Das war peinlich. Nur rund zwei Wochen nachdem der britische Premierminister Boris Johnson eine Primärschule in Coalville rund 200 Kilometer nördlich von London besuchte, um zu demonstrieren, wie sicher Unterricht in Coronazeiten ist, musste die Schule aufgrund mehrerer, positiv getesteter Schüler wieder schließen.
Auch in Luxemburg beginnt der Start in die „neue Normalität“, wie Bildungsminister Claude Meisch (DP) die erste Rentrée seit Ausbruch der Pandemie bezeichnet, holprig: An der International School waren in der ersten Schulwoche 58 Jugendliche heimgeschickt worden, nachdem sie mit fünf positiv getesteten Mitschülern in Kontakt gekommen waren. Noch ehe der Unterricht richtig begonnen hatte und obwohl die strengen Hygienemaßnahmen – Händewaschen, Distanz halten, Räume putzen – auch nach den Ferien gelten. Sie hatten das Virus vermutlich aus dem Urlaub mitgebracht.
Mit dem Virus lernen Nun sind Verdachtsfälle, das zeigen die Erfahrungen, nicht gleichbedeutend mit positiv getestet (und die nicht mit Covid-19-Erkrankungen). Neben den Hygienemaßnahmen sorgte eine eher extensive Anwendung der Quarantäne in Luxemburgs Schulen dafür, dass die Zahlen derjenigen, die sich dort ansteckten, verhältnismäßig niedrig geblieben sind: Die meisten Verdachtsfälle stellten sich im Nachhinein als falsch heraus und die Betreffenden konnten in ihre Klassen zurückkehren.
Die Regierung hat seit dieser Woche landesweit Briefe verschickt, in denen sie Schüler/innen und Lehrer /innen einlädt, sich kostenlos testen zu lassen. Ein mobiles Team soll bei Bedarf zudem flexibel in den Schulen testen können. So will sich die Gesundheitsinspektion ein Bild über das Infektionsgeschehen zum Schulstart machen, Verdachtsfälle frühzeitig erkennen und unter Kontrolle zu bringen. Ein Ansatz der, so die Interimsanalyse zum Coronavirus in den Schulen, vielversprechend ist.
Die Quarantäne ist eine der Stellschrauben, an der die Verantwortlichen drehen. Auf Land-Nachfrage hatte Forscher Paul Wilmes bereits im August angedeutet: „Die Quarantäne wurde streng angewandt; da gibt es möglicherweise Spielraum.“ Als Minister Claude Meisch sich vergangene Woche mit den Direktoren kurzschließ, erläuterte er den dreiphasigen Stufenplan: So soll eine ganze Klasse nur dann in Quarantäne geschickt werden, wenn sich eine Infektionskette abzeichnet, das heißt mehrere positiv getestete Schüler und Verdachtsfälle. Gibt es nur einen Fall, sollen sich Mitschüler in der Klasse mit der Maske schützen und Abstand halten; wer im engen Kontakt mit dem Schüler war, wird vorsorglich getestet, ansonsten läuft der Unterricht normal weiter. „Das ist sinnvoll“, findet Jean-Claude Hemmer, Direktor des Lycée Michel Rodange. Die Quarantäne einer Klasse ist insofern aufwändig, weil (noch mehr) Unterricht auszufallen droht, und sie Familien belastet: Wer passt auf die Kinder auf und kümmert sich ums Homeschooling, wenn beide Eltern berufstätig sind?
Im Lycée Michel Rodange behalten Schüler und Lehrer die Maske nicht nur, wie landesweit vorgeschrieben, für den Gang durchs Schulgebäude, auf dem Hof und in der Kantine auf, sondern auch im Klassenzimmer. Covid-19-freie Schulen haben hier Entscheidungsfreiheit. „Damit wollen wir Ängsten vorbeugen“, betont Hemmer mit Blick auf besorgte Schüler, Eltern, und Lehrer. Das Lycée Aline Mayrisch (LAML) und das Athenäum hatten sich dazu bereits entschlossen – jetzt zieht das Michel Rodange nach. „Unterschiedliche Regeln auf dem gemeinsamen Campus machen keinen Sinn“, erklärt LAML-Direktorin Corale Chaine. „Wir wollen allen ein weitgehendes Gefühl der Sicherheit vermitteln.“
Schutz für alle Denn mit dem Schuljahr 2020/2021 sollen auch besonders schutzbedürftige Schüler und Lehrer, soweit möglich, in die Klassen zurückkehren. Wie das konkret aussehen kann, war einer der Punkte, bei denen der Schulminister auf seiner Pressekonferenz vor zwei Wochen vage blieb. Kein Wunder, die Gegebenheiten vor Ort unterscheiden sich je nach Schule teils sehr: Einige haben den Platz und können Schüler in Klein-Gruppen betreuen oder die Bänke so auseinanderziehen, um zusätzlichen Schutz vorzusehen, über das für alle verbindliche Maß hinaus. Andere Lyzeen, wie das Michel Rodange, verstärken den Schutz durch Plexiglaskonstruktionen.
