Unverrichteter Dinge kehrte CSV-Hochschulminister François Biltgen am Montag aus Brüssel zurück. Dort hatte er den europäischen Kommissar für Beschäftigung, Soziales und Integration, László Andor, getroffen und versucht, ihm die vor einem halben Jahr eingeführte und Grenzpendler benachteiligende Reform des Kindergelds und der Studienbeihilfen schmackhaft zu machen. Aber offensichtlich konnten seine Argumente den Professor der Wirtschaftswissenschaften aus Ungarn nicht überzeugen. Nun scheint die Regierung sich damit abzufinden, dass sie, nicht zuletzt auf Grund einer Klage des OGB-L, wegen Verstoßes gegen das europäische Recht vor den Europäischen Gerichtshof zitiert wird.
Als erste der von der Regierung ohne Zustimmung der Tripartite beschlossenen Sparmaßnahmen hatte das Parlament im Juli vergangenen Jahres eilig das Kindergeld für großjährige Kinder hierzulande Arbeitender abgeschafft und durch eine Studienbeihilfe für die Kinder hierzulande Wohnender ersetzt. Durch diesen schon bei den Chèques-services erprobten Trick gingen die Grenzpendler leer aus, und der Minister versuchte noch einmal am Montag in Brüssel, schlau zu erklären, dass Kindergeld Sozialrecht und damit „exportabel“ sei, Studienbeihilfen aber Hochschulpolitik seien und somit nicht „exportiert“ werden müssten.
Schade bloß, dass das gar nicht das Thema ist. Denn weit größer als die Ersparnis für die Staatskasse und die dazu nötige Paragrafenreiterei ist schon heute der politische Schaden. Er besteht darin, dass, trotz aller Sonntagsreden über die unentbehrlichen Freunde aus der Großregion, Luxemburg wieder einmal als ein Haufen kleiner, hinterhältiger, egoistischer Krämerseelen erscheint. Die Folge war, dass Mitte September die erste große Kundgebung von Grenzpendlern gegen die Regierungspolitik stattfand, und linke und rechte Politiker in Lothringen und Wallonien diese Anliegen aufgriffen.
Dass es bei dem von der LSAP bejubelten „Paradigmenwechsel“ der CSV um die Umverteilung staatlicher Zuschüsse geht, war schon deutlich geworden, als der Kindergeldausfall für die Einheimischen nicht nur durch Studienbeihilfen kompensiert, sondern sogar überkompensiert worden war: Entgegen allen Behauptungen von selektiver Sozialpolitik hatte die Regierungsmehrheit die einkommensgebundenen Studienbeihilfen abgeschafft, so dass nach der angeblichen Sparmaßnahme sogar die Studenten aus besserem Haus, die es bisher gar nicht nötig hatten, nun fünfstellige Staatszuschüsse erhalten. Der Eindruck wurde aber noch erhärtet, als die Regierung nach und nach auf andere Sparmaßnahmen zu verzichten begann. Mit ihrem Kindergeldtrick sparte sie schließlich 35 Millionen Euro, weit weniger als die 50 Millionen auf die sie verzichtete, indem sie die Kilometerpauschale doch nicht halbierte; oder die Hälfte der 70 Millionen Euro, auf die sie verzichtete, indem sie den Bëllegen Akt und die Zinsvergütung doch nicht einschränkte, oder der 80 Millionen Euro, die entfallen, wenn nächstes Jahr die Krisensteuer abgeschafft wird.
Die Regierung muss sich vorwerfen lassen, wie alle Rechtsregierungen, soziale Konflikte entlang nationalen Grenzen umzuleiten, und die Opposition stand ihr mit dem liberalen Vorschlag eines nationalen Wohngelds und dem grünen Vorschlag eines nationalen Ökobonus in nichts nach. Nur die Gewerkschaften zogen sich in der Rolle der Antigone mit Anstand aus der Affäre. Wie der Europäische Gerichtshof in einigen Jahren entscheiden wird, und ob er den Trick mit der Residenzklausel vielleicht sogar für legal erklären wird, wird deshalb völlig unwichtig sein.