Pierre Gramegna (DP) rudert zurück. Von seiner „Revolution“ in Sachen Haushaltsplanung bleibt fünf Monate nach Amtsantritt bestenfalls ein Aufstand übrig. Hatte er im März noch vollmundig bekundet, der Haushalt 2015 werde der erste einer neuen Generation, musste er vergangene Woche im Parlament einräumen, „eine komplette Änderung der Haushaltsmethode nach Zielen, das kann nicht in sechs Monaten gemacht werden“. Für 2015 sollten demnach einstweilen einige der über 4 000 Artikel im Haushaltsgesetz zusammengelegt werden.
Fragt sich, wofür eigentlich das Beraterunternehmen McKinsey engagiert wurde, und was eigentlich die 20 Arbeitsgruppen von bis zu jeweils 20 Leuten machen, die, wie der Finanzminister noch vergangene Woche sagte, am Haushalt der neuen Generation arbeiteten. Eine „Spending review“. Die könne man sofort durchziehen, so Gramegna vergangene Woche. Der Wirtschaftsanglizismus klingt erst einmal nach fundamentalen Überlegungen. Darüber, ob man durch die Haushaltsausgaben die politischen Ziele tatsächlich auch erreichen kann. Die Wohnungsbaupolitik wäre ein einleuchtendes Beispiel für einen Bereich, der eine solche Review nötig hätte. Wohnraum ist teuer und knapp – aber tragen die Anreize, die der Staat durch Subventionen und Beihilfen gibt, nicht dazu bei, dass er noch teuerer und knapper wird?
Bei der Spending review von Pierre Gramegna dürfte es allerdings weniger um einen solch fundamentalen Denkprozess handeln, als um die Suche nach direkten Einsparmöglichkeiten. Ganz konkret werden 200 Millionen Euro gesucht; das ist die Tranche, die laut Stabilitätsprogramm für 2015 veranschlagt ist, wenn bis 2018 insgesamt 1,04 Milliarden Euro eingespart werden sollen und Luxemburg 2016, ein Jahr nach dem E-Handel-Mehrwertsteuerschock, bereits wieder das von der EU gesteckte Haushaltsziel von einem strukturellen Überschuss von 0,5 Prozent erreichen soll.
Dass Pierre Gramegna nichtsdestotrotz immer noch das Schlagwort „budget nouvelle génération“ einsetzt, um auf die aktuellen Arbeiten zu verweisen, zieht vor allem eines nach sich: allgemeine Verwirrung. Zumal die Spending review, mit viel Wohlwollen ausgedrückt, ein „dynamischer“ Prozess ist. Hatte die Regierung anfangs von zwei Phasen gesprochen – die erste davon sollte McKinsey begleiten, die zweite eine via Ausschreibungungsverfahren ermittelte Beraterfirma –, wurden daraus Anfang März, als Gramegna auf parlamentarische Fragen der Abgeordneten Serge Wilmes (CSV) und Roy Reding (ADR) antwortete, drei Phasen: erstens, die „phase de cadrage“, zweitens, die „phase d’élaboration d’initiatives“ und drittens, die „phase de mise en œuvre“.
Im dem vergangenen Freitag vorgestellten Stabilitätsprogramm (PSC) sind aus drei mittlerweile vier Phasen geworden und es scheint so, als ob der Finanzminister zwischen Anfang März und Ende April entdeckt hat, dass er Parlament und Öffentlichkeit Rechenschaft für sein Handeln schuldig ist: Zwischen Juni und September soll es eine „phase de décision et de consulation“ geben. „Les propositions élaborées par les groupes de travail devront dépasser le besoin d’économies nécessaires pour la consolidation budgétaire, de manière à laisser au Gouvernement une marge de flexibilité par rapport aux choix des mesures à retenir lors de la phase de décision. De cette manière le processus d’élaboration de pistes d’économies (au niveau des groupes de travail) devient un excercice technique, sans tabou politique. Le moment politique entrera dans la 3e phase, qui est celle de décision et de consultation“, heißt es dazu erläuternd im PSC. Man werde die Sozialpartner und das Parlament konsultieren, hatte Gramegna vergangene Woche im Parlament gesagt.
