nach: Alles begann mit harmlosen Artikeln über die Echternacher Buchmalerei von Robert Schumacher (30.9. 1955/S.3 [&] 21.12.1956/S.10-11 [&] 12.7.1963/S.10). Dann provozierte Carlo Hury mit einem politisch korrekten Artikel (8.8.1958/S.3+6) die Reaktion von Robert Bruch persönlich (15.8.1958/S.3): Dieser Artikel "sei Propaganda um potemkinsche Dörfer und in Wirklichkeit gebe es in Westeuropa kein Kulturzentrum mit ähnlich mangelhafter wissenschaftlicher Dokumentation mit ähnlich ungünstigen Forschungsverhältnissen." Die BNL, im Weltkrieg von den Nazis in einer ehemaligen, immer baufälliger werdenden Bank am Boulevard Royal untergebracht, erging es immer schlechter und es wurde in einem Leserbrief nachgefragt, warum "die Hütung unseres geistigen, kulturellen und wissenschaftlichen Gutes nicht mehr Aufmerksamkeit und eine schleunigere Behandlung verdient hätte" (21.11.1958/S.5). Das Drama ging weiter: dass "Schriften, deren Wert in die Millionen geht, in feuchten Kellerräumen vermodern müssen", (10.4.1959/S.1) sei keine schöne Angelegenheit. Für Neuanschaffungen stand der BNL nicht mehr Geld zur Verfügung als dem Bibliothekar der Armee! Man sprach vom "Bibliothekar, der mit Feuchtigkeit und Spinngeweben, mit Holzwurm, abblätternden Tapeten und zerbröckelndem Gips seit Jahren einen verzweifelten Kampf führt" (25.9.1959/S.1). Kritisiert wurde auch die Tatsache, dass die BNL sich als öffentliche Bibliothek ausgeben und "als Reservoir für Unterhaltungsliteratur" (bis 1968) herhalten müsse (13.10.1961/S.1-2). Schließlich war die von den Nazis gegründete öffentliche Stadtbibliothek Luxemburg (samt Zweigstelle in Bonneweg) gleich 1945 aufgelöst worden. An eine Nachfolgeeinrichtung dachte damals noch keiner. Die Perspektive des Umzugs der BNL in das heutige Gebäude beruhigte die Gemüter, bis unzumutbare Verzögerungen schließlich zum Eklat führten. Am 5.12.1969 (S.3-4) erschien der furiose Artikel von Roger Krieps zum Skandal der Nationalbibliothek. Ein einmaliges Zeitdokument politischen Versagens. Lernen wir daraus! Seit Jahrzehnten würden "Interesselosigkeit, Raubbau, Vandalismus und Verfall am geistigen, historischen, künstlerischen und natürlichen Patriomonium" nagen. Die "jahrzehntelange Verwahrlosung der Nationalbibliothek, die zu der jetzigen ausweglosen Lage führte und das gesamte Personal, den Direktor an der Spitze, zu einer offenen Rebellion veranlasste," sollte "als ein ernsthaftes Mahnzeichen der schwelenden Kulturkrise verstanden" werden. Unter anderem der erste Sitzstreik in der Geschichte des Luxemburger Staates! Bis jetzt hätten nur Fremdherrschaften für das Wohlergehen der BNL gesorgt: Gründung durch die Franzosen, längst überfälliger Umzug durch die Nazis... Der absolut lesenswerte Artikel birgt knallharte Fakten. Hochinteressant ist der damalige Umstand, dass die BNL auf vier verschiedene Gebäude aufgeteilt war - heute sind es drei. Und der Hit: ein Notruf des beliebten Direktors Joseph Goedert an die Unesco! Sie möge bitte Luxemburg eine Finanzhilfe für die Rettung seiner Nationalbibliothek gewähren, wozu das Land nicht im Stande wäre. "Ist unser stolzer Staat wirklich auf die Stufe eines armen Entwicklungslandes abgesunken?" 