Im Lycée technique Mathias Adam in Petingen wird die Lehrervollversammlung zur Rentrée in Anwesenheit stattfinden, andere Schulen setzen, zumindest in der Anfangszeit, weiter auf Visiokonferenzen: „Wir haben den Festsaal, den wir ja nicht nutzen, für diese Zweck umgestaltet“, erklärt Direktor Pascal Marin. Für Prüfungen werden die Tische so weit auseinandergerückt, dass die Schüler/innen ohne Maske büffeln können.
Die mechanische Belüftung am LTMA, wegen der mangelnden Flexibilität sonst nicht immer praktisch, hat den Vorteil, einen kompletten Austausch von Frischluft zu erlauben. Forschern haben festgestellt, dass das Coronavirus über mehrere Meter weit durch die Luft übertragen werden kann, etwa durch Niesen oder sogar durch Atemluft. Die WHO empfiehlt, entsprechende Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Meischs eindringlicher Appell an die Verantwortlichen lautete deshalb: „Lüften, Lüften, Lüften.“ So steht es auch in einem Rundschreiben, das den Schulen zugeschickt wurde. „Wir appellieren ans Lehrpersonal, für möglichst viel Luftzirkulation zu sorgen“, so Marin. Auch in Turnhallen oder im Musikunterricht beim Singen ist besondere Vorsicht geboten.
Mehr Unterricht im Freien Die Regeln für den Sportunterricht sind nicht bis ins letzte Detail geklärt: „Wir warten auf Vorgaben für die Umkleideräume“, sagt Pascal Marin. Die Masken müssen auf dem Weg in die Halle auf-, können beim Turnen aber abgesetzt werden. Schulen, die das Glück haben, über ein Sportfeld im Freien zu verfügen, wie beispielsweise das Atert-Lycée in Redingen, planen, diese stärker zu benutzen. Das Lyzeum im Westen hat vorgemacht, wie man trotz Corona mit über 1000 Schülern feiern kann: Zum Abschied ihres Direktors hatten sich alle maskiert vor der Schule versammelt und ein Spalier gebildet.
Allerdings heißt es aufgepasst: Herbst/Winter ist traditionell die Erkältungszeit. Um durch Grippesymptome kein Durcheinander zu schaffen und Lehrer wie Schüler nicht unnötig zu belasten, appelliert Meisch dieses Jahr an alle Eltern, erkältete Kinder nicht in die Schule zu schicken. Corona-Symptome von Grippe-Symptomen zu unterscheiden, ist nicht so einfach, dabei soll ein Leitfaden helfen. Bisher ist es an der Grippe-Front laut Gesundheitsministerium aber ruhig.
Begegnungszentrum Schule Es gibt noch weitere Problemzone in und rund um die Schulen: die Bibliothek, der Schulhof oder, die Mensa. Vor Corona standen Schüler oft gern in Gruppen im Hof zusammen; jetzt dürfen am Mittagstisch maximal zehn Schüler zusammensitzen, am besten aus einer Klasse. „Wir überlegen, wie wir Stoßzeiten, wo viele Schüler aufeinandertreffen, besser entzerren können“, sagt Jean-Claude Hemmer vom Lycée Michel Rodange. Durch Leitsysteme, versetzte Pausen und dezentrale Essensausgaben sollen Menschenansammlungen vermieden werden. Eine Achillesferse bleibt der Schülertransport: Ertönt der Schlussgong stürzen sich oft hunderte Schüler durch die Türen ins Freie und laufen zum Bus. „Spätestens da sitzen sie alle wild durcheinander“, befürchtet Carole Chaine.
Trotz dieser offenen Fragen scheint die Kommunikation zu dieser Rentrée dem Minister besser zu gelingen, echte Kritik an seinem Stufenplan ist jedenfalls bisher ausgeblieben; wahrscheinlich weil Meisch Direktionen, Eltern, Schüler und auch die Gewerkschaften diesmal frühzeitig eingebunden und ihnen die Pläne im Vorfeld vorgestellt hat. Die Elternvertretung begrüßte den Austausch, allerdings macht sie sich Sorgen um die Lernschwachen: Es gebe Schüler, die daheim besser begleitet wurden und andere die während des Lockdown nicht wirklich mitkamen, etwa weil Eltern keine der Unterrichtssprachen sprechen, sorgte sich Elternsprecher Alain Massen im Paperjam. Dem Abstand zwischen starken und schwachen Schülern gilt neben dem regulären Unterricht besondere Aufmerksamkeit. „Dass die Bildungsungerechtigkeit während der Pandemie zugenommen hat, ist wahrscheinlich“, mahnt Luc Weis vom Service de Coordination de la Recherche et de l‘Innovation pédagogiques et technologiques in Walferdingen. Hier sind zusätzliche Anstrengungen in den Grund- und Sekundarschulen verlangt von ohnehin durch die Krise stark beanspruchten Lehrer/innen.
