Mit 51 Jahren gehört Elisabeth Sparkle (Demi Moore) zum alten Eisen: Für Filmproduktionen wird sie schon lange nicht mehr gecastet, nun soll auch noch ihre Morning-Fitnessshow abgesetzt werden. Gesucht wird nicht nur eine neue Show, sondern vor allem ein neues Gesicht, wie ihr Produzent Harvey (Dennis Quaid) erklärt. Grund dafür: Ab 50 sei eine Frau eben zu alt. Über Umwege stößt Sparkle auf die Lösung – eine neuartige Substanz aktiviert eine einmalige Zellenteilung, und aus dem alternden Körper wächst ein neuer: Sue (Margaret Qualley) sieht nicht nur aus wie ein Lingerie-Modell, sie wird auch schnell zu Harveys neuer Traumkandidatin für Sparkles Nachfolge. Der Haken: Damit sich die Matrisse, also Elisabeths alternder Körper, regenerieren kann, müssen sich Sue und Elisabeth wöchentlich abwechseln; zwei Körper bewohnen von nun an eine Seele. Schnell kommt es zum erbitterten Kampf zwischen Sue und Elisabeth. Kaum ein Film hat im Cannes-Wettbewerb 2024 so polarisiert wie The Substance von Coralie Fargeat: Für einige hätte er die Palme d’Or verdient, wegen des intelligenteren Umgangs mit Body-Horror als in Julia Ducourneaus Titane. Andere hielten den Film für ein fragwürdiges, kaltes und zudem frauenfeindliches Machwerk.
Marc Trappendreher: The Substance wird gerne als Post-#metoo-Film beschrieben, die Zeichen sind sehr wohl da: Der Film zeigt eine ausbeuterische Unterhaltungsindustrie, die den Frauenkörper als reine Konsumware denkt, da gibt es den schmierigen und misogynen Manager, der obendrein Harvey mit Vornamen heißt. Ob der Film deshalb zwangsläufig feministisch ist, wird gerade heftig diskutiert. Dass er keine positiven weiblichen Leitbilder zeige, ist Anlass zur Kontroverse: Im Zentrum der Handlung stehe eine Frau, die sich von dem System nicht abwenden könne. Dass sie sich der „ewigen Jungend“ unterwirft, sei letztlich eine affirmative Darstellung dieser reduktionistischen Geschlechts- und Körperbilder innerhalb der Gesellschaft.
Jeff Schinker: Oberflächlich mag es so wirken, als würde The Substance zeigen, wie sich zwei Frauen zerfleischen. Oder vielmehr, wie ein und dieselbe Frau so lange im Jungbrunnen badet, bis sie sich auflöst – all das, um der Unterhaltungsindustrie ein sich immer selbst erneuerndes Lustobjekt zu liefern. Was Fargeats Film aber tatsächlich anprangert, ist, dass die Film- und TV-Industrie eine narzisstische Endlosschleife produziert: The Substance ist eine bitterböse Allegorie auf eine patriarchale Gesellschaft, die Frauen objektiviert – und stellt dar, wie Letztere diese Mechanismen in einer endlosen mise en abyme, einem grotesken Spiegellabyrinth, verinnerlichen und mimetisch nachstellen. Dabei impliziert The Substance keineswegs, die Frau per se sei unfähig, sich aus einer solchen narzisstischen Spirale zu lösen. Nur geht es hier eben nicht um die Frau als Synekdoche für ein Geschlecht, sondern um eine spezifische Figur – die einer in die Jahre gekommenen Schauspielerin, die am eigenen Schönheitsanspruch zugrunde geht. Wenn die Coen-Brüder dämliche Männer- und Verliererfiguren darstellen, bedeutet das ja auch nicht, dass sie Männer an sich doof finden. Problematisch wird die Sache, wenn Filmkritiker schablonenhaft vorgehen und die gewollte formale Oberflächlichkeit des Films und seiner Figuren mit einer vermeintlichen Inhaltslosigkeit gleichstellen. Gerade weil The Substance keine weiblichen Identifikationsbilder bietet, ist er feministischer als viele Filme, die uns in ihrer plakativen Dichotomie zwischen bösem Patriarchat und mutigen Frauenfiguren eine Antwort schuldig bleiben, wieso mit diesem gesellschaftlichen Status Quo nicht längst aufgeräumt wurde. So trifft die Erzählfigur in Percival Everetts Roman James, einer Neufassung von Mark Twains Adventures of Huckleberry Finn aus der Sicht des Sklaven Jim, auf Sklaven, die ihresgleichen denunzieren und ihre eigene Entmenschlichung nicht nur akzeptiert haben, sondern geradezu feiern: Selbstunterwerfung ist ein wesentlicher Bestandteil jeder Form von gesellschaftlicher Ausbeutung.
