Die Tagesordnung für die von Minister Mars Di Bartolomeo im Herbst geplante Nationale Gesundheitskonferenz füllt sich allmählich. Nicht nur sollen dort der Ausbau der Präventivmedizin oder ein Maßnahmenkatalog für die Psychiatriereform (d'Land, 01.07.2005) diskutiert werden. Am Mittwoch vor einer Woche sagte Di Bartolomeo, auf der Gesundheitskonferenz könnte auch über eine Verbesserung der medizinischen Notdienste gesprochen werden. Das hauptstädtische Centre hospitalier hatte zu einem Kolloquium über die Notfallversorgung in den Krankenhäusern eingeladen und eine Studie über die Inanspruchnahme seiner eigenen "Urgence" vorgestellt. Resultat: Immer mehr Patienten suchen den Notdienst auf. Waren es 1994 noch 9 611 Patienten gewesen, waren es 11 249 im Jahr 2001. Damit liegt die Klinik im internationalen Trend und der nationale folgt dem Bevölkerungswachstum. Doch gleichzeitig würden immer weniger Notfallpatienten auf Station eingewiesen, sagt Martine Stein-Mergen, Ko-Autorin der Studie und Notfallmedizinerin am CHL. Immer häufiger würde der Notdienst zu Arztkonsultationen genutzt. Eine im Frühjahr 2002 durchgeführte Feinanalyse der Notdienstbenutzung mit Befragung der Patienten ergab darüber hinaus, dass 61 Prozent von ihnen auch von ihrem Hausarzt hätten behandelt werden können. Ihren eigenen Angaben nach aber waren 69 Prozent der Patienten sich nicht sicher, ob der Hausarzt tatsächlich kompetent genug für ihren Fall gewesen wäre oder über die nötigen medizinischen Geräte verfügt hätte. Und so kontaktierten 72 Prozent der Notdienstbenutzer ihren Hausarzt gar nicht erst, obwohl er wahrscheinlich zu erreichen gewesen wäre - denn überwiegend wurde, ergab die Studie, der CHL-Notfalldienst tagsüber aufgesucht: 88 Prozent der Patienten erschienen zwischen 8 und 18 Uhr.
Ganz neu sind diese Erkenntnisse nicht. Als etwa am 25. Februar 2003 die Chamber im Rahmen einer Aktuellen Stunde über die Klinik-Notdienste debattierte, erklärte der damalige Gesundheitsminister Carlo Wagner (DP), seinen Informationen nach gehörten wohl nur um die 30 Prozent der dort behandelten Fälle tatsächlich in eine "Urgence". Zehn bis 20 Prozent seien sogar "Missbräuche". Eine in der Notaufnahme des Escher Stadtkrankenhauses unlängst durchgeführte Analyse durch Experten der TU Berlin ergab ebenfalls, dass in dieser Klinik, die in der Südregion jeden Tag und rund um die Uhr die Notversorgung garantiert, in 19 Prozent der Fälle von "Bagatellen" gesprochen werden kann und 15 Prozent lediglich einer raschen Arztkonsultation dienen sollten.
Was tun, wenn, so Philippe Turk, Direktor der Zitha-Klinik in Luxemburg-Stadt, "die Notaufnahmen oft wirklich hart am Limit arbeiten", und die asbl Patiente-Vertriedung zugleich immer mehr Beschwerden über zu lange Wartezeiten in den Notdiensten und eine Abfertigung, die so manchen Patienten suspekt erscheint, empfängt? - Um die Kliniken zu entlasten, könnte das Angebot der niedergelassenen Allgemeinmediziner "verstärkt" werden, lautete letzte Woche ein Vorschlag auf dem CHL-Kolloquium. Dass "die Disponibilität der Generalisten stark gesunken" sei, glaubt auch Philippe Turk: "Wir haben heute 874 Spezialisten und 399 Generalisten im Lande. Von den Generalisten aber sind immer mehr in Bereichen wie der Pflegeversorgung tätig oder in der Sozialversicherung angestellt." Der Hausarzt-Mangel werde sich in den kommenden Jahren wohl noch verstärken, bedenkt man die Prognosen der Ärztegewerkschaft AMMD zur "Mediziner-Demografie": Das Gros der praktizierenden Generalisten fällt demnach unter die Jahrgänge 1950 bis 1959. Extrapoliert man diese Daten, könnte ab 2015, wenn die Einwohnerzahl Luxemburgs sich der halben Million nähern dürfte, die Zahl der Hausärzte um 30 Prozent gegenüber dem Jahr 2001 gesunken sein.
