ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

Rechter Zeitpunkt

d'Lëtzebuerger Land vom 22.11.2024

Vorige Woche erinnerte sich der DP-Abgeordnete Gusty Graas: „Hei zu Lëtzebuerg diskutéiere mer elo schon wäit iwwer e Joerzengt iwwer eng eventuell Unerkennung vu Palästina.“

Im Grunde seit 77 Jahren. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen verabschiedete am 29. November 1947 die Resolution 181. Sie verfügte: „Independent Arab and Jewish States [...] shall come into existence in Palestine [...] not later than 1 October 1948.“ Damals wollte die CSV/Groupement-Regierung sich enthalten. Dann beugte sie sich den „pressure tactics“ der USA, wie es im Plenum hieß. Sie stimmte dafür.

Am 17. Dezember 2014 verabschiedete das Parlament eine Motion, die „invite le Gouvernement à reconnaître formellement I’État de Palestine [...] au moment qui sera jugé le plus opportun“. Das war eine Einladung, kein Beschluss. Über die diplomatische Anerkennung eines Staates entscheidet alleine die Regierung.

2014 ging es Regierung und Parlament nicht um Palästina. Sondern um außenpolitische Entscheidungsgewalt. Die jede Regierung mit allen Mitteln gegen das Parlament verteidigt. Außenpolitik scheint zu wichtig, um sie parlamentarischen Unwägbarkeiten auszusetzen.

Die Regierung, die Parlamentsmehrheit wollten Palästina nie anerkennen. Die Palästinenser vertreten keine westlichen Werte. Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit, werden ihnen seit Generationen vorenthalten. Anders als Israel: der von den USA bewaffnete Vorposten westlicher Wertpapiere inmitten der Erdölfelder des Nahen Ostens.

146 Staaten haben Palästina anerkannt. Deshalb sprechen sich Regierung, Parlamentsmehrheit nicht offen gegen eine Anerkennung aus: Sie sei gut und richtig. Nur der rechte Zeitpunkt sei noch nicht gekommen. Die Taktik hat sich bewährt. Mit ihr verhinderten liberale und klerikale Notabeln jahrzehntelang die Einführung des allgemeinen Wahlrechts.

Nunmehr „zéng Joer laang war et net dee richtege Moment“. So David Wagner von déi Lénk. Der linke Zeitpunkt kam auch nicht vorige Woche. Weil die Kriterien „net erfëllt sinn, vu kenger Säit“. So der CSV-Abgeordnete Laurent Zeimet. „Dofir ass de Moment fir eng Unerkennung vu Palästina fir eis elo net opportun.“ ADR-Abgeordneter Fred Keup gab sich untröstlich: „Datt et am Moment wierklech net den Zäitpunkt ass, fir Palästina unzeerkennen, esou gär wéi mer dat och wäerten eng Kéier wëlle maachen.“

Um den rechten Zeitpunkt hinauszuschieben, ändern Regierung, Parlamentsmehrheit die Kriterien. Außenminister Xavier Bettel verlangte, „dass eng Fräiloossung vu Geiselen, dass e Cessez-le-feu muss do sinn“. Der CSV-Sprecher ergänzte: Israel gehört zuerst von seinen Nachbarn anerkannt, eine europäische Einigung sei nötig, die Bereitschaft zu Friedensverhandlungen, der Respekt des Völkerrechts, der Menschenrechte.

Dann lehnte das Parlament eine Anerkennung wieder ab. 2014 stimmten drei Abgeordnete gegen die Anerkennung. Vergangene Woche waren es 42. Die CSV hatte sich 2014 enthalten. Jetzt ist sie mit der DP dagegen. Unterstützt von der ADR. Die mit der rechtsextremen Regierung in Jerusalem sympathisiert. Und von den Piraten. Die mit der CSV sympathisieren, wenn die Kriminalpolizei klingelt.

So wird Zeit geschunden. Bis der „moment qui sera jugé le plus opportun“ eintritt. Bis die israelische Armee das „Palästinenserproblem“ gelöst hat: Wenn sie Gaza unbewohnbar gemacht hat wie den Mond. Wenn sie die letzten Palästinenser aus dem Westjordanland vertrieben hat. Dann erübrigt sich mangels Staatsgebiets eine „Zweistaatenlösung“. Dann ist die 1947 begonnene Nakba abgeschlossen. Premier Frieden lässt Minister Bettel dann eine Botschaft in Jerusalem eröffnen. Die Abgeordneten Zeimet, Graas und Keup bringen eine ausgewogene Resolution ein.

Romain Hilgert
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