Menetekel Einfamilienhaus

Home, sweet home

d'Lëtzebuerger Land vom 23.05.2002

Es gibt einen geflügelten Satz, der unter Architekten, Stadt- und Landesplanern, Gemeindeverantwortlichen und Wohnungsbaupolitikern umgeht: "D'Lëtzebuerger hätten am léifsten e Bauerenhaff an der Groussgaass." Der alte Gegensatz von Stadt und Land - das urbane Leben, das die Sinne erregt, gegenüber dem Beruhigenden, Naturnahen auf dem Lande. Glücklich darf sich schon schätzen, wer so wohnt, dass er diesem Ideal zumindest nahe kommt.

Doch dieser Wunsch hilft mit, die Städte zu zerstören. Zwar kann in Luxemburg nicht die Rede sein von einer regelrechten Flucht aus den Städten. Und das Bevölkerungswachstum mit seinem Plus von über 14 Prozent zwischen 1991 und 2001 war so hoch, dass die Einwohnerzahl in diesen zehn Jahren in allen 118 Gemeinden zugenommen hat. In und im Umkreis der Hauptstadt aber ist durchaus jenes Phänomen zu beobachten, das in Ballungszentren im europäischen Ausland immer größere Sorgen bereitet: Die Einwohnerzahl von Luxemburg-Stadt stieg zwischen 1991 und 2001 nur geringfügig von  75 833 auf 76 687, hatte in diesen zehn Jahren allerdings um die 80 000 oszilliert. Hauptstadtschöffe Laurent Mosar (CSV) meinte am 18. Mai 2002 in einem Interview mit dem Luxemburger Wort, die Hauptstadt habe 4 000 Einwohner verloren.

Derweil wuchs die Bevölkerung der Umlandgemeinden stetig: Zwischen 1991 und 2001 in Walferdingen um elf Prozent, in Strassen um 20, in Steinsel um 25 und in Bartringen um 30 Prozent. Zusammengebracht mit dem schwachen Einwohnerzuwachs der Hauptstadt zum einen, mit der nahezu ausschließlichen Nutzung der Gebäude in ihrer Zentrums-Oberstadt für Bürozwecke zum zweiten, und zum dritten mit dem werktäglichen Arbeitspendlerstrom, der ungefähr noch einmal so groß ist wie ihre Einwohnerzahl, ergibt sich das Bild jener seltsamen Halb-Stadt, über die schon viel geredet wurde: tagsüber geschäftig, abends weitgehend unbelebt. Während im Umland immer mehr Menschen zum Schlafen in ihren Einfamilienhäusern verschwinden.

Der Wunsch nach einem eigenen Heim, nach Möglichkeit einem Einfamilienhaus, vom Staat seit je gefördert und tief verankert in der Kultur des Landes, zeitigt vor dem Hintergrund steigender Grundstückspreise und zunehmender Bevölkerung unangenehme Nebenwirkungen. Zwar sind die Preise in Luxemburg-Stadt noch immer besonders hoch: Auf zwei bis drei Millionen Franken pro Ar im Nobelstadtteil Belair wurden sie am 18. Juli 2001 in der Chamber während der Diskussion um die Wohnungsbaupolitik beziffert. Die Umlandgemeinden aber ziehen nach: Steinsel beispielsweise mit einem Anstieg von 220 000 Franken im Jahre 1990 auf 850 000 Franken im Jahr 2000. Und im Landessüden wurde vor zwei Jahren ebenfalls schon bis zu einer Million Franken pro Ar verlangt - das Drei- bis Vierfache gegenüber 1990.

Die Ankündigung von Premier Jean-Claude Juncker in seiner Erklärung zur Lage der Nation, durch ein Maßnahmebündel aus steuerlichen Anreizen Baugrundbesitzer, die ihre Terrains angesichts des Preisbooms lieber zurückhalten, dazu zu bewegen, diese auf den Markt zu werfen, hat die soziale Dimension des Wohnungsproblems im Auge: den akuten Mangel. Bedenklich ist allerdings, dass Baugrund vermehrt und preisgünstiger zur Verfügung gestellt werden soll, während noch nicht klar ist, wie und wo gebaut werden müsste.

70 Prozent der Haushalte leben heute in einem Eigenheim, 32 Prozent in einem Einfamilienhaus. Doch diese Form des home, sweet home ist aus verschiedenen Gründen unheimlich. Zum einen fördert sie am stärksten die Zersiedelung des ohnehin knappen Territoriums: Zwischen 1950 und 1990 wurden davon 200 Quadratkilometer urbanisiert, das sind 500 Hektar pro Jahr. 9,9 Prozent betrug der Anteil der durch Bebauung versiegelten Fläche 1998. Damit sei "ein kritischer Wert erreicht", hielt der im Mai 1999 vom damals LSAP-geführten Umweltministerium entworfene Plan national pour un développement durable fest. Zweitens kommt das Wohnen im Einfamilienhaus einer energetischen Ökosünde gleich. Ein nach den in Luxemburg geltenden Wärmeschutzstandards errichtetes Einfamilienhaus benötigt wegen der größeren Zahl von Außenwänden allein zum Heizen 17 Prozent mehr Energie als ein Doppelhaus, 35 Prozent mehr als ein Reihenhaus. Abschwächen dürfte dieser Nachteil sich jedoch, wenn Gebrauch von der vom Umweltministerium bezuschussten Niedrig- und Passivhaustechnologie gemacht wird: Erstere verbessert die Energieeffizienz beim Heizen um die Hälfte, Letztere gar um bis zu 87 Prozent. Dutzende Anfragen hat die Agence de l'énergie in Remerschen bereits erhalten; doch bislang sind beim Umweltministerium erst zwei Förderanträge eingegangen. Gerechnet wird mit einem deutlichen Zuwachs, wenn das Förderangebot sich weiter herumspricht.