Dennoch naht von Seiten der Generalisten derzeit Hilfe: Die AMMD arbeitet an einem "Globalkonzept für den Bereitschaftsdienst". Nachdem der neue Plan hospitalier das Land in die drei "régions sanitaires" Zentrum, Süden und Norden eingeteilt hatte, gibt es seit April 2002 einen "Service de remplacement de nuit": Nacht für Nacht sind an den Werktagen im Norden und im Süden zwei, im Zentrum drei Allgemeinmediziner zwischen 22 und sieben Uhr morgens abrufbereit und können Patienten zu Hause aufsuchen. "Wir stellen aber fest, dass vor allem mitten in der Nacht Hausbesuche immer seltener nachgefragt werden", sagt Claude Schummer, der den Bereitschaftsdienst innerhalb der AMMD koordiniert. "Dafür gehen immer mehr Leute tagsüber zu ihrem Hausarzt. Sie wollen also eher Konsultationen als Visiten daheim." Was die AMMD bis zum Herbst in ein Gesamtkonzept kleiden will, soll die Notdienste der Kliniken entlasten: Zum einen könnten Generalistenpraxen, die sich in der Nähe von Krankenhäusern mit Notdienst befinden, mit diesen Konventionen abschließen. Danach könnten tagsüber die die Vorauswahl der eingetroffenen Patienten nach der Schwere ihrer Fälle vornehmenden Krankenhausmitarbeiter die ihrer Meinung nach für eine Behandlung durch Generalisten in Frage kommenden Patienten dorthin schicken. In den Abend- und Nachtstunden könnte der "Service de remplacement de nuit" außerdem so modifiziert werden, dass in den Städten mit Notfallkliniken (Luxemburg-Stadt, Esch und Ettelbrück) je eine Allgemeinarztpraxis geöffnet bleibt. Während je nach Region zurzeit noch zwei bzw. drei Generalisten mit Auto und Chauffeur auf Hausbesuchsanfragen warten, könnte künftig mindestens ein Arzt in der Praxis für Konsultationen zur Verfügung stehen - und zwar auch am Wochenende und an Feiertagen. Auch eine telefonische Beratung könnte eingerichtet werden, denn, so Claude Schummer, "nicht wenigen Patienten ist schon mit einem kompetenten Rat geholfen".
Noch ist das Projekt auch innerhalb der Ärzteschaft nicht ausdikutiert. "Auf keinen Fall darf es dazu führen, dass man an der Ausstattung der Kliniknotdienste spart“, warnt Michel Nathan, medizinischer Direktor des Centre hospitalier Emile Mayrisch Esch/Düdelingen. "Bessere Hausarztversorgung ist immer gut. Aber selbst wenn der neue Bereitschaftsdienst den Notdienst meiner Klinik entlasten würde, brauchte ich dennoch den gleichen Notaufnahme-Staff: zum Röntgen, im Labor, für die Bereitschaft im Operationssaal, für Anästhesie, Reanimation und so weiter."
Damit kommt die Notfallversorgung dort an, woran das öffentliche Gesundheitswesen sich irgendwann immer wieder stößt - bei der Frage: Was will man, was ist nützlich und notwendig? Denn immerhin könnte es ja sein, dass ein ausgeweitetes Generalistenangebot gar nicht auf derart viel Interesse stößt, wenn es dem Patienten überlassen wird, seine Beschwerden einzuschätzen und zu entscheiden, ob sie eher ein Fall für eine Arzt-Nachtpraxis oder den Notdienst einer Klinik wären. Im Zweifelsfall könnten auch weiterhin viele Patienten dem konzentrierten Aufgebot an Personal und Technik der Spitäler vertrauen; zum einen aus Unsicherheit, zum anderen aber auch, weil in der Bevölkerung die Bereitschaft, bei Verfehlungen der Mediziner Klage vor Gericht zu führen, immer weiter wächst.
So dass die Gesundheitskonferenz im Herbst gar nicht anders können wird, als eine verbesserte Hausarztversorgung und eine gleichzeitig hochwertige Ausstattung der Kliniknotdienste anzustreben. Und dass, obwohl die Sachleistungsausgaben der Krankenkassen immer weiter steigen und der Gesundheits- und Sozialminister dem Vernehmen in diesem Jahr nicht einer erneuten Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge zustimmen will, falls den Kassen ein erneutes Defizit droht, sondern "Sparmaßnahmen" den Vorzug geben würde.
Schon jetzt aber gibt es finanzielle Disparitäten in der Notversorgung: Mit Ausnahme der fest angestellten Ärzte am CHL sowie generell der Anästhesisten und SAMU-Ärzte leisten die anderen Spezialisten an den Notdienstkliniken Zitha, Kirchberg, Esch und Ettelbrück ihre Bereitschaftsdienste als freiberufliche Belegärzte unentgeltlich und verdienen nur Geld, falls sie einen Behandlungsakt erbringen können. Gelegentlich führt das zu unnötigen Behandlungen. Doch andererseits gibt es Notfall-Spitäler, die nur mit Mühe ausreichend viele Spezialisten zur Absicherung ihrer Bereitschaftsdienste finden. Noch hat kein Ärzteprozess auf diesen Umstand öffentlichkeitswirksam hinweisen müssen. Bleibt abzuwarten, ob die Gesundheitskonferenz in ein paar Monaten feststellen wird, dass die Notfallversorgung schon heute ein Strukturproblem hat, weil sie offenbar unterfinanziert ist.