Ein tragisches Bild, der Clown, über den niemand mehr lachen mag. Steigern lässt sich das Motiv allenfalls mit der Vorstellung, er kämpfe gegen dieses lächerliche Bild mit weiteren Possen an. Was aber, wenn der Clown kein Clown, sondern eine US-amerikanische Familie wie aus dem Bilderbuch zu sein scheint und sich hinter der Fassade die erstickende Angst vor dem Tode verbirgt? Was, wenn jeder Witz vom Modergeruch umhüllt ist und der für amerikanische Sitcoms typische Laugh track (Publikumsgelächter) wie Hohn im Ohr klingt?
Nach Die Demonstration im Jahre 2010 hat Frank Hoffmann mit Abendschau ein weiteres Drama des gebürtigen Ungarn George Tabori verarbeitet. Ein Panoptikum an Todesmetaphern ist in dem Bühnenstück untergebracht. Zum einen ist es die Geschichte einer amerikanischen Familie: der Mann (Wolfram Koch), die Frau (Jacqueline Macaulay), der Sohn (Luc Feit) sowie der Hund Polly mit amputierter Pfote (herrlich: Ullrich Kuhlmann). Der gescheiterte Entertainer und die neurotische Frau werden eines Tages vom Tod besucht, vom eigenen Sohn herangeschleppt, dessen ungezwungene Lust am Sammeln bizarrer Tierchen und Monster die Familie in den Wahnsinn treibt. Es entwickeln sich einzelne Handlungsstränge aus dieser Ausgangsposition, wobei die Erkrankung des Mannes im Vordergrund steht. Vor allem aber liefert Abendschau eine urkomische, bitterböse und groteske Kette an Todesbildern, die sich um den stellenweise wirren dramatischen Ablauf windet.
Wichtiger als die inhaltliche und formale Deutung von Taboris Vorlage ist jedoch die umwerfende Inszenierung im Mamer Kinnéksbond. Das Hundekostüm, der skurrile Tanz des Todes (Roger Seimetz), die Videoprojektio-nen, das strukturierte Niederreißen der Kulisse: zahllose Szenen in Hoffmanns Abendschau sind Ergebnisse eines vor Fantasie sprühenden Theaterabends. Gemeinsam mit Dramaturg Andreas Wagner, Bühnenbildner Karl Kneidl und Sounddesigner René Nuss hat Hoffmann das komische Potenzial der Vorlage konsequent ausgeschöpft und so vor allem den am Ende teils wirren Handlungsstrang überbrückt. Dabei rutschen die komischen Momente niemals in den Klamauk ab, da sie stets von der Omnipräsenz des Todes in ein subtiles Licht gedrängt werden.
Obwohl dem gesamten Ensemble echte Spielfreude anzusehen ist, ragt ein Darsteller aus der Gruppe heraus: Mit Wolfram Koch hat Hoffmann auf einen fähigen Darsteller zurückgegriffen, der es vorzüglich schafft, den Zwiespalt zwischen gespielter Lebenslust und ständiger Todesparanoia zu entäußern. Koch verkörpert den „Mann“ schlichtweg genial.
Bereits die erste Todeserscheinung stilisiert er zum Momentum der völligen Haltlosigkeit. Der Tod ist gegenwärtig, abstrakt, ein Zustand. Als er jedoch körperlich in Erscheinung tritt, flüchtet der Mann in ein hilflos anmutendes materialistisches Schema und glaubt, dem Tod mit Sachgegenständen zu Hilfe kommen zu müssen. Er schenkt ihm, der sich kurz zuvor in einer bizarren Striptease-Szene entkleidet hat, seine eigenen Klamotten, Schirm und Hut. Dass er sein letztes Hemd gegeben hat und die Hosen vor dem Tode herunterlässt, ist an metaphorischer Qualität kaum zu überbieten. Der Mann hat nichts gerafft, rettet sich in hilflose Grinsefratzen. Der Tod hingegen lächelt souverän.
Dass der Entertainer seine Lage weglachen, weggrölen möchte, wird am Anfang mit dem Versuch parodiert, gemeinsam mit seiner Frau zu schweigen. Er vermag es jedoch bezeichnenderweise nur wenige Sekunden lang. Bevorzugt liefert er seine Kalauer: „Ach, Liebster, mir wird so warm um’s Herz.“ – „Dann nimm deine Brust aus der Suppe!“ Am Ende aber fleht er darum, nicht geboren worden zu sein: „(...) du packst meinen Kopf, besudelt mit Blut und Schleim, und zerrst und ziehst, und sie presst mit aller Gewalt, und jetzt fühle ich den Wind durch meine Ohren blasen, während ihr zwei Schurken gemeinsam, zwei gegen einen, zieht und presst, und jetzt bin ich ... draußen! Lasst mich drin! Bitte, lasst mich drin! Lasst mich drin! ...“
Es verwundert etwas, dass das TNL Taboris Drama als lebensbejahend ankündigt, beherrscht doch die apokalyptische Grundstimmung das Ende, eine Endzeitstimmung, die sich, so scheint es, nur noch mit Zynismus ertragen lässt: „Mein ganzes Leben war ein einziges Zögern, geboren zu werden.“