MT: Absolut, es ist ja gerade der Ausbeutungsmechanismus, der hier eine besonders perverse Dimension erhält, weil er eine menschliche Hybris auslöst, die glaubt, die Naturgesetze außer Kraft setzen zu können. The Substance sagt zunächst ganz grundlegend, dass der Alterungsprozess zum natürlichen Gang des Lebens gehört. Erst die Auflehnung gegen den natürlichen Lauf der Welt bringt die Katastrophe herbei. Das ist zunächst eine generelle und nicht geschlechtsspezifische Aussage. Dass Coralie Fargeat diesen Umstand am Beispiel eines spezifischen Frauenschicksals durchdekliniert, macht ihn im gegenwärtigen Diskurs so bedeutsam. Ihr Film sagt aber auch, dass Frauen und Männer patriarchal geprägten Schönheitsidealen unterworfen sind. Es ist ja bezeichnenderweise ein Mann, der Elisabeth die ominöse Substanz vermittelt, weil er sie, fixiert auf die Idee der ewigen Jugend, selber nutzt. Die Zurschaustellung dieser Fixierung auf ungesunde Denkmuster macht den The Substance hochgradig verstörend, wofür der Körperhorror für Fargeat die Metapher liefert.
JS: The Substance verstört auch, weil es außerhalb des Spiegellabyrinths, die der Film mit seiner kühlen Ästhetik einfängt, keine Außenwelt gibt. Elisabeth und Sue irren in den endlosen Gängen der Wohnung und des Produktionsstudios umher. Dabei ist Fargeats Film nicht leer; er zeigt eine Leere, die er formalmimetisch reproduziert. Die endlosen Gänge von Wohnung und Studio wirken wie die Totenwelt des Bardo, in dem die Seele auf der Suche nach einem Körper für ihre Wiedergeburt irrt. Elisabeth und Sue haben weder Freunde noch Partner. Der Narzissmus der beiden hat eine solipsistische Weltvision zur Folge, in der die eigenen Schönheitsideale und deren Kehrseite, die Angst vor dem Altern, nie durch die Empathie eines Freundes oder eines Partners relativiert werden. Dadurch können beide sich nur an den Götzen ihrer selbst messen und werden von ihren narzisstischen Wunden genährt. Was zu einem immer verzerrteren Weltbild führt. Im erzwungenen Ruhestand wird Elisabeth zum TV-Junkie, süchtig nach dem verlorengegangenen Ruhm. Die Chance auf eine gesunde Beziehung, verkörpert durch eine sympathisch-untoxische Männerfigur, verspielt sie, weil sie am Perfek-
tionsanspruch scheitert, der ihr durch Männerfiguren wie Quaids Harvey eingebläut wurde. Der US-amerikanische Schriftsteller David Foster Wallace meinte mal, es seien stets die zu hohe Ansprüche an uns selbst, die uns ins Verderben stürzen: Wer sich an seinem eigenen hohen Intellekt misst, hat Angst, nicht clever genug zu sein. Wer sich, wie Elisabeth Sparkle, die in ihrer Wohnung ein riesiges Bild ihrer selbst hängen hat, an seinem vergangenen Selbst misst, abonniert sich auf das eigene Unglück. Victor Castanet hat in seinem investigativen Essay Les fossoyeurs aufgedeckt, wie Frankreich seine gealterten Bürgerinnen wegsperrt und misshandelt. In The Substance richtet sich dieses Misshandeln gegen sich selbst. Für mich ist Fargeats Film weniger ein Post-#metoo-Werk, als eine Abrechnung mit dem Neoliberalismus im Sinne von Mark Fishers capitalist realism und Debords société du spectacle: Er zeigt, wie sich die Menschheit durch Schönheitswahn, Körperkult und Selbstoptimierung selbst abschafft, und offenbart die ganz allgemeine Misanthropie des späten Kapitalismus. Problematisch für Sparkle ist dabei, dass sich hinter ihrem Glanzpapieraussehen nichts als Leere versteckt.
