Guy Altmeisch hatte sich in der Gemeinderatssitzung vom 8. November offenbar „verplappert“. Auf eine Frage des linken Gemeinderats Gary Diderich erwiderte der Differdinger LSAP-Bürgermeister, Mobilitätsministerin Yuriko Backes (DP) beanstande die hohen Fahrkosten des Tice: „A Fro gëtt gestallt, dass dee Prix de Revient, deen den Tice kascht, fir all Kilometer ze fueren, dass do of muss gebaut ginn an dass do mussen déi verschidde Faarten iwwer RGTRs Busser gereegelt ginn.“ Dadurch komme man zu einem anderen Selbstkostenpreis für den öffentlichen Transport, der die Finanzen der Gemeinden nicht mehr sprenge. Ändere sich nichts, seien die Kosten, die das interkommunale Bussyndikat verursacht, für die Gemeinden nicht mehr zu stemmen. Alleine Differdingen müsste dann künftig acht Millionen Euro jährlich zahlen, rechnete Altmeisch vor.
Die Beteiligungskosten der neun Südgemeinden, die seit nunmehr 110 Jahren das Syndicat des Tramways intercommunaux dans le canton d’Esch betreiben, sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Zahlte Differdingen 2022 noch 2,9 Millionen, wurden im diesjährigen Haushaltsentwurf rund 5,5 Millionen Euro veranschlagt. Auch für die anderen Gemeinden hat sich der Anteil in den vergangenen Jahren fast verdoppelt. Der Beitrag des Staats ist ebenfalls gestiegen. In ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage des Piraten-Abgeordneten Marc Goergen erklärte Yuriko Backes am 10. September, der Staat habe 2023 zwei Drittel (46,9 Millionen) der insgesamt 70 Millionen Euro Gesamtbetriebskosten des Tice Syndikats gezahlt. Für 2025 sind 54 Millionen im mehrjährigen Staatshaushalt (2025 bis 2028) veranschlagt, für 2028 rund 59 Millionen. Der Hauptgrund für diesen Anstieg sind vor allem Investitionen in die Infrastruktur. Das Busdepot mit den Reparaturwerkstätten am Boulevard Charles de Gaulle in Esch/Alzette, wo sich auch der Verwaltungssitz des Tice befindet, wurde kontinuierlich ausgebaut; weil immer mehr Busfahrer/innen aus anderen Landesteilen mit dem Auto zum Tice zur Arbeit kommen, wurde ein Parkhaus errichtet. Weil die Regierung im gesamten öffentlichen Transport bis 2030 CO2-Neutralität erreichen will, muss auch das Tice-Syndikat seine rund 150 mit Diesel und Erdgas betriebenen Busse durch Elektrobusse ersetzen. Um die für das Laden dieser Busse benötigten Anlagen unterzubringen, muss das Depot erweitert werden, wofür dem Tice derzeit noch die nötigen Grundstücke und das Geld fehlen.
Der Staatsvertrag des 1914 gegründeten Syndikats, der 2014 um zehn Jahre verlängert wurde, läuft in einem Monat aus. Der vorige Mobilitätsminister François Bausch (Grüne) hatte schon im November 2022 das Tice-Büro darüber in Kenntnis gesetzt, dass er den Vertrag kündigen werde, weil er nicht mehr mit den Anforderungen des Nationalen Mobilitätsplans 2035 (PNM 2035) übereinstimme und nicht mit dem im Dezember 2021 verabschiedeten Finanzierungsgesetz zum Régime Général des Transports Routiers (RGTR) vereinbar sei. Weil im PNM 2035 mit einem Mobilitätszuwachs von 40 Prozent in den nächsten zehn Jahren gerechnet wird, wollte Bausch den öffentlichen Transport in der Südregion „massiv“ ausbauen und die Aufgaben zwischen Tice sowie dem in öffentlich-privater Partnerschaft betriebenen und integral vom Staat mit 1,27 Milliarden Euro (von 2022 bis 2032) finanzierten RGTR neu verteilen. Die Hauptlinien Richtung Hauptstadt sollen – auch grenzüberschreitend – von den CFL-Linien 60 und 70 sowie von RGTR-Bussen und ab 2035 zusätzlich von der „schnellen Tram“ und dem Bus à haut niveau de service (zwischen Esch und Audun-le-Tiche) übernommen werden. Während die Tice-Busse künftig vor allem Zubringerdienste innerhalb des Ballungsgebiets übernehmen sollen.