Spaß muss sein Trotzdem verbreiten die Schuldirektionen Zuversicht und Optimismus. „Wir wollen alle, dass soweit möglich wieder ein Alltag einkehrt“, betont Direktor Jean-Claude Hemmer. Dabei gehe es nicht nur darum, dass Schüler verpassten Lernstoff aufholen. „Um zu lernen, brauchen Kinder und Jugendliche Vertrauen und Motivation“, so LAML-Direktorin Carole Chaine. „Das geht nur, wenn wir es schaffen, ihnen auch Freude am Lernen zu vermitteln“. Das wird die eigentliche Herausforderung sein, von der noch niemand weiß, wie gut sie gelingt: eine Lernumgebung zu schaffen, in denen sich alle, auch die ängstlicheren, unter den Jugendlichen und Lehrern, sicher genug spüren, dass sie mit Freude wieder in die Schule kommen.
Während des Lockdown, als die Schulen geschlossen waren, stellte die Schulen auf Homeschooling um. Aufgerüstete Online-Lernplattformen sowie Webinars für Lehrer, Lerntipps und Vakanzen-Hefte für Schüler sollten helfen, das virtuelle Lernen, so gut es ging, zu unterstützen. Was in einer ersten Phase improvisiert und recht schnell zusammengesucht wurde, soll überarbeitet werden, um das Online-Angebot übersichtlicher zu gestalten. Auch will das Bildungsministerium 15 500 weitere Tablets nachkaufen.
Unklar bleibt, wie nachhaltig die durch die Krise enrom beschleunigte Digitalisierung in den Schulen sein wird. Vieles spricht dafür, dass die Krise in der Hinsicht so etwas wie eine Chance war: Hatten vor der Coronakrise rund 15 000 die MathemaTIC-Lernplattform genutzt, waren es während des Lockdown 25 000. „Wir haben eine enorme Steigerung der Nutzerzahlen registriert“, erzählt Luc Weis, Leiter des Script, das für die Entwicklung der .didaktischen Materialien zuständig ist.
Was bleibt? DieMaterialien, die das Script dieses Schuljahr neu herausgibt, werden auch in einer digitalen Version verfügbar sein; das Weiterbildungsangebot für Lehrer zum Online-Unterricht wird ausgebaut. Ab diesem Schuljahr wird landesweit das Kodieren eingeführt; dafür stehen 15 spezialisierte Lehrer zur Verfügung, pro Region eine/r. In den Sekundarschulen sowieso, aber auch in den Grundschulen kamen während des Homeschooling Schüler und Lehrer verstärkt über Whatsapp, Zoom, Skype, inzwischen hauptsächlich über Teams, zusammen. In Stoßzeiten haben bis zu 800 Lehrern an Webinars teilgenommen, offenbar ohne größere technische Probleme, erzählt Luc Weis. Auch Sorgen um die Leistungskapazität der Netzte bewahrheiten sich nicht: Die Belastungsspitzen während des Lockdown, als tausende Schüler/innen und ihre Lehrer sich online austauschten, habe das Netz insgesamt gut verkraftet, so Weis im Rückblick.
Und trotzdem wird das digitale Klassenzimmer die ungleich verteilten Bildungschancen, die das Luxemburger Schulsystem prägen, nicht ausgleichen: es scheint, dass die Online-Angebote von einkommensschwächeren Haushalten weniger genutzt wurden. Der nächste Bildungsbericht soll sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung befassen; das Bildungsobservatorium hat sich in seinem Bericht den Kompetenzen des 21. Jahrhunderts gewidmet, ist fertig gedruckt, aber wegen der Pandemie bisher nicht veröffentlicht. Bei der Online-Lernlattform schouldoheem.lu wurden, obwohl mittlerweile fünfsprachig (Deutsch, Englisch, Französisch, Luxemburgisch und Portugiesisch) die portugiesischen Angebote nur zu einem Prozent genutzt. Ob das daran liegt, dass lusophone Nutzer/innen lieber auf Luxemburgisch oder französische Inhalte zugreifen, lässt sich aus den Daten aber nicht ablesen.
Dass Nachhilfebedarf besteht, zeigt die große Nachfrage bei der Summerschool: Rund 48 000 Nutzer/innen griffen auf die Nachhilfeangebote zu, 50 000 Mal wurden Aufgaben und Übungen heruntergeladen. Das Ministerium überlegt deshalb, diese Angebote auch in den nächsten Ferien wieder anzubieten.