Es wummerte am frühen Abend im Three Crowns, einem Pub im angesagten Londoner Viertel von Stoke Newington. Im Konzertsaal im Untergeschoss machte Karma Catena an diesem Novemberabend mit ihrer Band C’est Karma gerade einen Soundcheck, und das spürte man oben in der Kneipe. Doch von den Kneipenbesuchern wussten die Wenigsten, dass es Luxemburgs vielversprechendste Talent war, die dort in ein paar Stunden auftreten würde. Rund 40 junge Menschen tanzten später jedoch mit Catena in die Nacht.
Vor ihrem Konzert hat sich die Musikerin Zeit für ein Interview genommen.
Gutgelaunt und gesprächig zeigte sich Karma an diesem Freitagabend. Erwartungen für ihr erstes Konzert in Großbritannien hatte sie keine, sie wollte den Auftritt einfach genießen und Spaß dabei haben. Die Kampagne zu ihrem ersten Album, How to peel an orange, war mit viel Druck verbunden, der jetzt abgeklungen ist. „Das Album ist jetzt seit ungefähr anderthalb Monaten raus und ich habe jetzt ein bisschen Distanz. Der Druck der Zahlen ist weg“, so Karma. Und was können sich Fans vom Konzert erwarten? „Ich glaube, es wird ein bisschen wild, ein bisschen emotional, ein bisschen sanft und ein bisschen hart“, so Karma.
Der kleine Konzertsaal des Waiting Rooms eignet sich für solch intime Konzerte, auch wenn C’est Karmas voller Sound sich in einem größeren Raum besser entfalten hätte. Wie viele Tickets verkauft wurden, wollte Karma vor dem Konzert nicht wissen. „Man hat mir Feedback gegeben, dass ich erstaunlich viele Tickets verkauft habe, dafür, dass ich ja noch nie hier aufgetreten bin“, so Karma.
In Luxemburg ist die 22-jährige bereits seit ihren Teenage Jahren bekannt und ist regelmäßig auf nationalen Radiowellen zu hören. Hier in Hackney, im Nordosten der Stadt, kennen allerdings nur wenige die Band. Wie wirbt man denn in einem Land, wo man noch größtenteils unbekannt ist? Die Musikerin, die zugibt, „eine sehr komplizierte Beziehung mit sozialen Medien“ zu haben, warb fürs Konzert mit bezahlten Werbungen auf Facebook und Instagram. Man komme also Künstler dem Marketing auf diesen Plattformen leider nicht vorbei,. „Ich probiere trotzdem Wege zu finden, es irgendwie gerne zu machen“, sagt sie.
Der Raum füllte sich gegen 21 Uhr mit vorwiegend jungen Leuten, die zu Beginn des Konzerts noch schüchtern Distanz vor der Bühne hielten. Doch diese Verlegenheit sprach Karma sofort mit Humor an. „Leute, ich weiss es wird passieren, und ihr wisst es wird passieren, wieso machen wir’s also nicht sofort, und ihr tretet ein wenig näher?“ so die Sängerin zu Anfang des Konzertes. Die Anwesenden lachen und machen ein paar Schritte nach vorne. Die Newcomerin, die zum ersten Mal auf einer britischen Bühne steht, hilft also dem Publikum, seine Schüchternheit zu überwinden. Karma wirkt sehr selbstbewusst, versteckt ihre Verletzlichkeit jedoch nicht. Diese Eigenschaften hört man deutlich in ihrer Musik und den Songtexten raus, und live sorgen sie für eine mitreißende Bühnenpräsenz. „Wir haben alle ein bisschen Angst - lasst uns doch zusammen tanzen!“ So fühlt sich dieses C’est Karma Konzert an.
Street signs ist einer der clubreifen Songs des Albums, bei dem Karma sich an „heiße“ Clubnächte in Amsterdam erinnert, wo man dem Moment verfällt und sich küsst, ohne sich zu kennen. In der niederländischen Hauptstadt hat sie ihr Bachelor in Kulturtheorie zwei Wochen vor dem Konzert in London erfolgreich abgeschlossen. „Und nun lebe ich wieder bei meiner Mutter“, lacht Karma und singt dann Coffee, ein Song, den sie 2022 veröffentlichte.