1973 wurde die BNL, wenn auch noch immer nicht alles abgeschlossen war, in den heutigen Räumlichkeiten eröffnet (5.1.1973/S.3). Aber dieses ehemalige Schulgebäude erwies sich schnell als zu klein. 1990 sagte Jul Christophory, dass die BNL kaum in der Lage wäre, sämtliche Neuerscheinungen säuberlich zu katalogisieren (16.11.1990/S.9), die Lagerungskapazitäten knapp werden würden und der Personalmangel offenkundig wäre (s. Artikel 19.4.2002/S.23). Schon 1990! "Der Mut fehlt, eine radikale Lösung zu suchen." Die wurde nun doch vor kurzem (2002!) endlich auf dem Kirchberg gefunden. Gott sei Dank! Eine Bibliothek, ein Gebäude. Kein Splitting (1.3.2002/S.5)! Zum Wohle der Benutzer. Ein Sieg der Vernunft! Ein vorläufiges Happy End. Danke! 1991 wurde auch über ein siebenstöckiges Büchersilo nachgedacht und eventuell einen Lesegarten (29.11.1991/S.5). Die Autobahnen der Information waren 1994 noch immer Feldwege (5.8.1994/ S.7). Trotz heutiger Straßen, sorgen die Mautstellen des Urheberrechts für schwere Behinderungen. 1994 war die BNL bereits an der "obersten Grenze ihrer Möglichkeiten angelangt". Spekulationen über eventuelle Ausweichstandorte wurden diskutiert: z.B. die Rotunden am Bahnhof (19.5.1995/S.6). Ein bis heute aus bibliothekarischer Sicht absolut absurdes Projekt. Am 1.10.1996 verließ ein frustrierter Direktor Jul Christophory die BNL, nachdem er bereits 1994 in einem Verzweifelungsakt, gepaart mit britischem Humor, am Nationalfeiertag die kleine schwarze Flagge mitgehisst hatte. Es kam ein neuer Direktor, Jean-Claude Müller (25.4.1997/ S.5), der, auf welche Art auch immer, den zweiten großen Bibliotheksskandal der Luxemburger Geschichte heraufbeschwörte. Da diese Affäre noch immer nicht komplett abgeschlossen ist, verweisen wir auf den Artikel von Henri Wehenkel (4.6.1999/S11), der, außer einer objektiven Abhandlung über die internen Probleme, auch die absolute Gleichgültigkeit der Politik als Ursache der BNL-Krise anspricht. Es ist auch die Luxemburger Gesellschaft allgemein, auch alle Benutzer der BNL, die, solange die Fassade eines halbwegs funktionierenden Betriebes aufrecht erhalten bleibt, sich leider einen Dreck um die BNL scheren. Warum müssen immer wieder Skandale, Fernsehauftritte und bitterböse Presseartikel dieses Land aus seiner kulturellen Lethargie reißen? Im Ausland hätte es längst einen Aufschrei der Empörung in der Bevölkerung gegeben. Aber die Luxemburger sind nun mal an schlechte Bibliotheken gewöhnt und halten diesen Zustand für normal. Der Autor lädt die politische Klasse dazu ein, sich einmal die BNL nicht nur anzuschauen, sondern sie auch zu benutzen. Sie wird sich über manches wundern... Widerlich ist immer wieder die Tatsache, dass extremistische Regime Bibliotheken systematisch unterstützen (Missbrauch zu Propagandazwecken eingeschlossen). Das ist einfach ekelerregend! Wo bleiben die Demokraten? Einen Verdacht auf systematische Volksverdummungspolitik schließt der Autor aus. Er hat doch noch Vertrauen in die edlen Absichten unserer Volksvertreter. Ab 2001 (30.3.2001/S.5) begann dann im Land die große Serie über Bibliotheken, und auch über die BNL, an deren Inhalte sich die aktuellen Land-Leser bestimmt noch erinnern. Wir zählen auf: Claude Weber (13.4.2001/S.12-13 [&] 8.6.2001/S.15 [&] 24.8.2001/S.11-12) und Romain Hilgert (21.9.2001/S.6-7). Fast 50 Jahre Land-Artikeln. Und was lernen wir daraus?