Die Verhandlungen über die neue Konvention hatten schon im Dezember 2022 begonnen. Unterbrochen wurden sie durch die Gemeindewahlen, nach denen der Tice-Vorstand umgebildet wurde. Weil Luxemburg seit einem Jahr auch eine neue Regierung hat, wurden die Verhandlungen erst vor den Sommerferien wiederaufgenommen. Neben Tice-Präsident Marco Lux, LSAP-Schöffe in Kayl, führen die beiden Vize-Präsident/innen Claudia Dall’Agnol (LSAP-Schöffin in Düdelingen) und Patrick Arendt (CSV-Schöffe in Petingen) die Verhandlungsdelegation an. Um ihr zusätzliches politisches Gewicht zu verleihen, einigten die Südgemeinden sich darauf, der Verhandlungsdelegation den früheren Innenminister und Käerjenger député-maire Michel Wolter (CSV) sowie den Düdelinger député-maire Dan Biancalana (LSAP) als „Sonderverhandler“ zur Seite zu stellen.
Bausch hatte 2022 offenbar angekündigt, die Regierungsbeteiligung am Tice um jährlich neun Millionen Euro zu kürzen, wie der frühere Tice-Ausschussvorsitzende und FNCTTFEL-Vizepräsident Alain Sertic im Mai 2023 in einem Artikel in der Woxx berichtete. Inzwischen scheint diese Drohung vom Tisch zu sein. Um sich mehr Zeit zur Aushandlung einer längerfristigen Konvention zu geben, steht eine Übergangskonvention mit einer Laufzeit von einem Jahr kurz vor dem Abschluss. Das Büro des Tice hat sie bereits unterzeichnet, die Regierung noch nicht. Darin wird vereinbart, dass der Anteil des Staats für 2025 bei rund 50 Millionen Euro liegen soll (trotz der im Staatshaushalt veranschlagten 54 Millionen), während die neun Gemeinden (jeweils proportional zu ihrer Einwohnerzahl) zusammen 22,3 Millionen beisteuern. Damit einhergehen soll ein erweiterter Fahrplan, der eine neue Linie zwischen dem Ehleringer Gewerbegebiet Zare und Kayl sowie eine Verlängerung der Linie 4 vom Düdelinger Rathaus bis zum Laboratoire national de Santé vorsieht. Dadurch würde die Zahl der jährlich gefahrenen Kilometer von 5,6 auf voraussichtlich 6,2 Millionen steigen. Die Verhandlungen für die längerfristige Konvention, für die der Tice aus Gründen der Planungssicherheit eine Laufzeit von zehn oder sechs (statt den von François Bausch 2023 in Aussicht gestellten drei) Jahren und ein Finanzierungsgesetz verlangt, laufen noch.
Im Mittelpunkt dieser Verhandlungen steht die Kostendeckung, wie die Diskussion um die prime d’astreinte in den vergangenen Wochen veranschaulicht hat. Der Staat bemängelt vor allem, die finanzielle Situation beim Tice sei „dramatisch“, die Gehälter der rund 360 Fahrer/innen zu hoch. Inklusive technisches und Verwaltungspersonal beschäftigt das Tice-Syndikat ingesamt 540 Menschen. Dass auch die Mitarbeiter eine prime d’astreinte erhalten, die nicht verbeamtet sind, war ein historisches Zugeständnis der lange mehrheitlich sozialistisch geführten Südgemeinden an die Gewerkschaften, das nun in Frage gestellt wird. Noch sind rund 80 Prozent der Fahrer/innen im Gemeindebeamten-Statut beschäftigt, doch weil immer weniger Kandidat/innen die épreuve d’aptitude générale bestehen, wurde in den letzten Jahren häufiger auf das weniger vorteilhafte Statut des employé communal zurückgegriffen. Mutmaßlich, um Urlaubswünsche besser erfüllen und krankheitsbedingte Ausfälle kompensieren zu können, beschäftigt das Tice inzwischen sogar (je nach Quelle) 15 bis 18 Fahrer/innen als salariés mit einem befristeten Vertrag.
Einer rezenten Umfrage zufolge, die der OGBL unter 221 Tice-Fahrer/innen durchgeführt hat, zeigen sich 42 Prozent unzufrieden (31,67%) oder sehr unzufrieden (10,41%) mit ihrer Arbeit. Rund 35 Prozent würden den Tice als Arbeitgeber nicht weiterempfehlen; 90 Prozent gaben an, dass sich das Arbeitsklima in den vergangenen Jahren verschlechtert habe. Besorgniserregend ist vor allem, dass rund 62 Prozent aller Befragten (von denen zwei Drittel im Alter von 23 bis 43 Jahren sind) über körperliche Probleme klagen, die durch ihre Arbeit verursacht werden. Neben mehr Respekt von und einer besseren Kommunikation mit ihren Vorgesetzten sowie besseren Arbeitsbedingungen (bequemere Sitze, klimatisierte Busse) wünschen die Tice-Fahrer/innen sich vor allem eine bessere Organisation von Pausen und Lenkzeiten sowie mehr Flexibilität bei der Gestaltung ihrer Urlaubspläne und eine regelmäßigere und vorhersehbarere Planung ihrer Arbeitszeiten.
