Will die Regierung den NGDO-Sektor restrukturieren, um zu sparen? Xavier Bettel beschwichtigt, doch das Budget hat er schon gekürzt

„Ce document présente la nouvelle structure“

In guter Gesellschaft: Xavier Bettel mit Léon Gloden und Georges Mischo im Parlament
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 01.11.2024

Als Xavier Bettel (DP) wenige Monate nach seiner Vereidigung zum Außen- und Kooperationsminister ankündigte, den Bereich Sensibilisierung und Bildung für nachhaltige Entwicklung, in dem die entwicklungspolitischen und humanitären Nichtregierungsorganisationen seit Jahrzehnten tätig sind, vollständig zu restrukturieren, versetzte er den gesamten Sektor in Aufruhr. Insbesondere, weil er die einjährigen Projekte, die die kleineren Nichtregierungsorganisationen (NGDO) vor den Kammerwahlen bei seinem Vorgänger im Kooperationsministerium Franz Fayot (LSAP) eingereicht hatten, die Genehmigung verweigerte, und auch die dreijährigen Rahmenverträge, über die die größeren NGDOs Zuschüsse vom Staat erhalten, lediglich um ein Jahr verlängerte, verloren sie ihre Planungssicherheit und befürchteten, dass sie Mitarbeiter entlassen müssten. Bis Ende 2025 solle „déi nei Struktur“, die er etablieren wolle, umgesetzt sein, sagte Xavier Bettel (d‘Land, 9.8.2024). Darüber, wie diese Struktur aussehen soll, herrscht bis heute Ungewissheit.

Am 16. Mai hatte der Kooperationsminister seine Entscheidung im Parlament damit begründet, dass es nicht Aufgabe des Staates sei, die PR-Beauftragten der NGDOs zu finanzieren. Beweise oder Beispiele für diese Unterstellung legte Bettel nicht vor; die Organisationen bestreiten, dass sie die staatlichen Zuschüsse zur Bezahlung von PR-Beauftragten nutzen – nicht zuletzt, weil solche Stellen in den allgemeinen Bestimmungen des Ministeriums, denen NGDOs unterliegen, nicht vorgesehen sind. Zwar gibt es Beschäftigte, die im Bereich der Kommunikation ausgebildet sind, doch sie leisten keine Öffentlichkeitsarbeit im eigentlichen Sinn, sondern koordinieren lediglich die Kampagnen der NGDOs, die vor allem humanitäre, ökologische oder soziale Ziele verfolgen.

Im Parlament verkündete Bettel ebenfalls, dass er die Koordination zwischen den NGDOs verbessern wolle, damit nicht das Ministerium entscheiden muss, welche Projekte der Staat finanziert und welche nicht. Die Restrukturierung wolle er mit dem Sektor gemeinsam durchführen, beteuerte der Kooperationsminister, und betonte gleichzeitig, dass noch überhaupt nichts entschieden sei und ihm kein Zacken aus der Krone falle, wenn die Reform scheitere. Sie solle in Arbeitsgruppen zwischen dem Ministerium und dem Sektor diskutiert und ausgearbeitet werden, sagte Bettel.

Eine Reform des Bereichs Sensibilisierung und Bildung für nachhaltige Entwicklung hatte bereits Bettels Vorgänger Franz Fayot eingeleitet. Der NGDO-Sektor hatte sich dem nicht verschlossen, erkannte selbst, dass bestimmte Prozeduren vereinfacht und die staatlichen Mittel kohärenter und zielführender eingesetzt werden könnten. Auf Anfrage Bettels unterbreitete der Dachverband der NGDOs, der Cercle de Coopération, dem Kooperationsministerium im Juni in einem mehrseitigen Papier konkrete Verbesserungsvorschläge, die zum Teil auf einem von Fayot in Auftrag gegebenen „Audit“ des belgischen Expertenkollektivs Cota basieren. Daraufhin hatte das Ministerium einen Fragenkatalog an die NGDOs geschickt, den diese umgehend beantworteten. Die von Bettel angekündigten Arbeitsgruppen zwischen dem Ministerium und dem Sektor wurden nie eingesetzt.