Den Ohrwurm Maria João kündigt die Musikerin als Fado for the Gays an, ein Song „für all diejenigen, die oft keinen Platz in Traditionen finden“, so die Musikerin. In diesem Stück demonstriert Karma wieder ihre Vielseitigkeit - die Stimme ist das Hauptinstrument, die Wiederholung des Refrains wirkt hypnotisch. Viele singen nun mit.
Ein unbekümmertes, aber kompromissloses, queere Leben feiert C’est Karma in vielen ihrer Lieder. „Ich glaube, dass die Art wie ich lebe und die Welt wahrnehme, schon sehr von meiner Queerness beeinflusst wird. Deswegen finde ich es auch schwer, Kunst zu machen, ohne dies mit einzubeziehen,“ sagte sie vor dem Konzert. Ihre Auftritte seien immer safe spaces, in der queere Menschen willkommen sind. Karma ist sich auch bewußt, wie schwierig das Leben für transgender Menschen in Grossbritannien ist. „In einem Land wie England, wo Transfeindlichkeit trendy ist, finde ich es umso wichtiger, meine Position als cis-geschlechtliche Frau zu nutzen, um mich für Transrechte einzusetzen,“ so Karma.
Die junge Musikerin, die bereits seit Jahren aktiv ist, hat in ihrer Zeit viel gesellschaftlichen Fortschritt erlebt, erinnerte sie sich im Interview. „Als ich in der Primärschule war, machte man noch viele Schwulenwitze. Natürlich gibt es immer noch zu viele Menschen, die Queerfeindlichkeit als Humor benutzen, aber generell hat sich der Diskurs jedoch sehr verbessert. Das kann man auch schätzen, sagte Karma, warnt aber, dass diese Toleranz nicht performativ werden darf.“
Bevor sie auf der Bühne anytime/anywhere ankündigte, erzählte sie dem Publikum, dass sie sich im Sommer bei diesem Lied am Knie verletzt hatte. „We’re gonna make it,“ lachte sie, als das Sample des Songs ertönt und eine sommerliche Leichtigkeit den dunklen Raum füllte. Verletzungen blieben aus.
Es ist erst das dritte Konzert, das Karma mit einer Band spielt. Es traten mit ihr an diesem Abend Sabine Müller am Schlagzeug und Valentin Hebel an der Gitarre auf. Kathleen Chen sorgte für die Tontechnik. Das neue Album ist ein vielschichtiges Werk, das zwischen Elektro, Chanson und bittersüßen Pop hin- und herwechselt. Solo-Auftritte wurden plötzlich zu schwierig. „Es war mental sehr anstrengend, das ganze Set alleine zu tragen,“ so Karma. „Musikalisch ist es auch viel dynamischer und die Auftritte machen noch mehr Spaß.“ Doch mit der Band ist die Anreise seit Brexit teurer geworden. Man musste herausfinden, ob eine offizielle Einladung nötig war (ja) und welche Papiere man für das Equipment einpacken musste (viele). Eine Tour in Großbritannien würde sich jedenfalls mehr lohnen als nur ein Konzert. „Wir hatten fast erwägt, das Konzert abzusagen, aber ich wollte unbedingt hier auftreten,“ so Karma vor der Show.
Auf der Bühne gab Karma alles. Jede Note war gefühlt, sie tanzte und plauderte mit dem Publikum. Auch thematisch wurde so Einiges behandelt. „Jetzt habe ich euch erzählt, wie ich mich gefühlt habe, als ich von zu Hause weggezogen bin, und ich habe euch auch davon erzählt, wie es ist, knutschen zu wollen. Ich glaube wir sind uns jetzt viel näher,“ sagte Karma dem Publikum, und bat die Leute noch einmal, nach vorne zu kommen. Dies musste sie an diesem Abend nicht mehr wiederholen, denn das schüchterne Publikum hatte sie für sich gewonnen.
Nun hat Karma ihr britisches Debüt hinter sich und ein Bachelor Diplom in der Tasche. Die Frage über ihre Zukunft bleibt nicht aus. Sie wolle Songs schreiben, um Songs zu schreiben, „ohne den Marketingaspekt dahinter zu betrachten,“ so Karma, die nicht ausschließt, auch für Film und Theater zu schreiben. „Mein Ziel ist es, Musik zu machen und dann in einem Jahr zu schauen, wie es weitergeht“. Karma’s Fans, von denen es nun auch einige in Großbritannien gibt, können sich also auf weiteres Material freuen.