Dabei riskiert ihm, auch dafür der Zeitplan ein wenig zu entgleiten. Denn obwohl die zweite Phase seit Anfang März läuft und die Ausschreibung für die Beratungsfirma vor über einem Monat anlief, ist noch immer keine ausgesucht, wie Gramegna vergangenen Freitag bestätigte. Vier bis fünf der Arbeitsgruppen, sagt Etienne Reuter, neuer Generalsekretär im Finanzministerium, haben Hilfe von einer Beratungsfirma beantragt, dabei sollen die Arbeitsgruppen bis Mitte Juni Ergebnisse liefern. Wenn die Regierung dann noch Schlussfolgerungen aus diesen Ergebnissen ziehen will, um sie mit dem Parlament und den Sozialpartnern zu diskutieren, bevor die Haushaltsvorlage über den Sommer vorbereitet wird, wird es zeitlich so eng, dass der Pfingsturlaub für die Minister ausfallen dürfte.
Das dämmert auch Pierre Gramegna, der deshalb dem Parlament vergangene Woche vorsorglich erklärte, der Haushalt der neuen Generation werde das Land noch einige Jahre beschäftigen. Dabei wissen seine Regierungskollegen und nicht zuletzt Staatsminister Xavier Bettel (DP) als früheres Mitglied der Haushaltskommission, dass die Haushaltsreform schon seit Jahren beackert wird, und die Vorarbeiten unter Finanzminister Luc Frieden weit fortgeschritten waren. Bereits 2010 hatte Frieden bei der OECD einen spezifischen Bericht beantragt, der im November 2011 unter dem Titel Budgeting in Luxembourg – Analysis and recommendations veröffentlicht wurde. Darüber hatte Frieden im gleichen Monat die parlamentarische Haushaltskommission informiert, ihr den Bericht zugestellt und laut Sitzungsprotokoll mit ihr vereinbart, eine Begleitgruppe einzurichten, um sich regelmäßig über die konkreten Aspekte der Reform auszutauschen.
Dazu kam es – auch wegen dem neuerlichen Hochkochen der EU-Schuldenkrise – zwar nicht. Dennoch gediehen die Arbeiten innerhalb des Finanzministeriums so weit, dass die Finanzgeneralinspektion (IGF) einen Gesetzesvorentwurf zur Abänderung des aktuellen Haushaltsgesetzes ausarbeitete, den das Land gesehen hat. Was die IGF ausgearbeitet hat, ist: ein Haushalt nach Programmvorgaben. Dass der Entwurf fertig in der Schublade liegt, weiß die Regierung, denn in ihrem eigenen Programm sagt sie: „Le gouvernement lancera une réforme structurelle du processus d’établissement et d’éxecution du budget, en s’inspirant en partie du rapport du Secretariat de l’OCDE de 2012 et de l’analyse interne du Ministère des Finances déjà réalisée (...).“ Da kann es schon erstaunen, dass der Finanzminister im Rahmen des „Budget nouvelle génération“, zwar auf den Erfahrungsschatz der Firma McKinsey verweist, nicht aber auf die vor bald vier Jahren angelaufenen Vorarbeiten im eigenen Haus.
Dass es auch Luc Frieden nicht gelungen war, die Empfehlungen der OECD durchzusetzen, liegt daran, dass eine Haushaltsplanung nach politischen Zielen und Programmen riskiert, vielerorts auf Widerstand zu stoßen. Das Finanzministerium hatte den OECD-Experten drei Vorgaben für die Analyse gemacht: Man brauche Instrumente, die eine strategische Haushaltsplanung ermöglichen und den veränderten Anforderungen der EU in Sachen Haushaltsplanung genügten, eine bessere Kontrolle der Haushalts der zentralen Verwaltungen durch eine bessere kurz-, mittel-, und langfristige Planung und einen stärkeren Fokus auf die Qualität der Ausgaben, die Prüfung, ob sie zielführend seien, sowie die Vereinfachung der Haushaltsaufstellung an sich.