Das Energieproblem ist damit noch relativ leicht beeinflussbar. Das Carnet de l'habitat, das Wohnungsbau- und Umweltministerium in den nächsten Wochen vorstellen wollen und Hausbesitzern unter anderem auch Subsidien für Wärmedämmmaßnahmen anbieten wird, könnte wenigstens mittelfristig für weitere Verbesserung sorgen. Weitaus gravierender im Zusammenhang mit weiterer Zersiedelung des Landes ist das Verkehrsproblem: Zwischen 1961 und 1991 stieg die Zahl derer, die außerhalb ihrer Wohngemeinde arbeiten, von 32 000 auf 92 000. An einem normalen Arbeitstag legen die Berufstätigen Luxemburgs - ohne Grenzgängerverkehr - 1,2 Millionen Fahrten zurück, zu 86 Prozent im Auto.

Und darin besteht der wahrscheinlich größte Pferdefuß der vom Premier angekündigten Initiative: Belebt sie den Markt, könnte sie im besten Falle auch den Schlechterverdienenden zum Eigenheim verhelfen. Einen Hinweis darauf, wie wenig hier zu Lande der Wunsch nach Eigenheim und Einfamilienhaus sich ausschließlich auf Betuchtere beschränkt, lieferte die vor zwei Jahren vom Differdinger Sozialforschungsinstitut Ceps angefertigte Studie über die Types de logement priviligiés par les menages changeant de résidence, die unter Haushalten mit einem monatlichen Familieneinkommen von 2 107 Euro und weniger durchgeführt wurde: 47 Prozent der befragten Haushalte strebten Hauseigentum an, 41,5 Prozent unter ihnen wollten am liebsten in ein Einfamilienhaus ziehen.

Doch: Inwiefern bei fallenden Grundstückspreisen potenzielle Eigenheimbesitzer näher an ihren Arbeitsort ziehen könnten, weiß niemand abzuschätzen. Absehbar ist jedoch, dass durch den Preisverfall größer gebaut werden dürfte. "Die hohen Grundstückspreise haben bisher eine noch stärkere Zersiedelung des Landes verhindert", sagt eine Architektin, die lieber nicht namentlich genannt werden möchte. Und der LSAP-Abgeordnete Mars di Bartolomeo beklagte in der Chamber-Diskussion zum Wohnungsbau: "Eng kleng Bauplaz vun zwee bis dräi Ar fir e léift Reihenhaus fënnt ee kaum nach. Ugebuede gi Plaze vu fënnef bis sechs Ar fir e Bungalow, wa méiglech mat héiche Maueren an Hecke ronderëm!"

Damit wird die Wohnungsfrage zu einer von Stadt- und Landesplanung. Und zu einem politischen Minenfeld. Steigende Bevölkerungszahlen vor den Augen, hat das Innenministerium, von dem Bebauungspläne begutachtet werden, damit begonnen, die Genehmigung von bebaubarem Grund pro Haus restriktiver zu handhaben - ein Thema, das die 700 000-Gegner um Henri Hosch schon aufgegriffen haben.

Wohnungsbauminister Fernand Boden (CSV) kündigte Ende letzten Jahres sein Aktionsprogramm Wohnungsbau an. Es sieht unter anderem vor, in enger Zusammenarbeit mit den Gemeinden den Wohnungsbau stärker unter urbanistischen Gesichtspunken zu bedenken. Es liefe darauf hinaus, verdichteter zu bauen und zu einer stärkeren Mischung urbaner Funktionen zu gelangen. Breite Akzeptanz dafür ließe sich in der Luxemburger Häuschenbauer-Kultur wohl nur erreichen, holte man die an Wohnungen Interessierten dort ab, wo sie stehen - sich einen "Bauerenhaff an der Groussgaass" wünschend. Ansätze gibt es zwar. Etwa, wenn der Fonds de logement wann immer möglich in den von ihm gebauten Siedlungen Gärten, Geschäfte, Spielplätze anlegt. Auch erste private Siedlungs-Bauherren finden solche Ideen interessant - Projekte wie Am Wénkel in Bartringen oder die Neunutzung des ehemaligen Cérabati-Werksgeländes in Grevenmacher (siehe d'Land vom 29. März 2002) belegen das. Noch aber stellen solche Modelle, obwohl im Ausland längst erfolgreich angewandt, in Luxemburg kein Leitbild dar.

Doch nicht nur zur Eindämmung von Zersiedelung und Verkehr führt kein Weg an ihnen vorbei. Auch in Luxemburg nimmt die Zahl der Singles zu, wird seit Jahren jede zweite Ehe geschieden, bewegt die Zahl der Personen pro Haushalt sich seit 1997 auf historisch niedrigen 2,7. Hinzu kommt: Luxemburg ist nicht nur ein Einwanderungs- sondern auch ein Auswanderungsland. Im Jahr 2000 ließen sich 11 765 Ausländer hier nieder, zugleich aber verließen 8 121 Einwohner das Großherzogtum. Bei weiterer europäischer Integration und wachsender Über-Regionalisierung der Luxemburger Wirtschaft dürfte sich die Zahl derer noch erhöhen, die nur an einem zeitweiligen Aufenthalt hier zu Lande interessiert sind und an Eigenheimen gar nicht. Woraus ein steigender Bedarf an Mietwohnungen folgen würde. Am besten in städtischen Lagen.

Peter Feist
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