Stattdessen präsentierte das Kooperationsministerium den NGDOs am 4. Oktober in einer Arbeitssitzung seine Restrukturierungspläne, die sie umzusetzen hätten. Das zweiseitige Papier, das den Organisationen nicht im Vorfeld zugeschickt wurde, schafft gleich Fakten. Es beginnt mit dem Satz: „Ce document présente la nouvelle structure de collaboration entre le MAE et les ONGD en matière de sensibilisation et éducation au développement (SENS/ED), destinée à remplacer dès 2025 les appels à propositions.“ 19 der 20 Vorschläge des Cercle seien – mindestens teilweise – übernommen worden, behaupten die Mitarbeiterinnen des Ministeriums in dem Dokument.

In einer im Anschluss an die Sitzung vom 4. Oktober verfassten Analyse dieses Dokuments bestreiten die NGDOs diese Behauptung, denn tatsächlich hatten sie nur fünf konkrete Vorschläge formuliert, die zwar unterteilt waren, aber lediglich detailliertere Ideen zur Umsetzung dieser fünf Vorschläge enthielten. Darüber hinaus hat das Ministerium die Vorschläge der NGDOs nur vordergründig übernommen und sie an ihre eigenen Restrukturierungsvorstellungen angepasst. Die scheinen insbesondere darin zu bestehen, die Entscheidung über Projekte und Rahmenverträge im Bereich Sensibilisierung und Bildung für nachhaltige Entwicklung aus dem mit dieser Aufgabe überforderten Ministerium auszulagern und sie den NGDOs selbst zu überlassen. Die 25 bis 30 in diesem Bereich tätigen Organisationen will Xavier Bettel dazu bewegen, künftig nicht mehr eigene Projekte einzureichen, sondern nur noch ein gemeinsames Programm, das in drei bis sechs Themenkonsortien unterteilt wird und eine Laufzeit von sechs Jahren haben soll. Was die NGDOs, die zum Teil sehr unterschiedliche thematische und politische Ausrichtungen haben, nicht nur dazu zwingen würde, sich für mehrere Jahre an ein bestimmtes Themenfeld zu binden – sie würden auch forciert, sich inhaltlich zu einigen. Sich auf ein gemeinsames Programm festzulegen, dürfte beispielsweise für eine eher systemkritische und eine rein karitativ agierende NGDO nicht leicht werden, zudem würde es ihre jeweiligen Ansätze stark verwässern.

Schlug der Cercle vor, dass ein rein konsultatives Comité multi-acteurs (CMA) aus in der Entwicklungszusammenarbeit tätigen Spezialist/innen, Mitarbeiter/innen der betroffenen Ministerien und unabhängigen Expert/innen die NGDOs bei ihren Projektanfragen an das Kooperationsministerium transparent berät und begleitet, plant das Ministerium nun, das CMA als ausführendes Gremium zu konstituieren, ihm die Auswahl und die „Verwaltung“ der Projektanfragen der NGDOs zu überlassen und die Projekte in einem einzigen Programm zusammenzuführen, das der Kooperationsminister nur noch absegnen müsste. Zudem soll das CMA – ginge es nach Bettel – ausschließlich aus Mitarbeiter/innen der NGDOs bestehen, Beamte und unabhängige Experten könnten bei Bedarf sporadisch hinzugezogen werden. Dieser Vorschlag lässt kaum einen anderen Schluss zu, als dass das Ministerium mit der Auswahl der Projekte überfordert ist und diese Aufgabe nun an die NGDOs outsourcen will, damit Xavier Bettel nicht zusätzliche Mitarbeiter/innen einstellen muss. Mit dieser Lösung würde der Staat zwar Zeit und Geld sparen, sie würde aber auch unweigerlich zu Interessenkonflikten führen, da die im CMA vertretenen NGDO-Mitglieder unter Umständen über die Annahme oder die Ablehnung von Projekten (und die Verteilung von staatlichen Geldern) entscheiden müssten, die sie selbst eingereicht haben.