Bereits im November 2011 hatte Frieden mit der parlamentarischen Haushaltskommission besprochen, dass „il est envisageable qu’à l’avenir le Ministre des Finances responsable du budget global de l’État fixe, après débat au sein du Gouvernement et de la Chambre des Députés, les grandes lignes budgétaires à suivre par les différents ministères“. Das allerdings käme einem Machtverlust der anderen Ressortminister gleich – Beichtstuhlrunden, in dem sie dem Finanzminister Zugeständnisse abringen können, fielen dann aus. Denn statt abertausende von Haushaltsartikeln abzusegnen, würden die Parlamentarier in Zukunft eher programmatischen Vorgaben zustimmen. Beispiel Kinderbetreuung: Für jedes Kind soll es einen Betreuungsplatz geben, könnte die Regierung beschließen und dafür eine Summe X über eine Anzahl Jahre Y ausgeben. Darüber würde das Parlament dann abstimmen, statt über das Kleinklein von Personalkosten und Posten zur Zuwendung an Kinderkrippen im Budget der zuständigen Ministerien. Das würde aber voraussetzen, dass es in den Ministerien starke Budgetabteilungen gibt, welche die jeweiligen Budgets im Sinne der Programmvorgaben verteilen würden.
Auch die mittelfristige Haushaltsplanung, welche die OECD-Experten empfahlen, mit festen Ausgabezielen, dürfte längst nicht nach jedermanns Geschmack sein, weil sie dazu führen würde, dass in guten Jahren, wenn mehr Geld in die Kassen kommt als geplant, an strengen Haushaltszielen festgehalten wird. Mancher Arbeitnehmervertreter dürfte das als krisenunabhängiges Austeritätsdiktat empfinden.
Nicht zuletzt hatten die Experten das Abschaffen der 32 Spezialfonds empfohlen, weil sie die Haushaltsprozedur untransparent machten. „There are also indications that the funds have been used to avert political pressure for additional expenditures that may arise from substantial budget surpluses, and as buffers to enable counter-cyclical budgetary policy during less favourable economic circumstances. Although perhaps understandable from the perspective of the Ministry of Finance, the protection of resources from full parliamentary scrutiny is not a defensible justification for the use of extra-budgetary funds.“ Statt der 32 Spezialfonds, so die OECD, solle ein Reservefonds eingerichtet werden, Überschüsse könnten zum Schuldenabbau eingesetzt werden. Dass der IGF, die im Hin- und Herbalancieren mit Geldern zwischen Budget und Spezialfonds sehr geübt ist, diese Empfehlung nicht gefiel, lässt sich daraus ableiten, dass sie sie in ihrem Vorentwurf nicht zurückbehielt, der insgesamt hinter den Empfehlungen der OECD zurückbleibt.
Dass Pierre Gramegna, als früherer Direktor der Handelskammer und Wirtschaftsliberaler, der im Prinzip ideologisch großen Gefallen an den Empfehlungen der OECD finden müsste, sich bei seinem Vorhaben der Haushaltsrevolution nun besonders auf die IGF stützt, die gegenüber diesen Empfehlungen Zurückhaltung übt, weil er andere führende Beamte aus dem Ministerium vergrault hat, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.
Wenn die Haushaltsreform und ihre verschiedenen, separaten Elemente – die Spending review, das Einführen einer mittelfristigen Planung mit festeren Ausgabesockeln, die Struktur des Haushalts und nicht zuletzt Haushaltsregeln und Korrekturmechanismen, wie die goldene Regel aus dem Fiskalpakt, der demnächst umgesetzt wird – nun auf der Zeitschiene und in verschiedenen Gesetzentwürfen verteilt stattfinden, könnte das zu einem Dauerreformzustand zu führen, in dem auch ausgewiesene Technokraten und „Dossiersmänner“ riskieren, den Überblick zu verlieren und die verschiedenen Elemente durcheinander zu werfen. Das verspricht dann umso spannender zu werden, wenn die Diskussion politisch wird, beispielsweise wenn die Gemeinden und Arbeitnehmervertreter anfangen, darüber nachzudenken, was die technischen und prozeduralen Änderungen für die Gemeindeautonomie oder die Sozialversicherungen bedeuten.