Hinzu kommt, dass der neue sektorielle Kollektivvertrag, den OGBL und LCGB im Februar mit dem Verband der privaten Busunternehmen FLEAA unterzeichnet haben, den Privatangestellten Vorteile (Zuschläge für Sonntagsarbeit und Überstunden) und Vergütungen (dreizehnter Monat, prime d’amplitude) garantiert, die dazu führen, dass das Tice-Syndikat trotz der Aussicht auf Beamtenstatut an Attraktivität gegenüber Privatbetrieben verliert.
Weil einerseits das Arbeitsklima und die Arbeitsbedingungen unvorteilhaft sind und andererseits nicht ausreichend qualifiziertes Personal gefunden werden kann, das es erlauben würde, die Arbeitsorganisation und die Urlaubsplanung zu verbessern, scheinen sich Mobilitätsministerium und Verhandlungsdelegation nun darauf geeinigt zu haben, die Schülertransporte und die Nachtbusse, die bislang vom Tice betrieben werden, an private Busunternehmen auszulagern. Auch über die Privatisierung der City-Bus-Linien in Esch/Alzette und Düdelingen wird diskutiert. Als Gegenleistung für diese Auslagerungen und um die vom Staat beanstandeten hohen Lohnkosten zu senken, soll nach und nach Personal abgebaut werden – nicht im Rahmen eines Sozialplans oder durch Entlassungen, sondern indem Fahrer/innen, die in Rente gehen, nicht mehr ersetzt werden. Diese Maßnahme würde die Arbeitsorganisation wohl nicht maßgeblich beeinflussen, da beim Tice noch viele vor allem ältere Fahrer/innen beschäftigt sind, die ihren eigentlichen Beruf aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht mehr ausüben können und betriebsintern „reklassiert“ werden mussten, so dass sie lediglich kleinere Hilfs- oder Verwaltungstätigkeiten übernehmen.
Der Anteil des Staats an der Finanzierung des Tice ist in den vergangenen Jahren von 60 auf 70 Prozent gestiegen. Wenn die Regierung die (auf 160 Millionen Euro geschätzten) Kosten für die Elektrifizierung der Flotte übernimmt, wird die staatliche Finanzbeteiligung weiter zunehmen. Im Gegenzug verlangt die Regierung mehr Kontrolle über und mehr Mitspracherecht bei Personal- und Infrastruktur-Entscheidungen, sie könnte sich vielleicht sogar ein Mandat im Büro des Tice sichern, das sich bislang ausschließlich aus Bürgermeistern und Schöffen der am Syndikat beteiligten Gemeinden zusammensetzt. Die Gewerkschaft der Gemeindebeamten, die beim Tice die Mehrheit im Personalausschuss hält, sieht darin eine „bedenkliche Entwicklung“, denn dazu müsste das traditionsreiche kommunale Syndikat aufgelöst und durch ein sogenanntes „Syndicat mixte“ ersetzt werden, schrieb die FGFC vergangene Woche in einer Mitteilung. Sie spricht sich sowohl gegen eine Privatisierung als auch gegen eine „Übernahme durch den Staat“ aus. Die Verhandlungsdelegation um Marco Lux, Dan Biancalana und Michel Wolter will sich dafür einsetzen, dass das Tice ein öffentlicher Dienst bleibt, wie die Kammer es im Juni einstimmig in einer Motion des DP-Abgeordneten Gusty Graas gefordert hatte. Allerdings müsse dieser öffentliche Dienst finanziell tragbar sein, heißt es aus der Delegation.
Die Diskussion um die Privatisierung des Tice-Netzes ist indes nicht neu. Schon Mitte der 1990-er Jahre, als das Syndikat seinen Fahrplan (gemäß den Vorschlägen des Schweizer Verkehrsexperten Heinrich Brändli) erweiterte und seine Flotte aus ökologischen Gründen teilweise auf Erdgas umstellte, warnte das Innenministerium vor einer Kostenexplosion und empfahl den „finanzschwachen“ Südgemeinden, neue Linien zunächst privaten Busunternehmen zu überlassen (d’Land, 13.1.1995). Das damalige Tice-Büro um den Rümelinger LSAP-Bürgermeister Will Hoffmann lehnte das jedoch ab. Ob es auch der aktuellen Verhandlungsdelegation gelingt, die Elektrifizierung der Flotte zu vollziehen und sich gleichzeitig mutmaßlichen Plänen zu widersetzen, das Tice in ein gewöhnliches „mittelgroßes regionales Busunternehmen“ umzuwandeln, wird sich in den nächsten Monaten zeigen.