In den vergangenen Tagen vermittelte die Regierung den Eindruck, als ob sie mit der Ankündigung gleich mehrerer Referenden für die kommenden Jahre den Mund während der Koalitionsverhandlungen ein wenig zu voll genommen hätte und nun Angst vor der eigenen Courage bekäme. Premier Xavier Bettels Versuch, nach der Kabinettsitzung für Klarheit zu sorgen, vergrößerte nur die Verwirrung und damit das Misstrauen, dass die neue Koalition Transparanz und Demokratie doch nicht ernster nimmt als die alte.
Richtig ist, dass DP, LSAP und Grüne im Koalitionsabkommen Volksbefragungen über gesellschaftliche Reformen sowie die große Verfassungsrevision abgemacht hatten. Damit konnten sie sich nicht ohne Erfolg als diejenige darstellen, die einen neuen demokratischen Wind in den CSV-Staat bringen wollten, der vergangenes Jahr an seiner eigenen starrsinnigen Geheimniskrämerei gescheitert schien. Xavier Bettel war im Wahlkampf nicht müde geworden zu wiederholen, dass die DP keine Angst vor der Meinung der Bürger habe. Auch wenn das selbstverständlich Humbug ist – denn wie gerne würden die Bürger heute über die geplante Mehrwertsteuererhöhung abstimmen.
Doch kaum war das Koalitionsabkommen unterschrieben, da zeigte sich, dass der vorgesehene Kalender wohl zu anspruchsvoll war, um öffentliche Diskussionen in für dieses Jahr versprochenen Bürgerforen zu führen, nächstes Jahr gleich zwei Referenden zu organisieren und bis dahin im parlamentarischen Ausschuss der Institutionen und Verfassungsrevision einen abstimmungsreifen Verfassungsentwurf fertigzustellen. Außerdem kamen Zweifel an der Berechtigung einiger der abgemachten Fragen auf, die das Parlament genauso gut beantworten könnte, ohne dass ein Hahn danach krähte. Gewarnt wurde auch vor einer Dauerwahlkampfstimmung im Land und dem beschädigten Ansehen der Regierung nach einem gescheiterten Referendum. In Zeiten der Sparpolitik drohen schließlich auch die nicht unerheblichen Kosten von Referenden ein Thema zu werden.
Kurz, es sind die üblichen taktischen Einwände gegen Referenden, hinter denen sich politisches Misstrauen versteckt. Denn erfahrungsgemäß gehen Referenden meist anders aus, als von den Initiatoren geplant, wie diejenigen über den Wirtschaftsanschluss, über das Maulkorbgesetz und um ein Haar über den Europäischen Verfassungsvertrag. Direkte Demokratie ist auch längst nicht immer eine Zier wirklicher Demokratie. Denn 2005 wurde über einen Verfassungsvertrag abgestimmt, den bestenfalls ein Prozent der Wähler überhaupt gelesen hatte und der durch Referenden in anderen Ländern bereits gescheitert war. Während der Euthanasie-Debatte konnten 2008 fünf Stammtischkumpanen auf der Grundlage eines wirklichkeitsfremden Gesetzes eine Referendumsprozedur zur Verteidigung des Großherzogs anlaufen lassen.
Wenn die Regierung trotzdem Referenden organisieren möchte, dann geht es ihr natürlich nicht in erster Linie darum, die Meinung der Bürger zu erfahren. Schließlich wollen ja auch die Marktforschungsfirmen leben. Das Ziel der Regierung ist es vielmehr, eine Reihe überfälliger gesellschaftlicher Reformen durchzuführen, zu denen ihr die nötigen Stimmen im Parlament fehlen. Denn um beispielsweise Ausländer zu den Kammerwahlen zuzulassen oder nicht mehr länger sämtliche Pfarrergehälter zu bezahlen, ist eine Verfassungsänderung mit Zweidrittelmehrheit nötig, so dass die oppositionelle CSV über eine Sperrminderheit verfügt. Mit einem Referendum könnte dieses Vetorecht politisch delegitimiert werden. Denn die CSV könnte es sich nur schwerlich erlauben, aus ideologischer Verstocktheit im Parlament eine Reform zu verhindern, die eine Mehrheit der Bürger in einer Volksbefragung verlangte.