Einige Lehren
- Grundlehre: Wiederholen Sie bitte nicht dieselben Fehler!
- Besuchen Sie ab und zu einmal eine Bibliothek. Die Welt der Bibliotheken hat sich seit 1945 doch irgendwie verändert. Auch in Luxemburg. Wussten Sie das?
- Hat die nationale Bibliothekspolitik versagt? Nein! Weil es noch keine gibt! Also müsste endlich eine erarbeitet werden. Nur hat bis jetzt keine Partei es fertiggebracht, ernsthaft Bibliotheken in ihr Programm aufzunehmen. Zwischen 1960 und 1990 wurde Luxemburg quasi "entbibliothekisiert" ; jetzt heißt es unbedingt: Wiedergutmachung. Sonst bleibt die Informationsgesellschaft in Luxemburg ohne Information.
- Die allgemeine Geringschätzung in vielerlei Hinsichten der Institution "Bibliothek" hierzulande hat spätestens seit der Pisa-Studie ausgedient. Das Gewinnerland Finnland ist ein wahres Bibliotheksland, samt Bibliotheksgesetz.
- Stichwort "Leseförderung", damit die Luxemburger Schüler (wieder Pisa) endlich lesen lernen: Die letzten staatlichen Kampagnen stammen aus dem Jahre 1987. Der Impakt auf die Bibliotheken war, wenn immerhin vorgesehen, gleich null. Verschiedene dynamische Lesevereine (15.11.1996/S.4) versuchen seitdem in die leere Bresche zu springen. Das sind: Initiativ Freed um Liesen und Liesen zu Déifferdang. Mehr nicht.
- Es ist immer wieder pervers, dass in Zeiten der vollen Kassen nur bedingt und dann nur in bereits bestehende Bibliotheken investiert wird, mit dem Argument, die Luxemburger wären reich genug, sich alle Bücher selbst kaufen zu können, um bei der nächsten Rezession wie immer zuerst die Budgets der Institution Bibliothek zu beschneiden. Eine Absurdität, die bei gebildeten und reichen Bürgern, die sich jedesmal während eines Studiums über die Landesgrenzen hinaus in ausländische Bibliotheken flüchten müssen, da die wissenschaftliche Wüste des Großherzogtums noch nicht einmal über vernünftige Oasen verfügt, ein müdes, verzweifeltes Lächeln verursacht. Richtig laut lachen tun nur ausländische Besucher, wenn Luxemburg, auch noch voller Stolz, mit den aktuellen archaischen Strukturen, herumprahlen würde. Wäre es bloß nur ein Witz ...
- Im berühmten Kulturjahr 1995 war Literatur leider nur eine Randerscheinung. Bibliotheken kannte keiner. Wie Museen sind auch Bibliotheken keine reine Sammlungen an Ausstellungsobjekten. Bitte beachten: Bibliotheken sind keine reine Ausleihmaschinen, die nur Unterhaltungsliteratur führen! Wird dieses Land dies noch in diesem Jahrhundert begreifen?
- Nationalbibliothek: Der eventuelle Umzug ins ehemalige Generalsekretariat der EU könnte ein doch noch gelungenes Happy End einer viele Opfer (vermodertes Kulturgut und Verschleiß an Bibliothekaren) fordernden Geschichte sein, wenn die Raumbedürfnisse der Nationalbibliothek nicht nur auf 30, sondern auf mindestens 100 Jahre, wie bei der Deutschen Nationalbibliothek, geplant würden. So etwas nennt sich dann nicht nur politische "Einsicht", sondern auch ungewöhnlich weise "Weitsicht".