MT: Ja, die Kapitalismuskritik von The Substance kann man gut als eine Engführung von Fisher-Debord lesen. Sie ist ja bereits in der filmischen Form angelegt: Alles ist übertrieben plakativ, grell, überzeichnet. Fargeat nutzt eine bunte Farbpalette, setzt auf knallige Farbkontraste. Im Finale wird nicht an ekelerregenden Blutexzessen gespart. Diese übersteigerte Betonung der Form gehört zu Fargeats Handschrift, gerade ihr vorheriger und erster Spielfilm, der Rape-Revenge-Film Revenge, bleibt einem mehr wegen des grellen visuellen Sinneseindrucks im Gedächtnis als wegen seiner überaus simplen Handlung. Auch dieser Film erzählt überaus plakativ von der Frau als Statusobjekt, einem Körper, über den man beliebig verfügen kann. The Substance folgt diesem künstlerischen Prinzip und setzt die Oberflächlichkeit der Konsumwelt auf die Oberfläche des Gezeigten. Das macht diesen Film nicht zwangsläufig oberflächlich, Fargeat setzt vielmehr Form und Inhalt in eins. Wenn Form und Inhalt sich in The Substance halten und eine innerliche wie äußerliche Konstanz bilden, so erschließt sich mir darin doch nicht zur Gänze sein intertextuelles Verweissystem, das filmisch natürlich zuerst und besonders auf die Frühwerke David Cronenbergs anspielt, dann aber auf Stanley Kubricks 2001 und The Shining genauso Bezug nimmt, wie auf David Lynchs Lost Highway und Elephant Man, Brian de Palmas Carrie oder noch literarisch auf Oscar Wildes The Picture of Dorian Grey. Will der Film ein Kondensat dieser Vorbilder sein oder erweist er diesen Werken seine Reverenz, ganz frei und beliebig?
J S: Oder sind diese zahlreichen, ziemlich offensichtlichen Verweise ein weiterer Teil einer Welt, in der alles Abbild und Bezugnahme ist? Wenn Milan Kundera von der Unerträglichen Leichtigkeit des Seins spricht, verweist er auf die ontologische Tragik einer Realität, in der alles einmalig ist – und in der Einmaligkeit surreal unwirklich wirkt. Gemeint ist damit auch die Vergänglichkeit, die Elisabeth Sparkle am eigenen Leib erfährt – ihr Versuch, eine jüngere Version ihrer selbst ins Leben zu rufen, ist eine Ablehnung der eigenen Sterblichkeit, eine Sehnsucht nach einer Zeit, die so schnell verstrichen ist, dass man den Eindruck hat, das eigene Leben verpasst zu haben. Die Hoffnung, mit der Expertise des gealterten Ichs das Leben im Körper des jungen Ichs nochmal, und besser, zu erleben, gründet darin, dass wir, so der französische Philosoph Clément Rosset in Le réel et son double, stets versuchen, den Skandal der ontologischen Einmaligkeit des Seins anzufechten, indem wir Spuren unseres vergangenen Ichs hinterlassen. Wie in The Substance die zahlreichen Plakate in den Gängen des Studios. Oder wir versuchen, uns zu verdoppeln oder gar zu vervielfachen. Das starke Referenznetz in The Substance könnte die Leere von Elisabeth Sparkles Welt filmästhetisch aufwerten.