Öffentliche Bibliotheken

Zum Gesetzesvorschlag für öffentliche Bibliotheken

d'Lëtzebuerger Land du 11.09.2003

"Quand on nous demandera compte de notre gestion gouvernementale, nous montrerons nos bibliothèques." Es war Pierre Frieden, der mit diesen Worten den französischen Minister Anatole de Monzie am 29. März 1955 (Sp. 1312) in der Abgeordnetenkammer zitierte. Noch zwei Jahre zuvor, am 19. März 1953 (Sp. 1187), erinnerte Lucien Koenig vergeblich an Vorkriegsgesetzesvorschläge wie die Initiative von Jacques Thilmany (N°49/ 16.02.1928). Aber ein neues Jahrhundert, ein neuer Versuch: am 1. Juli 2003 wurde Gesetzesvorschlag Nr. 5172 vom LSAP-Abgeordneten Marc Zanussi deponiert, die Proposition de loi portant organisation d'un réseau de bibliothèques communales.

Zanussis Rahmengesetz soll helfen, den schändlichen Pisa-Fleck zu entfernen. Es ist voll gespickt mit neuen Ideen. Sogar das Medium Buch findet seinen Platz, und das nachdem bereits seit ca. 1908 das Ende des Buches durch Kino und neue Freizeitaktivitäten vorausgesagt wurde. Bibliothekswissenschaftliche Neuerungen sind eingeplant, ganz im Sinne (Konsens!) des im Dezember 2002 erschienenen Gemeinschaftswerkes der Gemeindebibliothekare, das Positionspapier der öffentlichen Bibliotheken: Zentralbibliothek mit Diplombibliothekar, Ausbildungskurse für Nicht-Bibliothekare und das Prinzip, dass jede Kommune über eine öffentliche Bibliothek verfügen muss/sollte. Finnländische Zustände in nur fünf Jahren - mindestens zehn Jahre sind realistischer. Zur psychologischen Aufbruchsstimmung gehört ein neuer Name: SBI - Service de bibliothèque et d'information. Bibliotheks- und Informationsdienst(leistung), die deutsche Übersetzung klingt nicht gerade überzeugend - die Suche nach neuen Bezeichnungen, wie z.B. "Mediothek" (franz.: médiathèque), kann weitergehen. Vor allem wurde aber eine aktivere Rolle des Staates eingebaut, ein Muss für jede erfolgreiche nationale Bibliothekspolitik auf diesem Globus.

Der wichtigste Punkt überhaupt: nicht nur die acht aktuellen öffentlichen Bibliotheken, d.h. sieben Kommunen mit sechs Gemeindebibliotheken und zwei Vereinsbibliotheken (Ulflingen und Bonneweg), werden gefördert, sondern auch neue dazu gegründet! Dies ist der Knackpunkt, an dem sämtliche Bibliotheksförderungsversuche bisher kläglich gescheitert sind. Die Unterstützung der wenigen bestehenden Bibliotheken nützt nicht viel, die Gründung neuer muss gefördert werden!

Jeder Anfang einer Bibliothekspolitik besteht aus zwei Hauptbestandteilen: erstens aus einer Strategie und zweitens Standards. Beide Komponnten müssen in jedes ordentliche Bibliotheksgesetz hinein. Zanussis Werk ist eindeutig eine Grundlage mit viel Spielraum für weitere Diskussionen. Ein mögliches Todesurteil für Zanussis Vorschlag kann im Vorfeld entschärft werden: Gemeindepersonal zu 50 Prozent vom Staat gefördert? - Warum nicht die Personalkosten komplett ausklammern und deshalb z.B. Bibliotheksmöbel zu 100 Prozent vom Staat auf unbestimmte Dauer "ausleihen"?

Eine politische Auseinandersetzung kann man sich jedenfalls bereits sparen: das Phänomen "gemeinsame Schul- und Gemeindebibliothek" hat nie funktioniert und wird auch in Zukunft nicht, da Personal, Räumlichkeiten, Öffnungszeiten und schlussendlich die Zielgruppen unvereinbar zwischen diesen zwei Bibliothekstypen sind! Die Geschichte der "Volksbibliotheken", von 1889 bis 1918 in Luxemburg zu beobachten, ist ein abschreckendes Beispiel: Anfangseuphorie, schwieriges Lösen von der Institution Schule, unzureichende kommunale Unterstützung, Leserschwund, Stopp der staatlichen Subsidien, Ende. Diese damals wichtigen Geldressourcen hätten sinnvoller für andere Bibliotheken eingesetzt werden können. Lernen wir doch bitte dieses eine Mal aus unserer Geschichte - wiederholen wir nicht dieselben Fehler! Und unterstützen wir parteiübergreifend weitere lobenswerte Vorhaben wie Zanussis Vorschlag. Die Bibliothekare und schließlich unser Land werden ihnen danken.

 

 

 

Jean-Marie Reding
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