Viele NGDOs befürchten nun, dass Xavier Bettels Restrukturierung des Bereichs Sensibilisierung und Bildung für nachhaltige Entwicklung vor allem eine Austeritätsmaßnahme der CSV-DP-Regierung ist. Was insbesondere daran liegt, dass in dem von CSV-Finanzminister Gilles Roth Anfang Oktober vorgestellten mehrjährigen Haushaltsentwurf die Ausgaben für Sensibilisierung ab 2026 drastisch zurückgehen (von 4,5 auf 2,5 Millionen Euro). Zwar steigt 2025 der Budgetposten zur Finanzierung des Cercle de Coopération von 560 000 auf 1,6 Millionen Euro, weil Xavier Bettel den Dachverband weiter professionalisieren und ein großes Gebäude zur Unterbringung einer sogenannten Maison des ONGD – mutmaßlich zu Marktpreisen – anmieten will, doch insgesamt liegen die vom Staat geplanten Gesamtausgaben für Sensibilisierung und Bildung für nachhaltige Entwicklung ab 2026 mit 3,9 Millionen deutlich unter den für dieses Jahr (2024) veranschlagten 5,2 Millionen Euro. Im mehrjährigen Haushaltsentwurf, den Roth im März präsentiert hatte, standen diese Kürzungen noch nicht.

Am Freitag sagte Xavier Bettel den Mitgliedern der von der grünen Abgeordneten Joëlle Welfring beantragten und vom Minister sehr kurzfristig einberufenen Sitzung des außenpolitischen Kammerausschusses, die Beträge im mehrjährigen Haushaltsentwurf habe er eingetragen, bevor die Kosten für die neue Struktur beziffert worden seien, und sie würden vermutlich noch erhöht. Was jedoch nicht erklärt, wieso er dem Finanzminister im September geringere Budgetlinien ab 2026 übermittelte, statt einfach die fast jährlich linear leicht steigenden Beträge aus dem mehrjährigen Haushaltsentwurf zu übernehmen, den Gilles Roth im März vorgestellt hatte.

Die Unsicherheit im Sektor bleibt jedenfalls bestehen, weil Xavier Bettel zwar die einjährigen Projekte, die Ende des Jahres auslaufen, auf Druck der NGDOs um drei Monate verlängert hat, ohne aber zusätzliche finanzielle Unterstützung zur Verfügung zu stellen. Die Mitarbeiter/innen, die im Rahmen von Projekten beschäftigt sind, die nicht neu ausgeschrieben werden, sollen nun offenbar in der neuen Struktur unterkommen, beziehungsweise bei deren Aufbau mithelfen. Weil die Struktur aber erst Ende 2025 „en place“ sein soll, ist unklar, was bis dahin mit diesen Mitarbeiter/innen passieren soll. Das Ministerium geht offenbar davon aus, dass der Cercle sie übernimmt, dessen Budget Bettel ab 2025 um eine Million Euro aufstocken will.

In seinem am 4. Oktober verteilten Dokument zur Restrukturierung der Sensibilisierung und Bildung für nachhaltige Entwicklung fordert der Außenminister den Cercle und die ihm angegliederten NGDOs auf, ihm bis 14. November eine note de cadrage zukommen zu lassen, in der sie darlegen, wie sie seine Vorschläge praktisch umsetzen wollen. Weil aber im Sektor kaum jemand versteht, was der Minister eigentlich will und seine Restrukturierungspläne – soweit sie verständlich sind – bei den meisten NGDOs auf Ablehnung stoßen, dürfte der nächste Sozialkonflikt zwischen der CSV-DP-Regierung und der engagierten Zivilgesellschaft schon vorprogrammiert sein. Weil die NGDOs, anders als etwa die Gewerkschaften, finanziell vom Staat abhängig sind, dürfte die Auseinandersetzung jedoch weniger heftig und nicht öffentlich geführt werden. Um Missverständnisse aus dem Weg zu räumen, hat das Kooperationsministerium die Organisationen für Dienstag kurzfristig zu einem weiteren Treffen eingeladen.

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Luc Laboulle
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